Quantencomputing und Ethik „Die Nachvollziehbarkeit ist ähnlich wie bei herkömmlichen Computern“

Mechanisch sind Quantencomputer hoch komplex, ihre Funktionsweise für Nutzer*innen ähnelt aber herkömmlichen Computern.
Mechanisch sind Quantencomputer hoch komplex, ihre Funktionsweise für Nutzer*innen ähnelt aber herkömmlichen Computern. | Foto (Detail): © picture alliance/dpa/Sven Hoppe

Digitaler Fortschritt hat immer auch Schattenseiten: Gesichtserkennung kann zur Überwachung eingesetzt werden und manche Künstliche Intelligenz diskriminiert Minderheiten. Der nächste große Technologiesprung könnte die Quantenmechanik sein. Was erwartet uns? Eva-Maria Verfürth sprach mit Quantenphysiker Tommaso Calarco vom Forschungszentrum Jülich.
 

Herr Calarco, Sie haben sich 2016 für ein europäisches Forschungsprogramm zur Quantentechnologie stark gemacht. 2018 lancierte die Europäische Union daraufhin ein milliardenschweres Flagship-Programm. Weshalb ist Quantenforschung so wichtig und welchen gesellschaftlichen Fortschritt erhofft man sich davon?

Quantentechnologie kann in sehr verschiedenen Bereichen zur Anwendung kommen. Ein großer Vorteil ist ihre Sicherheit: Kommunikation zum Beispiel wird absolut abhörsicher. Der zweite Vorteil ist die enorme Rechenleistung, die sie im Quantencomputing verspricht. Damit könnten wir in Zukunft Probleme angehen, die bisher nicht lösbar sind. In der Sensorik zum Beispiel könnten bald sehr präzise Messungen durchgeführt werden und Anwendungen der medizinischen Diagnostik könnten viel genauer werden. Ein Beispiel: Da die Quantentechnologie die Aktivität von Neuronen in Echtzeit messen kann, könnten wir damit in Zukunft nicht-invasive Untersuchungen am Gehirn vornehmen. Neurologische Krankheiten würden wir dann besser verstehen und untersuchen können. Oder nehmen wir die Mobilitätsbranche: Atomuhren können Navigationsgeräte so präzise machen, dass sie nicht nur die Straße erkennen, auf der sich das Auto bewegt, sondern auch die Spur und den Abstand zum Bordstein. Das würde die Sicherheit von autonomem Fahren deutlich erhöhen.

Welche Einrichtungen arbeiten aktuell an der Entwicklung und Erforschung von Quantentechnologie?

Noch bis vor einigen Jahren war es überwiegend der akademische Bereich, also Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Seit den letzten drei bis vier Jahren beteiligt sich in Europa aber auch die Industrie an der Forschung und Entwicklung: An der ersten Phase des EU-Flagship-Programms sind mehrere Startups beteiligt, die Quantencomputer und andere Geräte verkaufen. Und große Konzerne wie Bosch, Bayer, BASF oder die Autoindustrie forschen zu neuen Produkten.

Quantenforschung ist teuer und es braucht spezifische Expertise. Ist das eine Hürde für Unternehmen oder Forschungsinstitutionen, die sich daran beteiligen möchten?

Tatsächlich sind die Einstiegshürden für Quantentechnologie gar nicht besonders hoch, gerade auch was die Kosten angeht. Aktuell wird ja im Europaparlament das europäische Chip-Gesetz diskutiert, das die Wettbewerbsfähigkeit bei Halbleitertechnologien stärken soll. Ich habe in Brüssel einen Prototyp für einen Quantenprozessor vorgestellt, also einen Quantenchip, der in Deutschland in einer Kooperation mehrerer Forschungseinrichtungen produziert wurde. Die dafür benötigten Apparaturen kosten einige Millionen Euro. Das ist sehr viel weniger als bei Halbleiterchips, bei denen die Kosten für Produktionsapparate im Milliardenbereich liegen. In der privilegierten Welt wie Europa und Nordamerika ist die Technologie also recht zugänglich. Für unterprivilegierte oder benachteiligte Länder gilt das allerdings nicht – nicht wegen spezifischer Hürden, sondern aufgrund des allgemeinen Technologie-Gaps. Und das ist ein ethisches Risiko. Eine Physikerin des Forschungszentrums Jülich arbeitet an einem Krytostaten, der den Chip eines Quantencomputers kühlt. Eine Physikerin des Forschungszentrums Jülich arbeitet an einem Krytostaten, der den Chip eines Quantencomputers kühlt. | Foto (Detail): © picture alliance / Rupert Oberhäuser Inwiefern?

Beispielsweise können Quantensimulatoren die Entwicklung neuer Materialien und Chemikalien deutlich verbessern. Wenn die Forschung daran aber nur in privilegierten Weltgegenden möglich ist, dann werden auch die Produktions- und Innovationskapazitäten nur dort aufgebaut. Das wäre ein weiterer Vorteil für diese Gesellschaften und eine Vertiefung der Ungleichheit zwischen der privilegierten und der benachteiligten Welt. Diese Fragen zur Demokratisierung von Technologie betreffen allerdings nicht speziell den Bereich Quantenforschung, sondern sind ein grundsätzliches Problem.

Was könnte man tun, um in der Quantenforschung mehr Technologieoffenheit zu erreichen?

Die Stiftung Geneva Science and Diplomacy Anticipator hat kürzlich die Gründung eines Open Quantum Institute angekündigt, an dem auch wir als Forschungszentrum Jülich beteiligt sind. Das Ziel der Initiative ist es, unterprivilegierten Ländern Quantenforschung zu ermöglichen – nicht aus kommerziellen, sondern aus ethischen Gründen, ganz ohne Gewinnstreben. Forschende aus Ländern, die noch keine eigenen Quantencomputer bauen können, sollen Zugang zu unseren Maschinen bekommen, um an ihren eigenen Problemstellungen zu arbeiten und Erkenntnisse zu gewinnen.

Wie kann man sich einen solchen Zugang vorstellen – werden die Forschenden dann nach Europa eingeladen?

Die Methode wird noch diskutiert, aber denkbar wäre beispielsweise auch ein Cloudzugang. Das Jülicher HPCQS-Programm (High Performance Computing – Quantum Simulator) will ab nächstem Jahr den Zugang zu einem Quantensimulator, der mit dem Jülicher Supercomputer gekoppelt ist, für Externe öffnen. Wenn diese Infrastruktur da ist und funktioniert, könnte sie potenziell auch von Forschenden aus anderen Ländern genutzt werden.

Wechseln wir an dieser Stelle einmal von der Entwicklung zur Anwendung: Viele Computer- und Internetnutzende verstehen schon heute kaum die Funktionsweise der Algorithmen, die ihren Anwendungen zugrunde liegen – geschweige denn die von Künstlicher Intelligenz (KI). Wird sich das beim Quantencomputing noch verstärken?

Es stimmt, dass die Gesetze der Quantenmechanik noch viel weniger intuitiv sind. Das ist Deep Tech: die Technik dahinter zu verstehen setzt Spezialwissen voraus. Dennoch ist die Funktionsweise von Quantencomputern ähnlich zu der von herkömmlichen Geräten, da auch sie auf Algorithmen basieren, die definierte Schritte vollziehen. Die Art und Weise, wie sie zu Ergebnissen gelangen, wird daher genauso nachvollziehbar sein wie bei bisheriger Computertechnik auch. Das spezifische Problem der KI ist ja, dass sie oft sehr akkurate Ergebnisse liefert – beispielsweise liefert KI bei der Analyse von Röntgenbildern in einigen Fällen deutlich präzisere Krebsdiagnosen als menschliche Spezialist*innen. Aber zugleich ist nicht nachvollziehbar, wo und wie genau sie zu diesem Ergebnis kommt. Das wird bei Quanten-KI nicht anders sein – und die Zeit für quantenmaschinelles Lernen wird kommen, auch wenn es noch mindestens zehn bis 15 Jahre dauern kann, bis die Technologie praktikabel ist.

Rund um die Künstliche Intelligenz sind mittlerweile etliche ethische Debatten ausgebrochen. Unausgewogene Datensets etwa führen zu Programmen, die Diskriminierung reproduzieren. Auf welche ethischen Konflikte müssen wir uns vorbereiten, wenn Quantentechnologien an den Start gehen?

Dieselben Debatten, die wir bereits führen, werden im Zusammenhang mit dem Quantencomputing erneut auftauchen, da die Technologie die Rechenleistung immens steigern und damit auch die Künstliche Intelligenz beschleunigen kann. Abgesehen davon gibt es natürlich das grundsätzliche Risiko, dass neue Entwicklungen für bösartige Zwecke, etwa zur Waffenentwicklung, genutzt werden. Das ist ein heißes Thema unter Wissenschaftler*innen: Wie kann man dafür Sorge tragen, dass die eigenen Erkenntnisse für gutartige Ziele genutzt werden? In beiden genannten Fällen sind die ethischen Fragen aber nicht neu, sondern werden schon lange im Zusammenhang mit Technologieentwicklung diskutiert. Bis vor wenigen Jahren waren viele Wissenschaftler*innen überzeugt, dass sie neutral seien. Das entbindet uns aber nicht von der Verantwortung, Missbrauch entgegenzuwirken.

Gibt es Bemühungen auf EU-Ebene, dieser Verantwortung gerecht zu werden?

In den „Coordination Actions“ des Flagship-Programms gibt es zum Beispiel Arbeitsgruppen, die sich mit verantwortungsvoller Forschung und Innovation (Responsible Research and Innovation) beschäftigen und die im ständigen Austausch mit der Quanten-Community stehen. Ein erstes Ergebnis dieser Arbeit ist das erwähnte Open Quantum Institute, an dem viele europäische Institutionen beteiligt sind.