Zukiswa Wanner Der blaue BH auf der Samsonite-Tasche

Moderne junge Frauen auf einem Markt in Nairobi (Kenia)
Moderne junge Frauen auf einem Markt in Nairobi (Kenia) | Foto (Detail): Sandra Gätke © dpa-Report
Die Kurzgeschichte als Audio abspielen:                                      gelesen von Koku Musebeni

J’s. Donnerstagabend. Livemusik. Wo wazungu dazugehören können, ohne sich unwohl zu fühlen. Und wo wir, die wir uns Mittelklasse nennen, wie das nur Nairobier*innen können, zusammenkommen. Wo wir Livemusik goutieren können, ohne uns wegen des Eintrittspreises zu stressen. Und hoffen, dass die mit uns befreundeten Musiker*innen nicht von uns erwarten, dass wir von unserem mageren Alkoholbudget ihre CDs kaufen. J’s. Donnerstagabend. Livemusik. Wo wir uns kennengelernt haben.

J’s Donnerstagabend. Nach der Livemusik, ein Jahr später. Als ich endlich loslassen konnte. Einen Schlussstrich ziehen. Wir liefen uns in einem nahe gelegenen Restaurant über den Weg und stritten uns ordentlich. An einem Punkt dachte ich, sie würden uns rauswerfen. Die Bedienung stand definitiv mehrmals kurz davor. Aber es war das J’s, wo ich, nachdem wir die Sache einigermaßen ausgebügelt hatten, die ganze angestaute Wut und den Groll wegtanzte, die ich noch in mir trug. Und ein Krankenwagen, von dem ich wusste, dass er nicht rechtzeitig kommen würde, nicht rechtzeitig kam.

Der Verkehr in meinem Nairobi mag sich nachts etwas lichten, aber bei J’s rein- oder rauszukommen ist trotzdem schwierig. Rashid engagiert so viele unvergessliche Musiker*innen. Da sind Apps wie Uber, Taxify und Little Cab ein Segen. Naja, die Tatsache, dass viele der Feiernden nach der Party nicht fahren müssen. Aber für einen Krankenwagen, der versucht, da durchzukommen, ist es ein Fluch.

Und so bekam ich meinen Schlussstrich. Auch wenn ich das nie jemandem erzählen würde, nicht einmal Nina. Sie beschuldigt mich, ich sei zu barbie. „Wir sind Afrikanerinnen, Aluoch. Was soll dieser Schlussstrich, von dem du da faselst? Manchmal bist du mehr mzungu als gut für dich ist.“ Und vielleicht bin ich das auch. Schließlich ging ich auf die Msongari, als sie noch die Msongari war. Als sie das Brookhouse der Mädchenschulen war.

Damals waren staatliche Schulen viel funktionaler als heute. Bevor alle Eltern, die ein Darlehen kriegen konnten, beschlossen, dass staatliche Schulen mittelmäßig waren und ihre Kinder in Privatschulen steckten. Aber es gab Eltern wie meine, die an katholische Schulen glaubten. Und bezweifelten, dass Schulen wie State House Girls in der Lage waren, uns eine Bildung mitzugeben.

In gewisser Hinsicht gilt Msongari wohl immer noch als außergewöhnlich. Aber Sie kennen das ja, wie Dinge den Bach runtergehen, sobald man weg ist. So lief das auch mit Msongari. Und mit Thandi. Thandi, der Grund dafür, dass ich nach einem Schlussstrich suchte.

Nina lacht jedes Mal, wenn ich unsere kalte Jahreszeit als Winter bezeichne. Sagt, Winter sei ein mzungu-Konzept. Und Nairobi habe neben Regen- und Trockenzeit nur lange und kurze Regenfälle. Ich schwöre, wenn Sie sie hören könnten, würden Sie nicht glauben, dass sie selbst mit einem mzungu verheiratet ist. Die Art, wie sie so oft und mit so viel Hohn Mzungu-Kram sagt. Vielleicht führt Vertrautheit wirklich zu Verachtung. Ich schweife ab.

Es war also vergangenen Winter, dass ich Thandi bei J’s kennenlernte. Schwarzes Polohemd, Röhrenjeans, eine offene Ankara-Jacke und Stiefel. Afrika trifft modisch auf den Westen. Ich erinnere mich, weil ich sie Thandi gar nicht schnell genug ausziehen konnte, als ich ihre Wohnung in Gehweite von J’s betrat. Ich musste unbedingt ihre Haut an meiner spüren. Ich war mit meinem Ex-Freund Stan zusammen.

Außer, dass er damals noch nicht mein Ex war. Das war der Tag, an dem er mein Ex wurde. Stan und ich hatten viel Streit gehabt. Er war zu einem jener typisch nairobischen Männer geworden, über den wir uns in der Anfangszeit unserer Beziehung beide lustig gemacht hatten. Kontrollierend. Übermäßig machohaft, als ob er seine Unfähigkeit damit kompensieren wollte, einige der feineren Dinge zu tun, die er versprochen hatte.

Ja, klar. Ich mag ab und zu nyama choma und toleriere ein Bier oder auch drei, aber das zu einem Lebensstil machen? Die Champagnerpreise in Nairobi sind absurd, aber konnten wir nicht etwas öfter Prickelnderes trinken als Bier? Einen Brandy, wenn wir ihn bei Chandarana kriegen können und sichergehen, dass er nicht von den Sisters of Death in Korogocho hergestellt wurde, was bei unserem lokalen Wine and Spirit leicht der Fall sein konnte? Hatte er versucht, dafür zu sorgen, dass ich, die das Gesicht (und, das darf man wohl sagen, der Körper) Afrikas war, fett wurde? Manchen Leuten steht etwas Fleisch auf den Knochen fantastisch und sie würden dünner nur komisch aussehen. Zu denen gehöre ich aber nicht. Ich fühle mich in meinem Körper wohl genug, vielen Dank. Und ich hatte nicht vor, Stan mit seinem nyama choma und seinem Bier mein Komfortniveau zunichtemachen zu lassen.

Er sagte, ich sei zu anspruchsvoll. Als ob er nicht gewusst hätte, worauf er sich einließ, als wir anfingen, miteinander zu gehen. Männer umwerben dich mit Speis und Trank, wenn sie dir den Hof machen. Dann heulen sie rum und finden, dass du zu anspruchsvoll bist, nur weil du möchtest, dass sie die Standards aufrechterhalten, mit denen sie schließlich selbst angefangen haben.

Nina traf mich an jenem Donnerstag niedergeschlagen an und schlug vor, auszugehen und den Blues durch Tanzen auszutreiben. Chris Adwar und die Villagers Band spielten. Eine meiner Lieblingsbands. „Wo geht ihr hin?“, hatte Stan gefragt. „J’s“, antwortete Nina, bevor ich ihr sagen konnte, sie solle die Klappe halten. „Ich komme mit. Wir haben schon lange nicht mehr getanzt, Süße“, sagte er zu mir.

Nach diesen Worten mussten wir ihn natürlich mitkommen lassen. Obwohl es mir wesentlich lieber gewesen wäre, wenn er nicht mitgekommen und es ein reiner Mädelsabend gewesen wäre. Schlussendlich wurde es trotzdem ein Mädelsabend, dank Thandi. Thandi, eine Massai-Frau mit einem Zulu-Namen. Thandi, deren Name Liebe bedeutet. Thandi, die ich für Liebe hielt. Bis sie unsere Liebe verriet. Wir lernten uns in der Toiletten-Warteschlange kennen.

Ich weiß. Nicht gerade der romantischste Ort zum Kennenlernen. Nachdem ich gegangen war, fragte ich mich oft, ob dieses Treffen die beschissene Beziehung vorhersagte, zu der die unsere wurde. Aber gut. Ich stellte mich also hinter ihr an, und sie drehte sich um und sah mich wie hypnotisiert an. „Mein Gott, bist du schön“, seufzte sie. Ich hatte mich umgedreht, um zu sehen, ob da jemand war, mit dem sie redete. „Du brauchst dich nicht umzudrehen. Ich rede mit dir“, sagte sie, diesmal eindeutig zu mir. Sie hatte eine rauchig verführerische Stimme. „Deine Gesichtszüge sind so markant.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.“

Ich will nicht behaupten, dass man in Nairobi nicht mit Fremden redet. Aber es ist definitiv nicht mein Ding. Beiläufige Komplimente oder Kommentare von Fremden erfüllen mich mit Unbehagen. Bei dieser Frau hatte ich jedoch kein unangenehmes Gefühl. Ich glaube, ich lächelte sogar. Als ob ich für mein Aussehen irgendwas könnte. Naja, vielleicht in mancher Hinsicht. Ein bisschen Peeling hier. Ein bisschen Feuchtigkeitscreme da. Sonnencreme, wenn es darauf ankommt. Ich mag dunkelhäutig sein, aber ich glaube nicht an das Gerede darüber, dass miros keine Sonnencreme brauchen. Ich weiß, wovon ich spreche. Meine Mutter ist Kenias erste Dermatologin. Und dann für den Körper fünf Tage die Woche an die 90 Minuten Bikram-Yoga. Aber trotzdem. Mein Aussehen ist weitgehend ein genetisches Privileg. Die Leute sind oft überzeugt davon, dass meine 73 Jahre alte Mutter 20 Jahre jünger ist.

Aber zurück zu Thandi mit dem Zulu-Namen. Sie ging auf die Toilette. Kam dann heraus. Ich ging nach ihr auf die Toilette. Ich kam heraus. Sie wartete auf mich. „Du bist wirklich atemberaubend.“ Da lächelte ich breit. Und sagte: „Danke.“

„Ich hole mir was zu trinken. Kann ich dir was mitbringen?“ Es war das J’s. Auch wenn man eigentlich niemandem trauen kann, waren seine Zulieferer vermutlich okay. Ich fühlte mich aufgeschwemmt von den drei Tusker, die Stan gekauft und ich getrunken hatte. „Klar. Brandy. Einen doppelten.“ – „Eine Frau nach meinem Geschmack. Ich stehe auch auf Brandy. Ein Brandy, kommt sofort.“

Als sie zurückkam, stellte sie die Brandys auf einem Tisch nahe der Tür ab. Sie sah mir direkt in die Augen und sagte, „Ich habe mich dir nicht vorgestellt, meine Schöne. Ich heiße Thandi. Das bedeutet auf Zulu Liebe, aber ich bin Massai.“ Wenn ich an sie denke, denke ich an diesen Spruch, denn so stellte sie sich ständig vor. Sie machte kein Geheimnis daraus, dass sie mich anmachte, und das gefiel mir. „Wie kommst du zu deinem Namen?“, fragte ich. „Lange Geschichte: in der Moi-Ära exilierter Vater, lernt seinen besten Freund, einen Zulu, in Tansania kennen. Ich heiße nach dessen Frau.“

„Ach so?“, dann wurde mir klar, dass ich mich gar nicht vorgestellt hatte. „Und ich bin Aluoch.“ Ich streckte ihr meine Hand hin. Später sollte mir alles Mögliche einfallen, wie meine Vorstellung hätte geistreicher ausfallen können. Das tue ich oft. Hinterher an schlaue Dinge denken, die ich hätte sagen sollen. Als sich unsere Hände berührten, spürte ich etwas. Etwas, das mich zu ihr hinzog. Ich wollte ihre Hand ewig festhalten.

Bis dahin hatte ich mich für heterosexuell gehalten. Aber Thandi war der Typ Frau, bei dem ich mich immer geschmeichelt fühlte, wenn sie mich anmachten. Hübsch. Niveauvoll. Selbstbewusst. Femme. Und, wie ich später herausfinden sollte, intelligent. Alles, was ich war oder sein wollte. An jenem Donnerstag im J’s hörte ich auf, mich geschmeichelt zu fühlen, machte keine höfliche Bemerkung von wegen „Danke, aber ich stehe auf Männer ...“ Ich zog sie zu mir her und küsste sie, so kühn, wie sie mit mir ein Gespräch angefangen hatte.

Wir fuhren auseinander, als Stan plötzlich hinter mir stand und mich an der Schulter meines Kleides zog. „Aluoch. Was machst du da? Bist du besoffen?“, fragte er mit verwirrtem Blick. Nina neben ihm grinste. „Vergiss es, Stan. Frauen wissen besser als jeder Mann, was eine Frau sich wünscht. Du kannst hier nicht gewinnen.“ – „Aber Aluoch ist nicht …“, stotterte er, „sie ist keine Lesbe.“ Nina sagte boshaft: „Ich liebe es, wenn eine Lesbe einem Mann die Frau ‚stiehlt‘.“ Sie machte sogar die imaginären Anführungszeichen. Ich fand endlich meine Stimme wieder. „Sorry, Stan“, und dann sah ich Thandi an und fragte: „Wo gehen wir hin?“.

Thandi sah Stan an, als sie mir antwortete. Ihre Stimme triefte nur so von der Sorte Herausforderung, die man sonst nur zwischen testosterongeschwängerten Männern hört. „Bis zu mir sind es nur ein paar Minuten zu Fuß. Wollen wir?“ Wenn Thandi keine Frau gewesen wäre, hätte Stan ihr eine reingeschlagen. Er schaute mich fragend an. Ich zuckte die Achseln und drückte Thandis Hand. Ließ ihn meine Entscheidung wissen. Er seufzte resigniert und ging hinaus. Das war das letzte Mal, dass ich Stan sah. Was soll’s, dachte ich damals.

Nina, die zunächst gedacht haben muss, dass das ein Scherz sein sollte und nur ein Weg, um Stan loszuwerden, schaute mich an, nachdem er gegangen war, und fragte: „Und jetzt?“.

Nina und ich sind seit der Krippe befreundet und ich habe ihr im Laufe unseres Lebens schon so manche Überraschung bereitet, aber diesmal blieb ihr die Spucke weg. „Ich ruf dich morgen an. Ich gehe jetzt. Aber bevor ich gehe: Thandi, das ist meine Freundin Nina. Nina, das ist Thandi.“ Sie nickten sich gegenseitig zu und sagten brav ‚Nice to meet you‘, wie man das in Nairobi so macht.
 
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Ich wohne bei meiner Mutter in Muthaiga, außer manchmal. Die ersten sechs Monate mit Thandi waren manchmal. In jener ersten Nacht begann etwas, von dem ich dachte, es würde nie aufhören. Unsere Körper waren auf eine Art im Einklang, wie sich mein Körper noch nie mit irgendjemandem gefühlt hatte. Sie wusste, wo sie mich berühren musste und wie sie mich in beinahe schwindelerregende Höhen zaubern konnte. Und gerade, als ich kurz vor dem Zerbersten war, pflegte sie einen Gang zurückzuschalten und wieder von vorn anzufangen. Nach dem ganzen Auf und Ab war die Erlösung immer überwältigend. Jene erste Nacht endete damit, dass Thandi mich nach einer Woche heimfuhr, wo sie meine Mutter kennenlernte und sich mit ihr unterhielt, während ich meine Samsonite-Tasche mit dem Nötigsten packte. Falls meine Mutter über meine neue Frau-mit-Frau-Beziehung überrascht war, ließ sie sich das nicht anmerken.

In jenen sechs Monaten, in denen ich mit Thandi zusammen war, sprach sie von ihr auf dieselbe Art wie von allen Jungs, mit denen ich zusammen gewesen war: Stan, von dem sie sagte, er sei zu shags, weil seine Eltern im ländlichen Busia blieben; Mbatian, den ich ihrer Meinung nach hätte heiraten sollen, weil er höflich war und aus einer guten Familie stammte; Owino, den sie zu luo fand, weil er sie nur auf Luo anredete, auch wenn sie auf Englisch antwortete, und jaber als Kosewort für mich benutzte; King’ara, der zu viel Party machte und dessen Geld ausgegeben war, bevor er es überhaupt bekam, was für meine Mutter ein Zeichen war, dass er nicht Kikuyu genug war. Sie redete von ihnen allen als dein Kumpel. Sie hielt an der puritanischen Idee fest, dass ihr drittes und letztes Kind nicht sexuell aktiv war und diese Jungs trotz der offensichtlichen Realitäten wirklich nur meine Kumpels waren. Und wie geht es deiner neuen Freundin Thandi? Braucht sie irgendwelches Gemüse aus dem Garten? – Ich habe deinen alten Kumpel Mbatian getroffen. Er hat sich gerade scheiden lassen. Ich habe seine Nummer.Dein Kumpel Stan kam neulich vorbei, um deine Klamotten abzuliefern. Er schien ziemlich sauer zu sein.

Ich wusste genau, wie sauer Stan war. Er versuchte mich auf Twitter bloßzustellen, indem er ein mit Photoshop erstelltes Bild von Thandi und mir mit dem einfallslosen Untertitel „Gott schuf Adam und Eva, nicht Madame und Eva“ postete. Auf seiner Seite: einige homophobe Männer und der Vorsitzende der Filmförderungsanstalt, die davon redeten, dass Lesbianismus gegen unsere Kultur und unchristlich sei. Als ob Christentum unsere Kultur wäre. Auf meiner Seite: das weltweit als KOT (Kenyans on Twitter) bekannte Social-Media-Militär, das sich entweder über ihn lustig machte, weil er seine Frau an eine Frau verloren hatte (die Männer) oder weil er nicht wusste, wie man eine Frau zufriedenstellt (die Frauen). So lustig es auch war, fehlten dem Ganzen doch ziemlich die Nuancen. Vor Thandi hatten Nina und ich uns oft gefragt, ob es keine afrikanischen Großtanten oder Großonkel gab, die nie geheiratet hatten, aber, um mit meiner Mutter zu sprechen, enge Freundinnen oder Kumpel desselben Geschlechts hatten, bei denen sie wohnten. Ich blockte Stan auf allen sozialen Medien.

Thandi arbeitete für einen der besten Arbeitgeber in Kenia, den NGO-Sektor. Jene ersten sechs Monate waren magisch. Sie waren mit ihren Reisen und ständigen Wiedersehen gefüllt, die dafür sorgten, dass sich jeder Tag wie Flitterwochen anfühlte. Ich bin Modedesignerin. Nein. Nicht so, wie jeder in Nairobi von sich behauptet, Modedesigner*in zu sein. Ich bin es wirklich. Ich beziehe Material vom ganzen Kontinent. Für meine Klient*innen kommt nur das Beste infrage. Ich habe drei Schneider*innen, die meine Zeichnungen in die Realität umsetzen. Aber der Großteil von Nairobis Mittelklasse gehört nicht wirklich zur Mittelklasse.

Leute, die 40.000 Kenia-Schilling im Monat verdienen, tönen nur deshalb Wir, die Mittelklasse, weil sie ein Twitter-Konto, einen Kühlschrank und einen Fernseher haben und es sich leisten können, ab und zu auf Java zu sein. Das bedeutet im Grunde, dass meine Kleider für viele unerreichbar bleiben, die es vorziehen, ihre Designerklamotten gebraucht auf dem Toi-Markt zu kaufen. 

Ich erhalte normalerweise nur Bestellungen für besondere Anlässe wie Hochzeiten. Meine wichtigsten und beständigsten Kundinnen sind: meine verheiratete ältere Schwester – PR-Guru für eine internationale Körperschaft, ein paar ehemalige Msongari-Schülerinnen und meine Mutter mit ihren Schönwetter-Freundinnen aus allen Rängen (sofern in Kenia nicht gerade Wahlsaison ist). Und natürlich bestellt meine andere Schwester, wann immer sie jemandes habhaft werden kann, der von ihrem hiesigen Zuhause zu ihrem Zuhause in Boston fliegt. Als regelmäßige Bestellungen reicht das aber nicht für meinen Lebensunterhalt und die Miete aus. Also wohne ich bei meiner Mutter. Bis ich bei Thandi einzog.

Dass ich bei ihr einzog, bedeutete, dass ich die Wohnung für mich hatte, wenn sie bei der Arbeit oder außer Landes war. Ich konnte in Ruhe meine Entwürfe anfertigen, und mein Yoga-Studio lag sowieso näher an ihrer Wohnung als an der meiner Mutter. Glückseligkeit. Bis es sich damit hatte. Meine Mutter wurde krank.

Akoth ist in Amerika. Atieno hat Mann und Kinder und lebt in Karen, am anderen Ende der Stadt. So blieb nur ich, die ihr Liebesnest in Westlands verließ und nach Muthaiga zurückging, damit ich bei meiner Mutter sein konnte.

Im Aga-Khan-Krankenhaus sagten sie, es sei das große K. Krebs. Am besten nach Indien. Er sei noch im Frühstadium und die Ärzte dort seien besser ausgestattet. Eine Freundin, eine desillusionierte Ärztin, erzählte mir mal, dass diese Überweisungen nach Indien eine Masche sind. Und dass unsere Ärzte dabei mitmachen, um zusätzliches Geld zu verdienen. Ich versuchte das meinen Schwestern zu verklickern, aber es war ihnen egal. „Ja, Aluoch, aber was ist dein Problem? Wir bezahlen es doch, also ist es unser Geld. Du musst nichts tun außer für Mama da zu sein. Fahr mit ihr nach Indien“, schalt mich Atieno.

Blöde Mrs Perfect. Warum fährt sie nicht selbst hin? Ich hätte sie beinahe gefragt, aber dann erinnerte ich mich daran, dass ich als die Künstlerin in der Familie nichts zu bieten hatte als meine Anwesenheit. Wenn sie mich bitten würden, ein Drittel von Mamas Rechnungen zu bezahlen, könnte ich das gar nicht. Sawa tu, dachte ich und nahm es achselzuckend hin. Thandi war großartig. Half mit den Visa und allen Vorbereitungen, die zu erledigen waren. Mama machte Witze und nannte sie den Sohn, den sie nie gehabt hatte. Ich glaube nicht, dass sie gleichgeschlechtliche Beziehungen so richtig verstanden hatte.

Sieben Wochen. So lange waren wir in Indien. Drei Wochen der Beklemmung und vier Wochen, in denen sich Mama erholte. Zu der Zeit freundete sich meine Mutter mit einer Ärztin an, die ihr Interesse am Gärtnern teilte. Von dieser Ärztin hörte meine Mutter von diesem Insektizid, das ihre Pflanzen vor Insekten schützen sollte. Kurudan. Ein wirksames Gift für Pflanzen und Menschen.  Mama kaufte etwas davon für ihre Pflanzen. Ich packte es für sie ein, als wir Indien verließen. Wir fuhren zurück nach Hause, Mamas Krebs war in Remission.

Ich freute mich darauf, meine Beziehung mit Thandi wieder aufzunehmen. Thandi, die großartig gewesen war. Bis es sich damit hatte. Sieben Wochen. Das klingt nicht wie eine sehr lange Zeit. Und kann es doch sein. Verdammt. Eine Toilettenpause kann eine lange Zeit sein, wie Stan an einem donnerstägigen Ausgeh‑Abend bei J’s herausfand.

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Die erste Woche war genauso wie die sechs Monate, bevor ich wegfuhr. Aber dann fing ich an, bei Thandi Veränderungen zu bemerken. Sie kam etwas später nach Hause. Sie stresste sich ein bisschen mehr wegen Kleinigkeiten. Sie klang eine Spur kritischer.

Dann jener letzte Tag. Freitag. Ich rief sie bei der Arbeit an. „Sag mal, können wir heute zusammen zu Abend essen? Wir müssen reden.“ – „Sawa“, sagte sie, ihr Ton unverbindlich. Ich kochte Abendessen. Ihr Lieblingsessen. Ich machte sogar Nachtisch. Dabei stehe ich gar nicht auf Süßes.

Ich hatte zwei Flaschen Cognac. Remy Martin. Nur unser Favorit war gut genug. Nach dem Gespräch würden wir entweder einen Weg zueinander zurückfinden oder einander verlassen. Aber man konnte mir nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben.

Ich packte meine Samsonite-Tasche, falls wir den Weg zurück zueinander nicht finden sollten. Wenn das der Fall sein sollte, wollte ich keinen langen Abschied, während ich packte. Oder, wie bei Stan, Klamotten, die bei meiner Mutter abgegeben wurden.

Ich stellte meine Samsonite-Tasche im Gästezimmer ab. Das Abendessen war fertig. Dann war das Abendessen kalt. Thandi kam nicht. Sie schickte keine Sprachnachricht auf WhatsApp. Auch keine SMS. Meinen einen Anruf beantwortete sie nicht. Und als ich erneut versuchte, sie anzurufen, war ihr Handy aus.

Ich wusste, dass sie es ausgeschaltet hatte. Thandi, meine damalige Massai-Freundin, deren Name auf Zulu Liebe bedeutet, hasste leere Batterien, und so hatte sie immer zwei voll aufgeladene Powerbanks dabei. Ihre erste Frage, wenn sie bei jemandem zu Besuch war, noch vor der Frage nach dem Wi-Fi-Passwort oder wo die Toilette war, hieß: Kann ich meine Powerbank/mein Handy aufladen?

Ich wärmte mir einen Teller Essen auf. Ich aß zu Abend. Aß sogar Nachtisch. Ich trank Remy direkt aus der Flasche. Und ich weinte. Ich habe noch nie um eine Beziehung geweint, aber Thandi, ein Massai-Mädchen, dessen Name auf Zulu Liebe bedeutet, brachte mich zum Weinen.

Um sechs Uhr morgens duschte ich in unserem ans Schlafzimmer angrenzenden Badezimmer. Thandi war nicht ins Bett gekommen. Vielleicht war sie gar nicht nach Hause gekommen. Ich würde gehen.

Aber. Thandi war nach Hause gekommen. Als ich die Tür zum Gästezimmer öffnete, setzte sich eine fremde Frau im Bett auf. Sie hatte Thandi erwartet. Sie sah irgendeine andere, ihr unbekannte Frau. Ihr stand eine Frage ins Gesicht geschrieben. Wer bist du? Ich lächelte ihr angespannt zu. „Hallo.“

„Hi“, antwortete sie. „Thandi ako?“, fragte ich. „Toilette.“ Als ich sie ansah, spürte ich einen Stich im Herzen. Ihre billige Haarverlängerung, ihr grelles Make‑up – nicht abgewaschen, bevor sie schlafen ging … und … und … ihr billiger blauer BH, wahrscheinlich im Globe-Cinema-Busbahnhof gekauft, auf meiner Samsonite-Tasche.

Wenn Thandi wollte, dass wir Schluss machten, musste sie wirklich so tief sinken?
Dieser blaue BH auf meiner Samsonite-Tasche. Das war für mich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich schnipste ihn von meiner Tasche, nahm sie hoch und verließ Thandis Wohnung.

Heute habe ich sie seit dem Tag, an dem ich ging, zum ersten Mal gesehen. Das Kurudan, das ich immer in die Handtasche stecke, die ich gerade benutze, war kein Zufall. Das Treffen im Manor 540 schon. In dem Restaurant, das heute den besten Fisch in der ganzen Stadt serviert, wohnte früher Evelyn Baring, der britische Kolonialgouverneur. Ein interessanter Ort, um NGO-Brit*innen in Nairobi im Jahr 2018 hinzubringen. Aber vielleicht müssen auch NGO-Brit*innen essen. Auch wenn fraglich ist, ob sie gutes von schlechtem Essen unterscheiden können.

Sie ließ ihre NGO-wazungu sitzen und ich Nina. Wir setzten uns hin und redeten, während wir uns eine Portion Fisch teilten. Die Intimität, uns einen so großen Fisch zu teilen, verfälschte die Wut in meiner Stimme. Es wurde hitzig. Ich bemerkte, dass die Bedienung mehrmals einschreiten wollte. Einmal trat der Manager an uns heran und fragte in beflissenem Ton, der mit Rauswurf drohte: „Ist alles in Ordnung?“. Thandi erklärte dem Manager irgendetwas. Er ging.

Sie erklärte mir auch etwas. Etwas anderes. Es war alles zu viel, sagte sie. Sie war nicht bereit für eine ernste Beziehung, erklärte sie. Sie wusste nicht, was sie mir sagen sollte, deshalb kam sie in jener letzten Nacht nicht zum Abendessen nach Hause, fügte sie hinzu. Die andere Frau hatte nichts zu bedeuten. Sie erinnere sich nicht einmal an ihren Namen, versicherte sie mir. Ich nickte, als ob ich verstünde. „Warum kommen du und deine Freunde nachher nicht mit Nina und mir mit zu J’s?“ – „Prima Idee“, sagte Thandi, die Massai ist, deren Name aber auf Zulu Liebe bedeutet. Wir gingen zusammen hinaus, eine große, scheinbar fröhliche Gruppe.

Als wir das J’s erreichten, lächelte ich sie an und sagte: „Weil ich jetzt endlich einen Schlussstrich ziehen konnte, geht der erste Brandy auf mich.“ Schlussstrich, dass ich nicht lache. Ich holte uns zwei Brandys. Das J’s ist voll, wie immer am Donnerstagabend. Das Kurudan fand seinen Weg in ihr Glas, bevor ich zu ihr zurückging. „Danke, Süße“, sagte sie. „Ich bin froh, dass jetzt alles okay ist zwischen uns.“ Sie trank.

Im letzten Moment, bevor sie das Bewusstsein verlor, sah ich diesen Blick der Erkenntnis. Des Wissens, was ich getan hatte. In der ersten Woche nach meiner Rückkehr aus Indien hatte ich ihr von dem Kurudan und seiner Wirkung erzählt. Dass Bauern, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können, es mit Brandy nehmen. Sie konnte sich wohl einfach nicht vorstellen, dass auch sie eine Schuld zu begleichen hatte. Bis zu diesem Moment, bevor sie das Bewusstsein verlor.

„Thandi sieht nicht so richtig gut aus, wenn du mich fragst“, sagte ich zu einem der wazungu. „Mein Handy hat keine Batterie mehr. Vielleicht sollte jemand einen Krankenwagen rufen?“ – „Wie ist die Nummer? Wie ist die Nummer für einen Krankenwagen?“, fragte einer. Ich fing an zu weinen.

J’s. Donnerstagabend. Während der Livemusik. Die Band jammt. Die Menge tanzt. Das Lokal ist voll. Die wazungu an meinem Tisch schreien. Thandi, eine Massai-Frau, deren Name Liebe bedeutet, wird von Zuckungen geschüttelt. Und ich, ich lächle innerlich.

Alle um mich herum sehen mich weinen. Aber sie haben keine Ahnung. Ein Schlussstrich.Heute habe ich ihn endlich gezogen. Unter einen billigen blauen BH auf meiner Samsonite-Tasche.