Koloniale Spuren Ehrung für einen Sklavenhändler

Ein Relief, das aus fünf engstehenden Personen besteht
Das Askari-Relief im Tansania-Park in Hamburg ist umstritten und wird von Gegner*innen der Gedenkstätte für die Opfer der Kolonialzeit in Deutsch-Ostafrika als rassistisch kritisiert. | Foto (Detail): Ulrich Perrey © picture-alliance / dpa/ dpaweb

Schifffahrt auf allen Weltmeeren hat eine lange Tradition in Hamburg. In keiner deutschen Stadt sind deshalb so viele Plätze und Straßen nach kolonialen Akteuren benannt. Etwa nach dem Reeder Heinrich Carl von Schimmelmann – einem Sklavenhändler. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Als für Heinrich Carl von Schimmelmann 2006 im Hamburger Stadtteil Wandsbek eine Büste aufgestellt wurde, flogen Farbbeutel. Er sollte für seine Verdienste um den Stadtteil geehrt werden. Auf der an der Statue installierten Gedenktafel stand: „1762 erwarb er das Gut Wandsbek. Schimmelmann ist nicht nur der Erbauer des Wandsbeker Schlosses, sondern gilt auch als Begründer der wirtschaftlichen Stärke Wandsbeks. Unter seiner Gutsherrschaft blühte der Ort auf.“

Doch Schimmelmann war ein Sklavenhändler. Ein frühes Beispiel dafür, wie Hamburg von kolonialen Verhältnissen profitierte, noch bevor Deutschland offiziell Kolonialmacht wurde. Kaufleute und Reeder prägten die Hafenstadt. Doch ihr Geschäft ging nicht nur mit ökonomischer Ausbeutung von unterworfenen Gebiete einher, sondern auch mit brutaler Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, mit Menschenhandel und Genoziden.

Die Büste für den Sklavenhändler wurde nach zwei Jahren wieder abgebaut. Aber bis heute gibt es in Wandsbek eine Schimmelmannstraße, einen Schimmelmannstieg und eine Schimmelmannallee –  außerdem eine Schatzmeisterstraße, die an seine Tätigkeit als Finanzminister des dänischen Königs erinnert.

Ein transkontinentales Dreieck

Schimmelmann war im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) zu Geld gekommen. Er kaufte das luxuriöse Gottorper Palais in Hamburg und richtet dort sein Handelskontor ein. 1759 besaß er zahlreiche Schlösser, Paläste und Landgüter mit hunderten leibeigenen Bauern in Deutschland und Dänemark. Er betrieb die größte Zuckerraffinerie Nordeuropas in Kopenhagen, mehrere Baumwollwebereien, eine Brauerei und eine Branntweinbrennerei in Wandsbek sowie die einzige Waffenproduktion Dänemarks. Außerdem unterhielt er auf den Dänisch-Westindischen Inseln in der Karibik vier ausgedehnte Zuckerplantagen.

„Die Produkte der Plantagen wurden zur Weiterverarbeitung in seine Manufakturen in Deutschland und Dänemark gebracht – womit sich der Kreis des Schimmelmannschen Handelssystems schloss.“

Seine internationalen Besitztümer, Landgüter und Produktionsstätten vernetzte Schimmelmann zu einem engen Wirtschaftskreislauf zwischen Westeuropa, Westafrika und der Karibik. Vierzehn Schiffe fuhren in diesem transkontinentalen Dreieck bald für den frühen Reeder – damals ein gewaltiger Besitz. Viele waren speziell für den Menschenhandel umgebaut. Denn der war ein zentrales Element des „Systems Schimmelmann“.

An den Ufern des Flusses Wandse, der dem Hamburger Stadtteil Wandsbek seinen Namen gab, ließ er Kinder aus Fürsorgeeinrichtungen an langen Arbeitstagen Baumwolle weben. Den bedruckten Baumwollstoff, aber auch billigen Schnaps, Waffen und Schießpulver verkaufte Schimmelmann in Westafrika und kaufte dafür entrechtete Menschen – Frauen, Männer und Kinder. Mit eisernen Schlössern und Ketten wurden die Gefangenen auf seinen Schiffen an Händen und Füßen gefesselt, eingepfercht in 1,50 Meter hohen Laderäumen. Viele starben auf der monatelangen Überfahrt. Wer überlebte, bekam die Insignien BvS (Baron von Schimmelmann) auf die Stirn gebrannt und musste unter härtesten Bedingungen auf dessen Zuckerrohr- und Baumwollplantagen auf den Antilleninseln St. Croix und St. John arbeiten. Die Produkte der Plantagen wurden zur Weiterverarbeitung in seine Manufakturen in Deutschland und Dänemark gebracht – womit sich der Kreis des Schimmelmannschen Handelssystems schloss.

Viele der Verschleppten versuchten zu fliehen, viele meuterten bereits auf der Überfahrt in die Karibik. Manchen gelang die Flucht von den Plantagen in die Berge oder auf die Nachbarinseln. Monatelang hielten Widerständler*innen 1733 die Insel St. John unter Kontrolle, bevor europäische Truppen den Aufstand niederschlugen.

Erinnerung an die Verbrecher

Doch nicht die Aufständischen oder Verschleppten blieben im öffentlichen Raum der Hansestadt in Erinnerung, sondern die Verbrecher. „Durch Hamburgs Straßen zu gehen, macht mich unglücklich“, schreibt die Schwarze Aktivistin Ginnie Bekoe in Stadtbild (post?-)kolonial: „Ich gehe am Vespucci- und am Columbushaus vorbei zum Kaiserkai, Vasco-da-Gama-Platz, den Magellan-Terrassen, Marco-Polo-Terrassen. (…) Fahre mal am Bismarck-Denkmal vorbei, gehe durch die Reventlowstraße und die Walderseestraße, durch die Schimmelmann würdigenden Straßen, Wißmannstraße, Hagenbeckallee. (…) Ich denke an die ‚niedergeschlagenen Aufstände‘, die Genozide waren, an Kämpfer*innen, die ihre Wohnorte und Leben, und ‚Schutztruppen‘, die Profite verteidigten. An die Millionen von ermordeten, gelynchten, versklavten, ausgebeuteten, vergewaltigten, verschleppten Menschen, und sehe prachtvolle Fassaden, neugebaute Residenzen, neue Schriftzüge.“

Zwar hat sich die Hansestadt 2014 der Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit im öffentlichen Raum verschrieben, ein „Runder Tisch Koloniales Erbe“ wurde gegründet, ebenso ein Beirat zur Dekolonisierung Hamburgs. An der Universität wurde eigens eine Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe -Hamburg und die frühe Globalisierung“ eingerichtet.

Ein langandauernder Prozess

Auch antwortet Hamburgs Kultursenator Dr. Carsten Brosda auf Anfrage, die Benennung von Verkehrsflächen nach Kolonialakteuren sei nicht mehr zeitgemäß. Aber er schränkt ein: „Eine Dekolonisierung erfolgt jedoch nicht durch einen hoheitlichen Akt, sondern braucht einen gesellschaftlichen Prozess. In Hamburg erarbeiten wir daher gerade eine gesamtstädtische Strategie zum Umgang mit kolonial-belasteten Straßennamen. Straßenumbenennungen einerseits und die kritische Kommentierung von kolonialen Straßennamen andererseits werden ganz sicher folgen.“

„Die Straßennamen sollten zumindest in ein umfassendes Erinnerungs- und Aufklärungskonzept eingebunden werden“, sagt Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle. „Denn sie verweisen auf den Beitrag der Stadt Hamburg und der umliegenden Region zur transatlantischen Sklaverei.“

Doch dieser Prozess dauert zu lange, sagt Hannimari Jokinen vom Arbeitskreis Hamburg Postkolonial. Bis heute habe sich in Hamburg nichts getan. „Anders als in Berlin und anderen Städten wurde bisher keine einzige Straße umbenannt.“ Beschlüsse der Bezirksversammlungen zu Umbenennungen von Straßen in Wandsbek 2010 und in Hamburg-Nord 2019 seien schlicht nicht umgesetzt worden. 2017 habe der Bezirk Altona zwar die Massaker des preußischen Generalfeldmarschalls Alfred von Waldersee im kolonialen China als „zutiefst verachtungswürdig“ verurteilt, dennoch blieben die den Kriegsverbrecher würdigenden Straßennamen unangetastet, die versprochenen aufklärenden Tafeln wurden nicht angebracht. Hannimari Jokinen sagt, das seien nichts als „Lippenbekenntnisse“. Die Aktivistin Ginnie Bekoe schreibt, für sie sei „jeder Schritt durch diese Straßen ein Tritt ins kulturelle Gedächtnis, eine Erneuerung kollektiven Traumas“. Es ist zu befürchten, dass sich daran so schnell nichts ändert.