Schreibwettbewerb „Identität“ QUARTERLIFE-[IDENTITÄTS]-KRISE

Schreibwettbewerb Identität
Schreibwettbewerb Identität Essay | Illustration: © Tobias Schrank, Goethe-Institut

Eugenia Löwen sah sich zwischen zwei Welten und jede*r sagte ihr, auf welche Seite sie eigentlich gehörte. Doch sie will sich nicht durch andere identifizieren zu lassen. Sie will selbst bestimmen, wer sie ist. Ihr Essay handelt von Selbstdefinition, Fremdzuschreibungen und den komplexen Aspekten der eigenen Identität.
 

„Wenn eine Kuh im Schweinestall geboren ist, bleibt sie trotzdem eine Kuh.“

Ich möchte mit dem obigen Spruch beginnen, der seit beinahe 27 Jahren mein Leben begleitet und die Antwort meiner Eltern auf meine Frage nach meiner Identität darstellt. Mama, Papa, wer bin ich? [Hier einsetzen: der Spruch meiner Eltern]

Aber warum ist das so? Nun, ich wurde in Russland geboren und wir zogen nach Deutschland, als ich gerade mal drei Jahre alt war. Drei Jahre meines Leben war ich Russin und sprach nur Russisch. Aber jetzt lebte ich in Deutschland, und hier nannten sie uns „Spätaussiedler“. Laut meinem Pass war ich jetzt allerdings Deutsche. Schön und gut. Im Kindergarten wurde mir verboten, Russisch zu sprechen, denn „du lebst jetzt in Deutschland“. Schön und gut. Meine Eltern sprachen kaum noch Russisch, und so verlor ich meine gesamte Sprachfertigkeit. Ich verstehe Russisch, aber ich spreche es nicht, denn wenn ich jetzt etwas sage, habe ich einen deutschen Akzent. Meine Eltern machen sich über mein Russisch lustig. Mir wurde meine Sprache geraubt. „Du lebst jetzt in Deutschland.“ Schön und gut. In der Grundschule nannten mich Kinder wie Lehrkräfte „Russlanddeutsche“. Schön und gut, das bin ich jetzt wohl. In der weiterführenden Schule, als meine Selbstwahrnehmung zunahm und ich mich mit der Pubertät herumschlug, sah ich es als positiv, dass ich anders war als die anderen. Ich schätzte die Fragmente unserer russischen Traditionen, unser Essen, unsere andersartige Mentalität und mein Verständnis der russischen Sprache. „Leute, ich bin Russin.“ Schließlich wurde ich ja dort geboren, oder nicht? Nein, [Spruch hier wieder einfügen]. Schön und gut. Nach der Schule verbrachte ich ein Jahr in den USA. Ich erzählte allen, ich sei Deutsche. Weil es einfacher war zu sagen, ich sei Deutsche, schließlich hatte ich dort ja den Großteil meines Lebens verbracht, oder nicht? „Aber du siehst gar nicht so deutsch aus“/„Aber dein Name ist nicht typisch deutsch“/„Woher kommen deine Eltern?“ Diese Frage führt zu einer ganz anderen Diskussion, da meine Mutter in Usbekistan geboren wurde, aber Russin und jetzt laut ihrem Reisepass Deutsche ist. Mein Vater wurde in Russland geboren, war aber immer Deutscher, weil sein Vater und Großvater ... damals ... Katharina die Große ... aber dann wiederum [Spruch hier wieder einfügen]. „OK, aber was bist du dann?“ Und das ist der Punkt, an dem mir immer die Tränen kommen. Weil ich nicht weiß, wer ich bin. Den Großteil meines Lebens versuchten andere mir zu erzählen, wer ich angeblich bin. Aber immer, wenn ich denke, OK, ich glaube, ich weiß jetzt endlich, wer ich bin ... Und dann fing der Krieg an. Und wer immer ich zu sein glaubte, jetzt erzählen mir alle plötzlich, ich solle lieber sagen, ich sei Deutsche, und die Tatsache verheimlichen, dass ich irgendetwas mit Russland zu tun habe. Wieder einmal fühle ich mich eines Teils meiner selbst beraubt. Und wieder einmal hauten mir meine Eltern diesen Spruch rein [Spruch hier wieder  einfügen]. Aber ich habe die Nase voll. Ich habe genug davon, „schön und gut“ zu sagen. Ich habe genug davon, Tränen zu vergießen. Ich habe genug davon, dass mir jemand erzählen will, wer ich bin oder nicht bin. Ich habe genug von dem Versuch, anhand meiner Länder, Sprachen oder Kulturen zu definieren, wer ich bin. Das mag für andere funktionieren, aber für mich leider nicht.

Ich nehme mir das Beste aus beiden Welten.
Ich bejahe das Beste aus beiden Welten.
Ich feiere das Beste aus beiden Welten.
Ich gehöre zu beiden Welten