Kultur

Auf ein Wort mit Robo Mársys

Foto: © Robo MarsysFoto: © Robo Mársys
Foto: © Robo Mársys

Das Treffen mit der Prager Post-Rock-Band Robo Mársys war ein echtes Adrenalin-Erlebnis. Das liegt nicht nur an ihren ungemein fesselnden melancholischen Melodien, die von einem rauen Gitarren-Sound begleitet werden, sondern auch daran, dass sich der Proberaum der Band in einer halbverlassenen Fabrikhalle in Prag-Vysočany befindet. Auf dem Gelände verirrt man sich selbst mit einer Karte.

Das Geflecht der dunklen Gassen zwischen den alten Industriegebäuden ist noch verwirrender als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Die Wände des Proberaums schmücken schwarze Platten mit einem leicht bläulichen Licht, von der Decke hängt eine Lampe, die aus dem Torso einer Schneiderpuppe hergestellt wurde. Trotz dieser einigermaßen schaurigen Location verläuft das ganze Treffen mehr als gut. Die jungen Musiker sind sehr freundlich, bieten einem Tee an und erzählen freimütig über ihre Musik und den Sinn dahinter. Und obwohl sie nicht in voller Besetzung waren, spielten sie gerne ihre neuen Stücke vor. Lukáš, Dan, Pavel, Fany und Loko verstehen es eben, einen guten Eindruck zu machen.

Als erstes muss ich natürlich nach dem Bandnamen fragen. Was bedeutet Robo Mársys?

Lukáš: Tja, wie soll man das sagen? Mit Dan war ich vorher schon in einer anderen Band. Unser Zusammenspiel funktionierte hervorragend und nach meinem Ausscheiden aus dieser Band wollten wir gemeinsam eine neue gründen. Wir hatten schon vor der ersten Probe eine ziemlich klare Vorstellung, was für einen Sound wir machen möchten. Diese Vorstellung ist eigentlich schon im Bandnamen angelegt. Sich wiederholende, atmosphärische Gitarrenriffs und ein rauschender Bass. Also der Name Robotic Point and the Marmelade System, den wir mit der Zeit zu Robo Mársys verkürzt haben.

Dan: Und das Marmeladen-System ist einfach so ein „Blop!“, ein fließender, sich ziehender Sound, einfach melodische Elemente.

Lukáš: Für uns sind beispielsweise Brit-Pop oder Indie-Musik wichtige Einflüsse. Deshalb habe ich es am liebsten, wenn der Sound meines Basses so… matschig ist.

Wie habt ihr dann mit Dan die Band zusammengestellt?

Lukáš: Mit Pavel sind wir zum Beispiel oft zelten gefahren, und wir wussten, dass er auch Musik macht. Er spielte zu der Zeit in etwa vier verschiedenen Bands, die aber alle gerade pausierten, also haben wir ihn angesprochen. Eine Sängerin haben wir über ein Inserat gesucht, worauf sich dann Fany gemeldet hat. Witzig war, dass wir uns vor dem ersten vereinbarten Treffen zufällig auf einer Party begegnet und einander ins Auge gefallen sind. Am nächsten Tag hatten wir unsere erste Probe gemeinsam mit Fany und Pavel und allen gefiel es. Loko kam ungefähr ein halbes Jahr später dazu. Wir wussten, dass wir der Musik mehrere Ebenen geben wollten, aber wir hatten keine Lust mehr auf gesampelte Elemente, da fehlte die Lebendigkeit.

Dan: Loko ist großartig. Vor allem ihre phlegmatische Art. Als sie zur Band stieß, hatten wir nur zwei Wochen bis zum nächsten Konzert. Und sie sagte, dass sei gar kein Thema, die ganze Musik könne sie in zwei Wochen lernen, dass würde sie schaffen. Sie ist vollkommen locker geblieben. Sie ist wirklich der größte Roboter von uns allen… Und das Konzert hat sie wirklich klasse über die Bühne gebracht.

Loko: Ich kann mich erinnern, wie sie an mir verzweifelten. Alle waren komplett nervös, und ich war vollkommen gelassen. Es ist wohl was dran, dass ich keine Emotionen habe, wie man manchmal über mich sagt… (lacht)

Wie lange seid ihr schon in dieser Besetzung zusammen?

Pavel: Das sind schon… Moment … zwei Jahre, fast. Ja, zwei Jahre.

War das hier schon immer euer Proberaum?

Lukáš: Ursprünglich war der gegenüber, in der großen Fabrikhalle, aber das war nichts. Die Räume waren zwar super, eine Menge Künstler und Bands an einem Ort, aber diese Filmtypen!

Pavel: Ja, man kam an, vor dem Eingang mehrere Autos und irgendjemand sagte dir dann, dass heute nicht geprobt werden kann, weil Filmaufnahmen gemacht werden. Das passierte ständig, da wird offenbar jede Woche gedreht!

Loko: Ich kann mich daran erinnern, wie einmal die Filmleute gekommen sind und wir uns in den Proberaum einschließen mussten und einen Höllenlärm machen sollten, und erst, als sie uns sagten, dass nichts zu hören ist, konnten wir anfangen zu proben! (lacht)

Lukáš: Also sind wir zu Beginn des letzten Sommers hierher umgezogen. Der Raum war in einem grauenhaften Zustand, alles fiel auseinander… das haben wir alles selbst repariert. Jetzt ist das nicht nur ein Proberaum, man kann hier auch Filme schauen, übernachten oder Partys feiern. Es ist also eher unser Klubhaus.

Wie würdet ihr euch als Band charakterisieren?

Lukáš: Wir wollen uns nicht charakterisieren, das mögen wir ganz prinzipiell nicht. Wir sind weder Fisch noch Fleisch.

Was hört ihr in eurer Freizeit, wenn es gerade nicht um die Band geht?

Pavel: Zum Beispiel And so I watch you from afar. Das ist eine irische Band, zum größten Teil machen die so Kneipenmusik ihrer Väter. Das ist harter Rock, aber das Irische kommt da durch…

Wer ist eure Zielgruppe? Für wen macht ihr die Musik?

Pavel: Wir wollen nicht für die Masse spielen. Wir wollen aber für Fans spielen, eine Art kleine Kultband sein! (lacht)

Wie steht es eurer Meinung nach um die tschechische Musikszene?

Lukáš: Es gibt hier viel gute Musik, aber es scheint als hörten alle nur die paar bekannteren Bands und Künstler. Das ist so ein Massenwahnsinn. Anstatt sich selbst eine Band zu suchen, die einen irgendwie anspricht, hören die Leute das, was ihnen von irgendwem serviert wird.

Dan: Es ist auch etwas ganz anderes, wenn man aus Prag raus fährt. Da kommen auf einmal nette Leute, die sich mit einem fotografieren lassen wollen; man verkauft mehr Alben. Das ist einfach eine andere Welt. Die Prager Musikszene ist eben furchtbar übersättigt, jeder hat mindestens einen Freund, der in irgendeiner Band spielt, das haut hier keinen mehr richtig vom Hocker.

Was plant ihr jetzt?

Lukáš: Im Januar fahren wir in die Beskiden zu Tomáš Neuwerth, um bei ihm unsere EP Aeronaut aufzunehmen. Wir haben lange an der Musik gearbeitet und glauben, dass gerade er uns helfen kann, dem Ganzen den letzten Schliff zu geben.

Pavel: Im Sommer hoffen wir, wieder auf einigen Festivals spielen zu können. 

Was würdet ihr den Leuten sagen, die dieses Interview lesen – irgendeine Botschaft?

Lukáš: Ich würde mir sehr wünschen, dass die Menschen bereit wären nachzudenken und sich nicht damit zufrieden geben, was ihnen vom Radio aufgedrängt wird und selbst nach der Musik suchen, die ihnen etwas geben kann.

Dan: Und vielleicht auch mal Konzerte von weniger bekannten Bands besuchen. In Prag beispielsweise ist die Club-Szene gut, manchmal muss man nur 100 Kronen (knapp 3, 70 Euro) für ein Ticket bezahlen – man muss wirklich nicht auf die Konzerte bekannter Gesichter gehen um Musik zu hören, die mit Herz gemacht ist.

Das Interview führte Alžběta Šemrová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Januar 2015

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