Kann man Integration lernen?

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Integrationskurs im Kästner Kolleg, einer kleinen Sprachschule in Dresden, Foto: © Sylvia Lange

Integrationskurse sind nicht erst seit dem jüngsten Anstieg der Einwanderung nach Deutschland gefragt. Aber was ist überhaupt Gegenstand dieser Kurse? Wie laufen sie ab? Und was nehmen die Teilnehmer für den Alltag in Deutschland mit? Ein Blick hinter die Kulissen des Kästner Kollegs, einer kleinen Sprachschule in Dresden.

Der etwa 30-jährige Mohamed aus Syrien sitzt an der Anmeldung des Kästner Kollegs und bittet um die Registrierung zu einem Integrationskurs. Mohamed hat alle notwendigen Papiere beisammen und bereits erste Sprachkenntnisse erworben in einem freiwilligen Deutschkurs, der von Ehrenamtlichen geleitet wird.

Noch vor sechs Monaten lebte Mohamed in seiner syrischen Heimat. Der Krieg zwang ihn zur Flucht. Die führte ihn zunächst in die Türkei, von wo aus er mit acht weiteren Personen auf einem Schlauchboot die circa 1500 Euro teure, gefährliche Fahrt über das nächtliche Meer nach Europa wagte. In einem Güterzug versteckt, harrte Mohamed 22 Stunden mit nur wenig Wasser aus. Mit Bussen und Personenzügen ging es weiter nach Deutschland, zwischendurch wurde Mohamed von der Polizei angehalten und kurzzeitig in Notunterkünften untergebracht. Jetzt lebt er seit vier Wochen in seiner eigenen Wohnung in Dresden. Das alles erzählt er mit einem Lächeln: Dankbar sei er, dass er überlebt hat, und dass er jetzt hier sein darf.

Mohamed bekommt einen Termin für den Einstufungstest „und wenn wir noch freie Plätze auf dem passenden Deutschlevel haben, kannst du direkt nächste Woche Montag mit dem Integrationskurs beginnen“, sagt Franziska, eine Mitarbeiterin des Kollegs, die vor allem an der Anmeldung tätig ist und dort häufig mit den furchtbaren Geschichten der Kursteilnehmer konfrontiert wird. Dabei sind jedoch nicht alle so auskunftsfreudig wie Mohamed. Zu frisch sind die Erinnerungen an Krieg und Flucht.

„Es ist schön, zu erleben wie sich die Unterhaltungen mit anfangs verb-losen Sätzen zu ausführlichen Gesprächen mit Witz und Ironie (auf Deutsch!) entwickeln.“

Neben Kriegsflüchtlingen wie Mohamed kommen aber auch Migranten aus sicheren Herkunftsländern ins Kästner Kolleg. Einen Integrationskurs beantragen können nämlich EU-Bürger, Flüchtlinge, Spätaussiedler oder Menschen mit deutschen Ehepartnern. Der Antrag wird dann vom BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) geprüft. Nach positivem Bescheid und einem Einstufungstest kann es sofort losgehen – wenn freie Plätze vorhanden sind.

Der Kurs ist nicht für alle Ausländer ein Muss, aber das Gelernte hilft ungemein im Alltag. In den Kursen, die bis zu sieben Monate dauern können, geht es vor allem um den Erwerb von Deutschkenntnissen, die die Schülerinnen und Schüler im alltäglichen Leben brauchen und anwenden können. So wird etwa gelehrt „ auf Deutsch Briefe und E-Mails zu schreiben, Formulare auszufüllen, zu telefonieren oder sich auf eine Arbeitsstelle zu bewerben“ – so beschreibt es das BAMF.

Da der Kurs zum großen Teil finanziell gefördert wird, ist man als Teilnehmer*in verpflichtet jeden Tag pünktlich zu den fünf Stunden Unterricht zu erscheinen. Am Ende des Kurses gibt es eine Abschlussprüfung und bei gutem Bestehen bekommt man das „Zertifikat Integration“, welches bei vielen Arbeitgebern als Voraussetzung für eine Anstellung gilt.

In etlichen Schulen und Sprachinstituten wird der Integrationskurs angeboten, alleine 44 Kursträger gibt es in und um Dresden. Im Kästner Kolleg werden Integrationskursschüler und andere Sprachlerner zusammen unterrichtet. So treffen die unterschiedlichsten Generationen, Geschichten und Nationen in einem Raum aufeinander, mit einem gemeinsamen Ziel: die richtigen Artikel finden, Perfekt und Präteritum verstehen, um sich auf Deutsch unterhalten zu können. Für den Erwerb des „Zertifikats Integration“ ist außerdem ein vierwöchiger Orientierungskurs obligatorisch, der den Teilnehmern deutsche Geschichte, Kultur, Rechtsordnung und Ähnliches vermittelt.

„Es ist schön, zu erleben wie sich die Unterhaltungen mit anfangs verb-losen Sätzen zu ausführlichen Gesprächen mit Witz und Ironie (auf Deutsch!) entwickeln, und zu sehen, wie die Schüler dann selbstständig in Dresden leben und arbeiten können“, erzählt Franziska vom Kästner Kolleg.

Die Sprachschule in der Dresdner Neustadt bietet bereits seit 1998 Deutschkurse an und hat jádu freundlicherweise erlaubt bei zwei Unterrichtsstunden eines Integrationskurses dabei zu sein.



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Januar 2016
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