Gefährlich gesund
#bikinibridge und #thinspiration waren gestern – in sozialen Netzwerken ist jetzt #strongisthenewskinny der neue Trend. Anstelle krankhaft dünner Körper sind die durchtrainierten Sixpacks von Fitness-Bloggern getreten und gesunde Mahlzeiten wie Avocados und Chia Samen-Pudding. Aber zeigt dieser Trend wirklich einen gesunden Lifestyle oder doch nur ein neues unrealistisches Ideal?
Unter dem noch vor einigen Jahren sehr populären Hashtag #thinspo (Abkürzung für den Wortmix aus thin und inspiration) sammelten sich in sozialen Netzwerken wie Instagram Bilder von mageren bis knochigen Körpern und bedenkliche Abnehmtipps. Nachdem Instagram 2012 versuchte den gefährlichen Trend mit einem Verbot des Schlagworts zu unterbinden, entwickelte sich dieser zu einer Art Codewort für Magersüchtige und Pro-Ana-Blogger. Die Liebhaber der Mainstream-Schönheitstrends begeisterte bald ein neuer Hashtag: #fitspo. Fitness-Blogger, die immer öfter Schauspieler und Models als Vorbilder ablösen, posten Bilder von sich auf der Hantelbank, beim Workout in schicker Sportkleidung und von ihren gesunden Powerfoods und Proteinshakes. Für viele User in den sozialen Medien sind sie eine Inspiration, den eigenen Lebensstil zu überdenken und sich für einen gesünderen Alltag zu entscheiden.
Doch auch dieser Trend ist alles andere als #healthy, wenn online eine Scheinwelt entsteht, die die User nicht mehr von der Realität unterscheiden können. „Im Internet sehen die Menschen jeden Tag Bilder von ‚idealen Körpern‘, die mal durch sichtbare, mal durch unsichtbare Manipulationstechniken bearbeitet wurden“, erklärt Wencke Schwarz, die als Sportpsychologin und Coach arbeitet. „Zwar entwickeln wir langsam ein Bewusstsein dafür, dass diese Bilder oft manipuliert sind, aber das Retuschierte nehmen wir dennoch mehr und mehr als Regel wahr.“
Strong is the new skinny is the new perfect
Das Ideal #skinny scheint damit nur durch #strong und #healthy ersetzt worden zu sein und kann gerade junge User in sozialen Netzwerken unter Druck setzen, ihren Körper durch Fitness zur Perfektion trimmen zu müssen. „Ein Teil der Zielgruppe in sozialen Medien hat einen romantisierten, träumerischen Blick auf Fitness“, erklärt Wencke Schwarz dazu. Sie sehen nur die scheinbar glücklichen und erfolgreichen Momente der Fitness-Blogger und wollen auch so ein Leben führen, ohne dass ihnen bewusst ist, wie viel Arbeit, Disziplin sowie Druck und manchmal auch Manipulation hinter diesen „perfekten“ Bildern stecken. „Natürlich wollen Menschen sich als schön und glücklich darstellen. Wenn ein Model oder ein Instagrammer mal einen schlechten Tag hat, wird er oder sie in der Regel kein Foto hochladen wollen.“
Aber auch die Blogger selbst können dadurch in einen ungesunden Kreislauf geraten, wie das Beispiel des Fitness-Stars Celia Learmonth zeigt. Täglich postete sie Bilder ihrer intensiven Workouts und ihrer exakt abgemessenen Mahlzeiten und präsentierte sich damit als glückliche und erfolgreiche Person. Bis sie ihren über 20.000 Followern auf Instagram vor etwa einem Jahr überraschend gestand, dass sie eine Essstörung und ein negatives Körpergefühl entwickelt hatte, die sie hinter ihrem positiven Online-Auftritt zu verstecken versuchte.
Mehr als mein Sixpack
Der englische Mediziner Henry Kimpton entwickelte für dieses neue Phänomen die Bezeichnung „Instarexic“ – eine Mischung aus Instagram und anorexic, dem englischen Wort für magersüchtig. Anstatt zu hungern oder sich wie Bulimie-Kranke nach jeder Mahlzeit zu erbrechen, stürmen die Betroffenen nach jeder vermeintlichen Sünde ins Fitness-Studio, um bis zur Erschöpfung zu trainieren. Haben Instagram und Co. generell einen negativen Einfluss auf die Fitnesskultur und unser Körpergefühl? „Soziale Medien sind ein Multiplikator, den wir aus der Natur oder aus dem Alltag nicht kennen. Wenn ich plötzlich hunderte, gar tausende Follower habe, dann macht das etwas mit mir. Dieser enorm große Wirkungshebel kann auch in eine negative Richtung funktionieren. Gerade bei sehr ehrgeizigen und leistungsbezogenen Menschen wie zum Beispiel Celia Learmonth kann das innerlich zu großem Druck und einer (falschen) Erwartungshaltung an sich selbst führen“, so Wencke Schwarz.
Welche Motivation wirklich dahinter steckt, mit Fitnesstraining zu beginnen oder dabei Fortschritte zu machen, müsse man sich bewusst machen. „Grundsätzlich ist ein Ziel zu verfolgen klasse. Doch auf dem Weg dahin gibt es immer mal wieder einen schlechten Tag, das Bedürfnis nach Erholung oder einen Stolperstein – das gehört dazu. Wenn ich meinen gesamten Erfolg deshalb in Frage stelle und mir einen zu großen Kopf mache oder gar wichtige Bereiche aus meinem Leben aus den Augen verliere, wie Freunde oder Familie, dann kann ich von einem eigentlich gesunden Weg in eine negativen Spirale rutschen, die mit Burnout, Depressionen oder Essstörungen enden kann“, warnt Wencke Schwarz. „Solange ich weiß, dass ich deutlich mehr als nur mein Sixpack und Fitness bin, befinde ich mich in einem positiven Bereich.“
Bitte mehr Sein als Schein
Ungesunder Lebensstil und psychische Erkrankungen sind keine neuen Phänomene. Die gesellschaftliche Bedeutung sozialer Medien und die in ihnen übliche Selbstinszenierung tragen aber auch nicht gerade zu deren Eindämmung bei. „In dieser perfekten Online-Welt fällt es noch schwerer, bei sich zu bleiben“, vermutet Wencke Schwarz. „Wie grenze ich mich ab? Wozu sage ich ja und wozu sage ich nein? Wichtig dabei ist auch die Fähigkeit, sich zurück zu besinnen: Wer bin ich? Was tut mir gut? Bin ich nur mein Körper und mein Essverhalten?“
Als Vorbilder und Inspiration für ihre vielen Follower nehmen Fitness-Blogger dabei trotzdem eine besondere Position ein. „Fitness-Blogger sollten auch zeigen können, dass gerade die sozialen Medien eine Scheinwelt darstellen, zum Beispiel durch den Hinweis, dass es sich um ein professionelles Fotoshooting handelt“, findet Wencke Schwarz. „Dass dahinter auch eine Menge Arbeit und Disziplin stecken und dass neben dem Körper auch die Persönlichkeit wichtig ist. Sowohl für den Erfolg in dieser Branche, als auch für einen selbst. Fitness allein macht nicht glücklich, auch diese Menschen haben mal Probleme oder einen schlechten Tag.“ Und vielleicht würden sich in einem ehrlichen Post von einem Null-Bock-Tag sogar mehr Menschen wiederfinden als in einem perfekten gestellten Foto.