Gefährlich gesund

Foto: Keith Allison, CC BY-SA 2.0Foto: Keith Allison, CC BY-SA 2.0
Wie echt ist das Lächeln der Fitnessblogger? Foto: Keith Allison, CC BY-SA 2.0

#bikinibridge und #thinspiration waren gestern – in sozialen Netzwerken ist jetzt #strongisthenewskinny der neue Trend. Anstelle krankhaft dünner Körper sind die durchtrainierten Sixpacks von Fitness-Bloggern getreten und gesunde Mahlzeiten wie Avocados und Chia Samen-Pudding. Aber zeigt dieser Trend wirklich einen gesunden Lifestyle oder doch nur ein neues unrealistisches Ideal?

Unter dem noch vor einigen Jahren sehr populären Hashtag #thinspo (Abkürzung für den Wortmix aus thin und inspiration) sammelten sich in sozialen Netzwerken wie Instagram Bilder von mageren bis knochigen Körpern und bedenkliche Abnehmtipps. Nachdem Instagram 2012 versuchte den gefährlichen Trend mit einem Verbot des Schlagworts zu unterbinden, entwickelte sich dieser zu einer Art Codewort für Magersüchtige und Pro-Ana-Blogger. Die Liebhaber der Mainstream-Schönheitstrends begeisterte bald ein neuer Hashtag: #fitspo. Fitness-Blogger, die immer öfter Schauspieler und Models als Vorbilder ablösen, posten Bilder von sich auf der Hantelbank, beim Workout in schicker Sportkleidung und von ihren gesunden Powerfoods und Proteinshakes. Für viele User in den sozialen Medien sind sie eine Inspiration, den eigenen Lebensstil zu überdenken und sich für einen gesünderen Alltag zu entscheiden.

Doch auch dieser Trend ist alles andere als #healthy, wenn online eine Scheinwelt entsteht, die die User nicht mehr von der Realität unterscheiden können. „Im Internet sehen die Menschen jeden Tag Bilder von ‚idealen Körpern‘, die mal durch sichtbare, mal durch unsichtbare Manipulationstechniken bearbeitet wurden“, erklärt Wencke Schwarz, die als Sportpsychologin und Coach arbeitet. „Zwar entwickeln wir langsam ein Bewusstsein dafür, dass diese Bilder oft manipuliert sind, aber das Retuschierte nehmen wir dennoch mehr und mehr als Regel wahr.“

Strong is the new skinny is the new perfect

Das Ideal #skinny scheint damit nur durch #strong und #healthy ersetzt worden zu sein und kann gerade junge User in sozialen Netzwerken unter Druck setzen, ihren Körper durch Fitness zur Perfektion trimmen zu müssen. „Ein Teil der Zielgruppe in sozialen Medien hat einen romantisierten, träumerischen Blick auf Fitness“, erklärt Wencke Schwarz dazu. Sie sehen nur die scheinbar glücklichen und erfolgreichen Momente der Fitness-Blogger und wollen auch so ein Leben führen, ohne dass ihnen bewusst ist, wie viel Arbeit, Disziplin sowie Druck und manchmal auch Manipulation hinter diesen „perfekten“ Bildern stecken. „Natürlich wollen Menschen sich als schön und glücklich darstellen. Wenn ein Model oder ein Instagrammer mal einen schlechten Tag hat, wird er oder sie in der Regel kein Foto hochladen wollen.“

Aber auch die Blogger selbst können dadurch in einen ungesunden Kreislauf geraten, wie das Beispiel des Fitness-Stars Celia Learmonth zeigt. Täglich postete sie Bilder ihrer intensiven Workouts und ihrer exakt abgemessenen Mahlzeiten und präsentierte sich damit als glückliche und erfolgreiche Person. Bis sie ihren über 20.000 Followern auf Instagram vor etwa einem Jahr überraschend gestand, dass sie eine Essstörung und ein negatives Körpergefühl entwickelt hatte, die sie hinter ihrem positiven Online-Auftritt zu verstecken versuchte.

I guess this is the photo of the day. I'm Celia Learmonth, and like many others, I struggle with Anxiety and a distorted perception of my abilities, which has resulted in a poor body image. I find it very hard to congratulate, and all too often, over the most insignificant things, self-flagellate. I shamefully admit that I am a fraudulent fitness blogger- or at least that's how I feel. Firstly, thank you to those who have contacted me with your kind supportive words, but I'm afraid I have to respectfully disagree when you have said that what I have done has been "brave". Quite the contrary, I feel rather cowardly being in this position, hiding my "Slimconvenient Truth" from you over the past few months, and then hiding behind a newspaper to do my talking for me, and would now like to set the record straight, with my voice. September 2014, my life started to crumble around me due to a rather turbulent family time. I felt I was rapidly losing a grip on the things I had worked so hard to build up, and my Achilles heel- my body image and my relationship with food- was ruptured and I was catapulted back into old thought patterns and behaviours. I realised I had created an alter ego, and felt I had to keep up appearances to stay afloat. It wasn't that I wished to be actively deceitful- it was more a hope that by keeping my Instagram going, I would help myself 'get back on track' - but now, almost a year on, despite my efforts to tread water and stay afloat, I'm crestfallen to admit that I have not been able to help myself get back to balance. I can only fit so much into one post but will follow up with a blog post this week to clarify and explain further. I apologise for leading you to believe something that I'm not. It was a tool to try and inspire myself to find this balanced life, but has just taken much longer than I'd hoped and I had dug myself in too deep to express how I've truly felt over the course of this year. I hope you understand and give me a chance to find my feet again.

Ein von Celia Learmonth (@iamcelialearmonth) gepostetes Foto am

Mehr als mein Sixpack

Der englische Mediziner Henry Kimpton entwickelte für dieses neue Phänomen die Bezeichnung „Instarexic“ – eine Mischung aus Instagram und anorexic, dem englischen Wort für magersüchtig. Anstatt zu hungern oder sich wie Bulimie-Kranke nach jeder Mahlzeit zu erbrechen, stürmen die Betroffenen nach jeder vermeintlichen Sünde ins Fitness-Studio, um bis zur Erschöpfung zu trainieren. Haben Instagram und Co. generell einen negativen Einfluss auf die Fitnesskultur und unser Körpergefühl? „Soziale Medien sind ein Multiplikator, den wir aus der Natur oder aus dem Alltag nicht kennen. Wenn ich plötzlich hunderte, gar tausende Follower habe, dann macht das etwas mit mir. Dieser enorm große Wirkungshebel kann auch in eine negative Richtung funktionieren. Gerade bei sehr ehrgeizigen und leistungsbezogenen Menschen wie zum Beispiel Celia Learmonth kann das innerlich zu großem Druck und einer (falschen) Erwartungshaltung an sich selbst führen“, so Wencke Schwarz.

Welche Motivation wirklich dahinter steckt, mit Fitnesstraining zu beginnen oder dabei Fortschritte zu machen, müsse man sich bewusst machen. „Grundsätzlich ist ein Ziel zu verfolgen klasse. Doch auf dem Weg dahin gibt es immer mal wieder einen schlechten Tag, das Bedürfnis nach Erholung oder einen Stolperstein – das gehört dazu. Wenn ich meinen gesamten Erfolg deshalb in Frage stelle und mir einen zu großen Kopf mache oder gar wichtige Bereiche aus meinem Leben aus den Augen verliere, wie Freunde oder Familie, dann kann ich von einem eigentlich gesunden Weg in eine negativen Spirale rutschen, die mit Burnout, Depressionen oder Essstörungen enden kann“, warnt Wencke Schwarz. „Solange ich weiß, dass ich deutlich mehr als nur mein Sixpack und Fitness bin, befinde ich mich in einem positiven Bereich.“

Foto: © Wencke Schwarz
Sportpsychologin und Coach Wencke Schwarz

Bitte mehr Sein als Schein

Ungesunder Lebensstil und psychische Erkrankungen sind keine neuen Phänomene. Die gesellschaftliche Bedeutung sozialer Medien und die in ihnen übliche Selbstinszenierung tragen aber auch nicht gerade zu deren Eindämmung bei. „In dieser perfekten Online-Welt fällt es noch schwerer, bei sich zu bleiben“, vermutet Wencke Schwarz. „Wie grenze ich mich ab? Wozu sage ich ja und wozu sage ich nein? Wichtig dabei ist auch die Fähigkeit, sich zurück zu besinnen: Wer bin ich? Was tut mir gut? Bin ich nur mein Körper und mein Essverhalten?“

Als Vorbilder und Inspiration für ihre vielen Follower nehmen Fitness-Blogger dabei trotzdem eine besondere Position ein. „Fitness-Blogger sollten auch zeigen können, dass gerade die sozialen Medien eine Scheinwelt darstellen, zum Beispiel durch den Hinweis, dass es sich um ein professionelles Fotoshooting handelt“, findet Wencke Schwarz. „Dass dahinter auch eine Menge Arbeit und Disziplin stecken und dass neben dem Körper auch die Persönlichkeit wichtig ist. Sowohl für den Erfolg in dieser Branche, als auch für einen selbst. Fitness allein macht nicht glücklich, auch diese Menschen haben mal Probleme oder einen schlechten Tag.“ Und vielleicht würden sich in einem ehrlichen Post von einem Null-Bock-Tag sogar mehr Menschen wiederfinden als in einem perfekten gestellten Foto.

Anne Weißbach

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Oktober 2016

    Sportpsychologin und Coach Wencke Schwarz

    Wencke Schwarz ist studierte Diplom-Psychologin und arbeitet als Sportspsychologin, Unternehmensberaterin und Coach in Wirtschaft und Sport. Mit ihren Firma Menschen im Fokus – bringt weiter. macht kreativer ist sie in der Wirtschaft als Führungskräfte-Coach aktiv und begleitet Veränderungs- und Entwicklungsprozesse von Menschen und Organisationen. Mit ihrer Firma Sportler im Fokus – wie Sieger denken unterstützt sie Sportler und Teams in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und hilft mental stark und innerlich balanciert zu sein, um das eigene Leistungsvermögen umsetzen zu können. Darüber hinaus arbeitet Sie auf strategischer Ebene mit Vereinen, Verbänden und den Entscheidern zusammen.

    Bei Interesse an Sport und Psychologie könnt ihr Wencke und ihrem Kollegen Manuel auf Sportler im Fokus folgen.

    Weitere Beiträge zum Thema

    Gefährlich gesund
    #bikinibridge war gestern – in sozialen Netzwerken ist jetzt #strongisthenewskinny der neue Trend. Anstelle krankhaft dünner Körper sind die Sixpacks von Fitness-Bloggern getreten. Ist das wirklich gesünder?

    „Beweg dich, damit du nützlich bist“
    Oberschenkel wie Baumstämme, aber unfähig über einen Zaun zu klettern? Fitnesstrainer Tomáš Novohradský macht sich stark für ein natürliches, altmodisches Verständnis von Bewegung.

    Angst vor Sport auf der Arbeit
    Für unsportliche Angestellte sind Betriebsausflüge und Teamcoachings oft der blanke Horror. Trotzdem spielt Sport in vielen Firmen eine immer größere Rolle.

    Muskelspiel und Kopfarbeit
    Frauen-Bodybuilding polarisiert: Die einen finden es „unweiblich“, andere sind seit Jahrzehnten treue Fans. Der Sport versucht sich an einem neuen Image – und schafft sich damit vielleicht selbst ab.

    „Wenn Kickboxen nicht geht, spiele ich Flöte“
    Lucie Mlejnková ist Europameisterin im Kickboxen und Thaiboxen. Den harten Körperkontakt mit einem anderen verschwitzten Körper mag sie dennoch nicht besonders.

    Ich bin ein Hula-Hoop-Girl!
    Gill scheut sich, ihre „unerlaubt wellenden Körperteile“ zu zeigen. Sport ist nicht ihr Ding. Trotzdem traute sie sich auf einen Hula-Hoop-Kurs. Wie das wohl ausgegangen ist?

    Themen auf jádu

    Gemischtes Doppel | V4

    Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

    Heute ist Morgen
    Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

    Im Auge des Betrachters
    … liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

    Dazugehören
    Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

    Themenarchiv
    Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...