Interview zur Ausstellung „This Is Not Lebanon“
„Die Menschen im Libanon fühlen sich verloren“

Kurator, Performance- und Medienkünstler Rabih Mroué.
Kurator, Performance- und Medienkünstler Rabih Mroué. | Foto (Ausschnitt): © Rabih Mroué

Das dreiwöchige Festival „This Is Not Lebanon“ präsentiert vom 26. August bis 12. September in Frankfurt am Main ganz unterschiedliche künstlerische Per­spek­tiven auf die Situation in dem schwer getroffenen Land. Einer der Kuratoren ist der Performance- und Medienkünstler Rabih Mroué.

Von Annette Walter

Herr Mroué, könnten Sie die aktuelle Situation in Beirut beschreiben? Sie leben seit acht Jahren in Berlin, aber im Moment sind Sie in Beirut.

Rabih Mroué: Genau. Ich habe noch eine Wohnung in Beirut, meine Familie und viele Verbindungen. Im Laufe der Jahre seit 1990 haben wir unter der Regierung gelitten, sie verhalten sich wie Kriegsherren. Seit Oktober 2019 sprechen wir von einer Revolution gegen die korrupte Situation. Die Wirtschaft begann zu kollabieren. Derzeit gibt es eine sehr schwere und harte Krise. Die libanesische Währung hat 200 Prozent ihres Wertes verloren. Jemand, der zum Beispiel 3000 Pfund im Monat bekommen hat, erhält jetzt äquivalent nur noch 200 Pfund. Und das, obwohl die Preise steigen.

Was bedeutet das für die Bevölkerung?

Rabih Mroué: Die Menschen kämpfen für ihre täglichen Bedürfnisse. Sie müssen Benzin für ihre Autos auftreiben. Es gibt nicht überall Wasser oder Strom, von privaten Genera­toren mal abgesehen.

Wie reagiert die Regierung auf diese Situation?

Rabih Mroué: Die Regierung ist abwesend und existiert nicht. Sie überweisen ihr Geld ins Ausland. Das Bankensystem ist ganz auf die korrupte Regierung ausgerichtet. Das gesamte Geld der Menschen wird von den Banken beschlagnahmt, die von der Regierung geschützt werden. Die Libanesen haben keinen Zugriff auf das Geld, das sie besitzen. Die Banken geben uns monatlich nur 100 oder 200 Dollar, die in die libanesische Währung getauscht werden – sie stehlen uns Geld.

Wie fühlen sich Ihre Familie und Freunde?

Rabih Mroué: Die Stadt Beirut ist sehr traurig. Das libanesische Volk ist verloren und wartet auf das, was kommt. Jeder Tag bringt Schlimmeres. Die Hoffnung geht gegen null – aber es gibt noch Hoffnung.

Der Titel des Festivals lautet „Das ist nicht der Libanon“. Was genau ist damit gemeint?

Rabih Mroué: Wir wollen eine alternative Perspektive vermitteln. Über die Lage im Libanon gibt es sehr häufig vereinfachende Berichte in den Medien. Die Situation stellt sich aber in Wirklichkeit anders dar als in den Berichten, die wir in den westlichen Medien lesen.

Inwiefern kann das Festival zu einer Änderung der Vorstellungen über den Libanon führen?

Rabih Mroué: Wir bringen Menschen dazu, über die Situation im Libanon zu sprechen und sie darzustellen. Der Titel bedeutet für mich: Erwarten Sie nicht, dass die Künstler*innen des Festivals alle Libanes*innen vertreten. Die Künstler*innen kommen nur, um sich als Individuen darzustellen. Dies ist sehr wichtig, da es sehr problematisch ist, für alle Libanesen zu sprechen oder den Libanesen an sich zu vertreten – es ist sehr gefährlich. Es ist also eine sehr individuelle Sichtweise.

Können Sie das Programm des Festivals genauer erläutern?

Rabih Mroué: Beim Festival treten ganz unterschiedliche Künstler*innen auf. Etwa eine Uraufführung von Lawrence Abu Hamdan, einem der derzeit interessantesten Künstler*innen des Libanons, der audiovisuelle Installationen und Performances erschafft, aber auch Marwa Arsanios, Star der letzten Berlin Biennale, mit einer feministischen und performativen Videoinstallation. Das Ensemble Modern entwickelt ein Musik­pro­gramm. Außerdem gibt es ein Konzert von Bo Nasser Toufar, einem der angesehensten Rapper im Libanon.

Alle Künstler*innen wollen ihre Gedanken, ihre Ideen mit anderen Menschen teilen, ohne das Thema zu vereinfachen oder wie Lehrer*innen zu unterrichten, sondern um  eine Diskussion zu eröffnen. Sie versuchen, die von den Medien verbreiteten Klischees und Normen zu verändern und für das Publikum komplexer zu machen. Die Situation in dieser Region ist nicht schwer zu verstehen, aber es bedarf der Anstrengung, sie nicht nur in Gut und Böse zu unterteilen, in diese unzulängliche Dichotomie. Die Realität ist viel kom­plexer.

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