Seminar Passagens

Mo, 12.09.2016 –
Di, 13.09.2016

19:00 Uhr

Goethe-Institut

Der historische Wandel von modernen Ausstellungskonzepten

Der historische Wandel von modernen Ausstellungskonzepten ist Thema dieser zweitägigen Veranstaltung mit Charlotte Klonk. Klonk unterrichtet an der Berliner Humboldt-Universität. Ihr Buch „Spaces of Experience: Art Gallery Interiors from 1800 to 2000“ wurde bei Yale University Press veröffentlicht. Debattiert wird über zwei „Übergänge“ des Museumsraums in das weitere Feld der zeitgenössischen Kunst. Dabei werden die modernen Prinzipien der Autonomie und der Entpolitisierung der Kunstrezeption hinterfragt.
 
12.09 | 19 Uhr
... VOM MUSEUM DER 100 TAGE ZUM GLOBALEN SÜDEN
Die Veranstaltung beginnt mit einer öffentlichen Debatte darüber, wie sich die Ausstellungskonzepte auf der Kasseler documenta im Zeitalter der Globalisierung verändert haben. Zu den Teilnehmern zählt Marina Fokidis, Leiterin des Künstlerischen Büros der documenta 14 in Athen und Herausgeberin der Zeitschrift „South as a State of Mind“.
 
Die Ursprünge der documenta liegen im Europa der Nachkriegszeit und der Restauration der Tradition der Moderne, die vom Nazi-Regime verboten worden war. Die Ausstellung wurde auf Initiative von Arnold Bode als ein „Museum der 100 Tage“ ins Leben gerufen und fand das erste Mal 1955 statt, in den Ruinen des Fridericianum-Museums in Kassel. Da die documenta von der Autonomie der ästhetischen Erfahrung und der Universalität der modernen künstlerischen Sprache ausging, spielte sie eine sehr wichtige Rolle in der Internationalisierung zeitgenössischer Kunst während des Kalten Krieges. In den 1990er-Jahren begannen die künstlerischen Leiter der documenta jedoch, ihre Internationalität sowie den Ausstellungsort in Kassel im Zentrum eines wiedervereinigten Deutschlands zu hinterfragen. Die documenta 14, die von Adam Szymczyk und seinem Team organisiert wird, folgt diesem Trend und findet an zwei Standorten statt: Kassel und Athen. Damit stellt sie das Konzept der Ausstellung infrage, 100 Tage lang die wichtigsten Namen aus der globalen zeitgenössischen Kunst zu Gast zu haben, und teilt ihre privilegierte Rolle in dem System über einen „Lernprozess“ mit der Stadt Athen, ihren Kunsteinrichtungen und ihren Kulturschaffenden.
 
Was bedeutet diese Einrichtung zusätzlicher Standorte unter einer modernistischen und internationalistischen Perspektive, die sich auf die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Dilemmata des sogenannten „Globalen Südens“ richtet? Wie spiegelt sich dieser Wandel vom ursprünglichen Konzept einer Ausstellung als Museum der 100 Tage zu einem „Lernprozess“ zwischen Kassel und Athen wider in den verschiedenen Arten, zeitgenössische Kunst auszustellen, und in den ideologischen Aspekten des White Cube? Welche Vergleiche lassen sich ziehen zwischen der geopolitischen Situation von Kassel 1955 und 1989 und der von Athen oder São Paulo 2016? Wie wirken sich die verschiedenen Standorte und Ausstellungszeiten auf die Erfahrung der Besucher und auf die Rezeption zeitgenössischer Kunst aus?
 
13.09 | 19 Uhr
VOM WHITE CUBE ZUR SCHULE DER UNPARTEILICHKEIT
Über die geopolitische Perspektive hinaus, die am ersten Tag im Mittelpunkt steht, hat es sich die Veranstaltung zum Ziel gesetzt, die Analyse der Ausstellungen, insbesondere die ideologische und epistemologische Dekonstruktion des Konzepts des White Cube, in den Kontext der Repräsentationskrise zu stellen, vor der die Politik heute steht. So werden die Debatten am zweiten Tag wieder aufgenommen, und zwar von den Forschern Gabriel Zacarias (Unicamp), Gilberto Mariotti (Escola da Cidade), Jens Baumgarten (UNIFESP) und Marta Bogéa (USP). Sie wurden eingeladen, um die Geschichte des White Cube kritisch zu kommentieren oder von ihren eigenen Erfahrungen damit zu berichten. Diese facettenreiche Geschichte wird von Charlotte Klonk vorgestellt.
 
Das Ausstellungskonzept hat seinen Wurzeln in den Zeiten der Weimarer Republik und bekam die Bezeichnung „White Cube“ 1976 von Brian O’Doherty. In den 1920ern experimentierten Architekten und Künstler, die mit dem Bauhaus und der Avantgarde des Konstruktivismus in Verbindung standen, mit der Organisation von Ausstellungsräumen. Das beeinflusste deutsche Museumsleiter, insbesondere Ludwig Justi, der dafür verantwortlich war, dass die Sammlung moderner Kunst der Nationalgalerie 1927 ins Kronprinzenpalais verlegt wurde. Die Öffnung und Flexibilisierung des Ausstellungsraums, der Einsatz weißer Wände, die für Neutralität standen, und die symmetrische Anordnung der Werke in der „Neuen Abteilung der Nationalgalerie Berlin im Kronprinzenpalais“ setzte Maßstäbe für das Museum of Modern Art in New York, das 1929 eröffnet wurde. Aber, wie Klonk in ihrem Buch aufzeigt, die Vorstellung von der individuellen Erfahrung eines Kunstwerks, die das MoMa vertrat, war nicht nur dem Verständnis moderner Kunst von Alfred Barr Jr. geschuldet, sondern ebenso den Werten der nordamerikanischen Konsumgesellschaft. So sollte vergessen werden, wie Kunst vorher ausgestellt wurde, zugunsten eines entpolitisierten Präsentationskonzepts, das zeigen sollte, dass die moderne Kunst frei war von den politischen und sozialen Ideen der europäischen Avantgarden. Klonks Kritik zeigt deutlich, dass die Neutralität des Raumes nicht ausschließlich durch die Nüchternheit definiert wird, die aus den weißen Wänden und den wohlkalkulierten Abständen zwischen den Werken entsteht, sondern vor allem durch einen historiografischen Diskurs, der die Transzendenz des Werks evoziert, keine Aspekte außerhalb des Ausstellungsraums zulässt und dabei nur den ästhetischen Wert der gezeigten Objekte betont.
 
Dieser historische Blick, den Charlotte Klonk auf die verschiedenen Ausstellungskonzepte wirft, wird von den Diskussionsteilnehmern in einen Kontext gesetzt. So lassen sich Probleme, die dem Ambiente der Kunst eigen sind, mit politischen Reflexionen verknüpfen, die über diese Grenzen hinausgehen. Das kann die Probleme einschließen, die sich beim Versuch ergeben, die lokalen Institutionen zu entpolitisieren – Versuche, die von den reaktionären Teilen der brasilianischen Gesellschaft angestrengt werden. Die vorgebliche Unparteilichkeit, die die Neutralität der institutionellen Präsentation garantieren soll, läuft den „Lernprozessen“ mit den Perspektiven des Globalen Südens zuwider, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat, und auch ihren Auswirkungen auf Ausstellungskonzepte. Es geht also um die Herausforderung, die Kritik am White Cube in die Gegenwart zu transportieren, in der Kunst, aber auch in der Politik.
 
Veranstalter: Goethe-Institut São Paulo mit Vinicius Spricigo
Unterstützung: DAAD

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