Annäherung an eine Idee des Projekts „Streaming Egos“
Streaming Echos

Bild: Monoperro dibujando en las paredes de la burbuja de Plastique Fantastique
Monoperro bemalt die Wände der Blase von Plastique Fantastique | © Goethe-Institut Madrid

Wie haben das Internet und soziale Netzwerke unsere Vorstellung von Identität und die Art und Weise, wie wir interagieren, verändert? Ein einjähriger künstlerischer Denk- und Schaffensprozess gipfelte im Inneren einer enormen Plastikblase, die am Ende in Stücke geschnitten wurde. Einige abschließende Worte zum Projekt.

Beginnen wir mit einem bekannten Zitat von Plutarch: „Die ganze Welt spielt Komödie.“ Dass die Welt ein Theater ist, wissen wir bereits. Schon seit der Antike verwendet man diesen Gemeinplatz. Wir sind Masken, oder nur ein Name, hinter dem sich jemand verbirgt. Aber wer? Wer verbirgt sich hinter Monoperro? Oder hinter Dr. Kurogo, Sonia Gómez, Vic Snake, Anto Lloveras, Mateo Feijóo, Marco Canevacci und Angélica Beckett? Und wer verbirgt sich hinter dem Goethe-Institut, die vielleicht unheimlichste Maske von allen? Namen über Namen, immer nur Namen. Einige sind Pseudonyme oder eher Heteronyme. Und wenn sie echt sind, könnten sie auch erfunden sein: Sonia Gómez? Jemand gibt vor, unter diesen Namen zu schreiben, zu malen, zu tanzen, zu tätowieren, zu konstruieren, zu koordinieren, zu budgetieren und zu bezahlen. Oder anders ausgedrückt: Wer nutzt diese Herkunftsbezeichnungen, um sich selbst darzustellen?

Wie verhalten wir uns im Netz? Und wie schließen wir uns im digitalen Zeitalter zusammen und bilden neue Gemeinschaften? 

Streaming Egos entstand als Gemeinschaftsprojekt verschiedener Personen, ausgewählt von Mateo Feijóo, dem Projektkurator auf spanischer Seite. Schon früh war erkennbar, dass Künstler unterschiedlicher Disziplinen zusammengebracht werden sollten. Im August 2016 trat ein Mix aus Namen und Identitäten an, um als Gemeinschaft zu agieren und zu interagieren. In erster Linie geschah dies über einen Blog auf der Website des Goethe-Instituts: „Der moderne Mensch versucht, sein Selbstbild über soziale Netzwerke zu projizieren. Wie verhalten wir uns im Netz? Und wie schließen wir uns im digitalen Zeitalter zusammen und bilden neue Gemeinschaften?“ Streaming Egos ging also von der Frage aus: Lässt sich das Selbstbild in Einklang bringen mit dem öffentlichen Bild? Es macht das Ganze nicht unbedingt leichter, wenn Künstler und Intellektuelle mit unterschiedlichen Blickwinkeln beteiligt sind, und das auch noch aus verschiedenen Ländern wie Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien.

„Unsere Identität befindet sich am Anus“, so Monoperro in einem Gespräch.

Der Zeichner Monoperro brach mit einer einfachen Zeichnung im Spanien gewidmeten Teil des Blogs gewissermaßen das Eis.. Sie schlug derart ein, dass er den Ton und die Richtung der Reise vorgab, die sich im September 2015 erst am Anfang befand. Und damit nicht genug: Der Blog wurde gesperrt, weil in Deutschland der Verdacht aufkam, die Zeichnung könnte das Werk eines Hackers sein. Auf dem Bild ist zu sehen, wie jemand dem Betrachter seinen Anus entgegenreckt. Was Monoperro damit ausdrücken wollte, ist lediglich sein eigenes Verständnis von Identität. „Unsere Identität befindet sich am Anus“, sagte er in einem Gespräch am 8. Juni 2016 in der blasenförmigen Reifenkonstruktion, die das Berliner Künstlerkollektiv Plastique Fantastique im Garten des Goethe-Instituts in Madrid errichtet hatte. Am 9. Juni wurde sie zerstört und setzte so nach einer Reihe von Aktionen, Gesprächen und Vorführungen der Projektbeteiligten den Schlussstrich unter Streaming Egos. Was übrig blieb, waren nicht umsonst die Zeichnungen von Monoperro. In dem winzigen Loch seiner Anus-Zeichnung, einem intimen aber auch immer gleichen Ort, befindet sich die Identität. Als ob Monoperro darauf hinaus wollte, dass „Identität“ und „identisch“ gleichbedeutend sind. Worauf sich die Frage stellt, inwieweit die Identität der Projektbeteiligten austauschbar ist. Dies in etwa wollte wohl Angélica Beckett zum Ausdruck bringen – das Alter Ego des Autors, das er für Facebook-Kontakte mit anderen Projektteilnehmern verwendete. Angélica Beckett also eignete sich die Zeichnungen von Monoperro an und postete sie in ihrer Facebook-Chronik. So gesehen könnte man fragen, inwieweit die Tänzerin Sonia Gómez als Autorin der Klangstücke von Dr. Kurogo firmiert. Oder inwieweit der Musiker Dr. Kurogo die Tätowierungen – ein Punkt oder ein Kreuz – kreierte, die im Juni in der „Blase“ unter dem Namen Vic Snake entstanden.

Soziale Netzwerke sind narzisstische Medien

Der Philosoph Byung-Chul schreibt in seinem Buch Im Schwarm, dass „unsere heutige Gesellschaft immer narzisstischer wird“. Und an anderer Stelle: „Soziale Medien wie Twitter oder Facebook verschärfen diese Entwicklung, denn sie sind narzisstische Medien“. Ovid verknüpft den Narziss-Mythos im dritten Buch seiner Metamorphosen mit einer anderen nicht minder interessanten Figur, die Nymphe Echo. Echo und Narziss verkörpern interessanterweise eine Stimme, die auf der Suche ist, ein Subjekt, das sich selbst findet, das zwingende Bedürfnis danach, mit uns selbst und mit anderen zu kommunizieren. Hinter Narziss offenbart sich stets Echo. Wir stehen also vor einem Bild, auf dem Narziss den Versuch einer neuerlichen Aneignung des Ich dupliziert und auf dem die Suche nach einem Subjekt unlösbar verknüpft ist mit einer authentischen Ausdrucksform. Beide Figuren sind gefangen in einem Spiegelbild und offenbaren sich in diesem Spiegelbild: Während Echo vom fremden Spiegelbild zehrt, lebt Narziss davon, sein eigenes aber im Grunde ihm fremdes und entfremdetes Spiegelbild zu beobachten, denn er kann das Bild vor ihm weder umarmen noch küssen.

Echo und Narziss. Narziss und Echo. Zwei gespaltene Persönlichkeiten, die Hauptfiguren sein könnten eines Stücks mit dem Titel „Streaming Ecos“. Oder „Egos“.