Susan Kreller
Das Leben geht arschwärts

Umzug von Dublin in ein Kaff in Mecklenburg-Vorpommern – das klingt nicht gerade verlockend. Zum Leidwesen von Emma und ihren beiden Geschwistern verschlägt es die Familie in das Heimatdorf ihrer deutschen Mutter. Ein Bruch im Leben, auf den die Kinder sehr unterschiedlich reagieren.

Von Holger Moos

Kreller: Elektrische Fische © © Carlsen Kreller: Elektrische Fische © Carlsen
Für Emma, die Ich-Erzählerin in Susan Krellers Jugendroman Elektrische Fische, ist klar: Sie ist Irin, Englisch ist ihre Muttersprache, Deutsch spricht sie nur – und sie kennt längst nicht alle deutschen Wörter. Was ist etwa ein Tranbüddel? In Deutschland fühlt sie sich fremd, ausgesetzt „in einem Leben vor unserem Leben“. Ihre irischen Großeltern sind ihr vertraut, die deutschen erscheinen ihr seltsam. Lieber wäre sie, so wie viele Iren im 19. Jahrhundert, nach Amerika ausgewandert und von der Freiheitsstatue begrüßt worden. Im abgeschiedenen Dorf Velgow grüßt stattdessen nur ein Getreidesilo, auf das jemand „Lügenpresse“ und „I love Angelina Wuttke“ geschmiert hat.
 
Überhaupt ist Deutschland merkwürdig. Fast alle Läden haben dichtgemacht, seit Emmas Mutter Velgow vor 20 Jahren verlassen hat. Und die Deutschen bringen sinnlose Bändchen an ihren Teebeuteln an, ganz im Gegensatz zu den bändchenlosen Barry's Tea Bags. Emmas älterer Bruder Dara, ein sechzehnjähriger Mädchenschwarm, scheint den Umzug ungerührt hinzunehmen. Er starrt die ganze Zeit in sein Handy. Die jüngere Schwester Aoife hat dagegen nicht nur Schwierigkeiten wegen ihres Namens, den die Deutschen einfach nicht richtig aussprechen können. Sie verweigert sich bald total und stellt das Sprechen ein.

Heimweh und untröstliche Traurigkeit

Emma beschließt, so schnell wie möglich wieder nach Dublin zurückzukehren. Dafür braucht sie eine gute Idee, die ohne eine teure Reise im Flugzeug funktioniert. Fast noch mehr als unter ihrem Heimweh leidet sie unter der untröstlichen Traurigkeit ihrer kleinen Schwester.
 
Dann tritt ein eigenartiger, gleichaltriger Junge in Emmas Leben: Levin. Er beobachtet sie, verteidigt Aoife gegen den Spott ihrer Klassenkamerad*innen und heckt für Emma einen Plan aus, wie sie zurück nach Irland kommt.
 
Levin ist ein stiller Junge, dem Emma aber vertraut, zu dem sie sich mehr und mehr hingezogen fühlt. In seiner Gesellschaft rutschen ihr auch Dinge raus. So murmelt sie etwa das Wörtchen arschwärts, weil sie gerade denkt, dass bei ihr im Moment alles in die falsche Richtung läuft. Sie denkt natürlich auf Englisch: „It's going arseways.“

Alle haben zu kämpfen

Doch schnell merkt Emma, dass Levin, der „dünn wie Dünengras“ ist und verwaschene T-Shirts von Heavy Metal Bands wie Black Sabbath oder Iron Maiden trägt, seine eigenen Probleme hat. Emma besucht ihn und lernt Levins psychisch kranke Mutter kennen, vor deren plötzlichen Aus- und Anfällen sie sich fürchtet.
 
Susan Kreller wurde 2015 für ihre Dreiecksgeschichte Schneeriese mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Auch ihr neuer Jugendroman ist wieder herausragend. Das Besondere an Krellers Erzählkunst ist der sparsame Umgang mit Sprache, jedes Wort ist wohlbedacht. Die Figuren sind einerseits zart und zerbrechlich, andererseits aber auch stark und stolz. Alle haben zu kämpfen, die Kinder gegen das Heimweh und das Fremde, die Mutter gegen das Stigma der gescheiterten Rückkehrerin und alle gegen das Schweigen und die Einsamkeit. Und dann ist da noch der irische Vater, ein Alkoholiker, eine Leerstelle, sowohl im Buch als auch im Leben der Kinder.
 
Kreller streut Sätze wie Leitmotive ein, so etwa die Liedzeile „It's been the worst day since yesterday“ (aus einem Song der irisch-US-amerikanischen Folk-Punk Band Flogging Molly). Aoife singt das Lied am Anfang des Buches. In einer dramatischen Szene am Ende wird diese Zeile wieder aufgenommen, als die Ostsee, dieses doch eher harmlose Meer, plötzlich zu einer Bedrohung wird. Wieder ein Kampf, doch er lohnt sich.
 
Rosinenpicker © © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank
Susan Kreller: Elektrische Fische
Hamburg: Carlsen, 2019. 192 S.
ISBN: 978-3-551-58404-5

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