Paula Irmschler
Zwischen #wirsindmehr und #bodypositivity

Gisela zieht mehr oder weniger freiwillig fürs Studium nach Chemnitz. Als linke Politikstudentin ist sie dort ziemlich frustriert – und findet dennoch die besten Freund*innen für Partys, Demos und eine Band.

Von Natascha Holstein

Irmschler: Superbusen © © Claassen Irmschler: Superbusen © Claassen
Zum Studieren geht man nach Hamburg, Berlin, Köln, München. Oder doch zumindest nach Leipzig. Gisela macht sich auf nach Chemnitz. Das Wohnen in einer großen, westdeutschen Stadt kann sich die gebürtige Dresdnerin nicht leisten, und ihr Abi sichert ihr eher kein Stipendium. Aber egal, eigentlich zählt ja nur: Raus aus dem Familientrott und unabhängig sein. Ganz nebenbei ist Politikwissenschaft in Chemnitz auch noch N.C.-frei.

Paula Irmschlers Debütroman Superbusen beginnt allerdings nicht in Chemnitz, sondern doch in Berlin. Nach einer schlaflosen Nacht voller Hausarbeitsabgabestress ist Gisela in die Hauptstadt geflüchtet und hat alles in Chemnitz zurückgelassen: Klamotten, Freund*innen, das ungekündigte WG-Zimmer. Eigentlich heißt die Ich-Erzählerin gar nicht Gisela, doch ihren richtigen Namen erfahren die Leser*innen nicht. Nur, dass sie in dieser einen Partynacht, einen Wodka mit Limettensaft nach dem anderen runterkippte – Giselas eben, wie der Shot vor allem im Osten genannt wird.

Gegen rechts

Der Roman spielt im Spätsommer 2018. In Chemnitz gibt es eine Stecherei, ein Deutscher stirbt, die Rechten mobilisieren. Gisela fährt zurück und will mit ihren Freund*innen gegen rechts demonstrieren. Sie beschreibt die Situation: „Die Nazis nennen es Trauermarsch. Aber auf unserer Seite wissen alle, dass in Chemnitz nicht getrauert wird. In Chemnitz wird verdrängt oder aufmarschiert, je nachdem welche Herkunft die jeweiligen Opfer haben.“

Chemnitz, das ist eine schlechte Zuganbindung (die zweitschlechteste nach Trier!), billige Mieten (da kann man die 120 €, die man für das unbewohnte WG-Zimmer zahlt, schon mal vergessen) und seit 2018 eben #wirsindmehr. Abseits von medialer und musikalischer Aufmerksamkeit sind sie allerdings selten mehr. Bereits wenige Tage nach den aufsehenerregenden Konzerten gegen die rechten Aufmärsche stehen über 2000 sogenannten Bürgerlichen, AfD- oder PEGIDA-Anhänger*innen und Rechtsextremist*innen etwa 1000 Gegendemonstrant*innen gegenüber.
Gisela jedenfalls bleibt länger als die Konzertgänger*innen und erinnert sich an Partys, Demos und an den Abend, an dem sie mit ihren besten Freundinnen die Schnapsidee hatte, eine Band zu gründen: Superbusen. Musik zog sich schließlich schon immer durch Giselas Leben: Von Die Ärzte über Britney Spears bis Kraftklub. Ein, zwei dieser Freundinnen können sogar Instrumente spielen, also klar: Ab auf die Bühne! Es gibt Merch, bevor ein fertiger Songtext existiert, und bevor sie überhaupt in Chemnitz auftreten, touren sie quer durch Deutschland. 

Von der besseren Welt träumen

Das Debüt von Paula Irmschler liest sich, als wäre es für Menschen geschrieben, die in den 1990ern sozialisiert wurden: das Abkulten von Tic Tac Toe und den Pfefferkörnern, die Erinnerung an Diddl-Blätter, Sailor Moon und den Bravo-Starschnitt. Superbusen ist kein Roman, der den Leser*innen Referenzen und Hinweise aufzwängt, um modern und popkulturell relevant zu sein, die Autorin kann ihre eigene Jugend mit einfließen lassen. Bei der Lektüre wird man entweder zurück in die eigene Studienzeit versetzt, samt Bibliotheks-Nachtschichten, mit Pfandflaschen zugestellten WG-Balkonen und idealistischen Weltverbesserungsfantasien am Küchentisch mit den Übriggebliebenen der letzten Party. Oder man denkt auch ohne Studium an die Roadtrips mit den besten Freund*innen, die vermüllten Autos und die eigenen verrückten Aktionen.

Superbusen ist trotzdem nicht nur ein Spaßroman mit lustigen Anekdoten. Es ist auch eine politische Auseinandersetzung mit dem Linkssein und warum Gisela eben nicht von dem Naziaufmarsch in Chemnitz überrascht war und diese Überraschung auch nicht nachvollziehen kann. Außerdem beschreibt Gisela sich immer wieder als „fett“ und hat mit ihrem eigenen, aber vor allem dem gesellschaftlich produzierten idealen Körperbild zu kämpfen, es geht um Feminismus und mentale Gesundheit. Dennoch schafft Irmschler mit Gisela eine Protagonistin, die nicht belehrend wirkt, sondern selbst dazulernt, scheitert, reflektiert. Und mit der man gerne mal in einer verrauchten Kneipe ein Bier trinken gehen möchte.
 
Rosinenpicker © © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank
Paula Irmschler: Superbusen
Claassen, 2020. 311 S.
ISBN 978-3-546-10001-4

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