Murielle Hladik
Kunsthistorikerin für japanische Kunst
Das Ding als Fragment und Verbindung

Die Ausstellung Verbindungsstücke – つなぐモノ語り  handelt von Dingen, die zu Mittlern werden. Ausgestellt werden Dinge (mono モノ) mit medialen Qualitäten. Die ausgestellten Dinge wurden nicht aufgrund ihrer nüchternen Sachlichkeit ausgewählt, sondern vielmehr, weil sie imstande sind, Transfer- und Gedächtnisleistungen zu unterstützen. Die Dinge, so könnte man meinen, werden in der Ausstellung als Behältnisse gezeigt. In ihnen wohnt eine lebendige Erinnerung, die jedes der ausgestellten Dinge mit einem besonderen Aufenthalt in Kyoto verbindet. Die behältnisartigen Dinge sind kleine persönliche Monumente, die Erinnerungen aufnehmen und weitergeben können.

In seinem Aufsatz Das Unbehagen in der Kultur lädt uns Freud zu einen Gedankenexperiment ein: »Nun machen wir die phantastische Annahme, Rom sei nicht eine menschliche Wohnstätte, sondern ein psychisches Wesen von ähnlich langer und reichhaltiger Vergangenheit. In dem also nichts, was einmal zustande gekommen war, untergegangen ist, in dem neben der letzten Entwicklungsphase auch alle früheren noch fortbestehen. Das würde für Rom also bedeuten, dass auf dem Palatin die Kaiserpaläste und das Septizonium des Septimius Severus sich noch zur alten Höhe erheben, dass die Engelsburg noch auf ihren Zinnen die schönen Statuen trägt, mit denen sie bis zur Gotenbelagerung geschmückt war, usw«. In menschlichen Gedächtnissen werden Schichten der Erinnerungen auf sehr verschiedene Weise miteinander verknüpft. Zuweilen folgen die Verknüpfungen rationalen Mustern; zuweilen sind sie sprunghaft und voller Lücken.

Im Japanischen handeln mehrere Verben von der Fähigkeit, Verbindungen herzustellen. Das Verb musubu (結ぶ) verweist uns im ganz handfesten Sinn auf knotenartige Gebilde, die sich auf Verknüpfung von entlegenen Sachverhalten übertragen lassen. Im Bedeutungsspektrum von tsunagu (つなぐ) begegnen wir Holz- und Seilverbindungen, mit deren Hilfe wir uns abstrakte Zusammenhänge bildlich vorstellen können. Neben den Verben des Verbindens könnte auch der Begriff danpen (断片) einen Zugang zum Verständnis der Dinge der Ausstellung bieten. Danpen bezeichnet ein Fragment, das mit seinen Brüchen auf eine verlorene Totalität verweist. Ist nicht jedes der ausgestellten Dinge ein Fragment, das aus dem Kontext der Stadt Kyoto herausgelöst wurde und doch mit ihm verbunden bleibt? Mithilfe von Fragmenten erzählen die Autorinnen und Autoren von ihren Verbindungen mit der Stadt Kyoto: veralteten Fotografien, die in Osaka gekauft wurden; körpernahen Alltagsgegenständen (plissierten Kleidungsstücken von Issey Miyake), Küchenutensilien, einem Stift, der an der Hand klebt, einem Kompass, einer Zeitschaltuhr, Keramikfragmentem (Chris Bierl). Andere Künstler wählen Dinge aus, die repräsentativ für ihre Arbeit sind oder in einer Beziehung zur japanischen Kultur stehen: Der Architekt Ansgar Staudt verweist mit Yakisugi meets Weißtanne auf den Zusammenhang von Fragilität und Unsicherheit. Im Werk der Filmemacherin Luise Donschen erscheinen Fragment, Seil und Knoten als Chiffren der japanischen Kultur.

Indem die Ausstellung Fragmente mit hoher Bindekraft vereint, erzeugt sie eine besondere Dingwelt, in der Erinnerungen an Kyoto wachgerufen werden.



 

Japanische Übersetzung: Kazuko Kurahara