Peter Weibel über die Globale
„Das hat Wellen geschlagen“

Erwin Wurm, Truck, Installation
Erwin Wurm, Truck, Installation | © ZKM | Karlsruhe, Foto: Fidelis Fuchs

Wie wirken sich Digitalisierung und Globalisierung auf die Welt aus? Dieser Frage widmet sich das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe mit einer Großausstellung. Im Interview spricht Peter Weibel, Initiator der Globale, über die Hintergründe des Projekts.

Herr Weibel, bislang ist die Globale Ihr größtes Projekt. Was ist der zentrale Gedanke hinter dieser Großausstellung?

Anlass ist der 300. Geburtstag der Stadt Karlsruhe. Wir führen über 300 Tage künstlerische Manifestationen durch, die sich den beiden Hauptströmungen der Gegenwart widmen: der Globalisierung und der Digitalisierung. Daher rührt auch der Name Globale. Die beiden Entwicklungen bedingen einander. Ohne Digitalisierung gäbe es keine Globalisierung und erst durch die Globalisierung wird eine technische Infrastruktur für das weltumspannende Datennetz möglich. Jetzt geht es darum zu zeigen, wie sich diese Tendenzen auf die Welt auswirken. Ein Beispiel dafür ist aus meiner Sicht, dass Wissenschaftler und Künstler die gleichen digitalen Technologien, die gleichen Werkzeuge verwenden. Diese Annäherung von Kunst und Wissenschaft gab es ja bereits in der Renaissance. Nun leben wir gewissermaßen in der Renaissance 2.0. Damit die Ausstellung nicht zwei- sondern mehrpolig ausfällt, wurden externe Wissenschaftler und Kuratoren eingeladen. Im Grunde ist die Globale ein Versuch, durch das Vergrößerungsglas der Wissenschaft und der Kunst auf aktuell kritische Zonen zu blicken und hinzuweisen.

Im ZKM begann die Globale mit einem „Tribunal zu den Verfehlungen des 20. Jahrhunderts“, im städtischen Raum lockten die allabendlichen Lichtprojektionen auf das Karlsruher Schloss: Wie viel Spektakel ist bei solch ernsten Themen, wie sie auf der Globale verhandelt werden, zumutbar?

Wenn man eine Großveranstaltung macht, muss man auch danach trachten, das Publikum und die Medien zu erreichen und dazu benötigt es bisweilen etwas Spektakel. Ich nenne das „stupende Projekte“. Wenn man zum Beispiel ein Haus mit Wurzeln an einem Kran hängen sieht, ist man irritiert, ob es sich um Kunst oder nicht doch um eine Katastrophe handelt. Die wenigsten Medien hätten über die Globale berichtet, wenn der Lieferwagen von Erwin Wurm, dessen Vorderräder auf dem Gehweg stehen und die Hinterräder an der Hausmauer, nicht von einem Ordnungshüter der Stadt einen Strafzettel bekommen hätte. Das hat Wellen geschlagen von Taiwan bis Peru. Um die Öffentlichkeit zu erreichen, muss man Dinge tun, die seriöse Kunst sind und gleichzeitig einen Aspekt der Erregung vermitteln.

  • Peter Weibel, Vorstand und künstlerischer Leiter des ZKM © ZKM | Karlsruhe, 2014, Foto: Andy Ridder
    Peter Weibel, Vorstand und künstlerischer Leiter des ZKM
  • Die Stadt ist der Star, 2015, Tim Otto Roth, Imachination Projects Foto: ONUK / © ZKM | Karlsruhe
    Die Stadt ist der Star, 2015, Tim Otto Roth, Imachination Projects
  • Die Stadt ist der Star, 2004, Chantal Michel, Die Frau in Rot, 2004, Performance, Nyon, FAR – Festival des Arts vivants Foto: Chantal Michel / © Werk
    Die Stadt ist der Star, 2004, Chantal Michel, Die Frau in Rot, 2004, Performance, Nyon, FAR – Festival des Arts vivants
  • Die Stadt ist der Star, 2015, Leandro Erlich, Pulled by the roots Foto: Fidelis Fuchs © ZKM | Karlsruhe
    Die Stadt ist der Star, 2015, Leandro Erlich, Pulled by the roots
  • Die Stadt ist der Star, 2015, Leandro Erlich, Pulled by the roots Foto: Fidelis Fuchs © ZKM | Karlsruhe
    Die Stadt ist der Star, 2015, Leandro Erlich, Pulled by the roots
  • Transsolar + Tetsuo Kondo. Cloudscapes, 2015 Foto: Harald Völkl, © ZKM | Karlsruhe
    Transsolar + Tetsuo Kondo. Cloudscapes, 2015
  • HA Schult: Action Blue, 2015 © HA Schult
    HA Schult: Action Blue, 2015
  • Global Games, 2015 © ZKM Karlsruhe
    Global Games, 2015
  • Maxin10sity: 300 Fragmente, 2015, Simulation © Maxin10sity
    Maxin10sity: 300 Fragmente, 2015, Simulation
  • Galaxies forming along Filaments, like Droplets along the Strands of a Spider´s Web © Foto: Studio Tomás Saraceno, 2009
    Galaxies forming along Filaments, like Droplets along the Strands of a Spider´s Web
Begleitend zum Symposium „Das Tribunal. Ein Prozess gegen die Verfehlungen des 20. Jahrhunderts“ konzipierten Sie die Installation „Der kälteste Planet des Universums: Das menschliche Herz. Gewalt und Genozide im 20. Jahrhundert“, in dem visuelle Hintergrundinformationen zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammengestellt sind. Sehen Sie sich hier als Kurator oder als Künstler?

Vielleicht ist Autorenschaft hier der treffendste Begriff. Ich habe bereits vor vielen Jahren begonnen, die Menschheitsverbrechen aufzulisten. Ursprünglich war die Materialsammlung als Buch gedacht, in dem ich auf jeweils einer Seite pro Jahr die Verbrechen gegen die Menschheit des 20. Jahrhunderts dokumentiere. Doch ich musste schnell erkennen, dass das Material den Rahmen sprengt. Auf 250 Millionen sinnlose, grausame politische Morde ist die Aufstellung gekommen. Ich wollte zeigen, dass die Gegenwart des 21. Jahrhunderts die Fortsetzung dieses grausamen 20. Jahrhunderts der Enthemmung ist. So war diese Materialsammlung der Ausgangspunkt für das Tribunal, in dem die 23 beteiligten Wissenschaftler und Künstler einen Prozess gegen die Verfehlungen des 20. Jahrhunderts geführt haben.

Auf die Frage, wie Ihnen die Eröffnungsfeier des Stadtgeburtstages gefallen hat, haben Sie es vorgezogen zu schweigen und stattdessen vor den 40.000 anwesenden Besuchern ein Tänzchen hinzulegen. Wie sehr begibt man sich für solche Veranstaltungen in die Fänge des Stadtmarketings?

Das war schon ein bewusstes Schweigen. Ich hatte mich spontan entschlossen, nicht auf diese Frage einzugehen, mich jedoch durch die stumme Sprache des Tanzens der Antwort nicht verweigert. Ob diese Idee angekommen ist, ist die andere Frage. Mit der Globale will das ZKM aus Anlass des Geburtstages der Stadt, die uns großzügig finanziert, etwas zurückgeben. Freilich will sich niemand zum Knecht des Stadtmarketings machen, doch in diesem Falle muss man einfach sagen: Die Stadt ist der Star!
 

Peter Weibel, 1944 in Odessa geboren, ist Künstler, Theoretiker, Kurator, sowie Texter und Sänger des von ihm 1978 mitbegründeten Hotel Morphila Orchester. Er studierte Medizin, Literatur, Film, Philosophie und Mathematik in Wien und Paris und unterrichtete an Hochschulen in Deutschland, Österreich und den USA. Seit 1999 leitet er das Zentrum für Kunst und Medientheorie (ZKM) in Karlsruhe.

Die Globale widmet sich dem digitalen Wandel im globalen Zeitalter. Aus Anlass des 300. Geburtstages der Stadt Karlsruhe finden die Ausstellungen, Vorträge, Konzerte, Performances, Lesungen und Filmscreenings der Globale im Stadtraum und im ZKM statt. Die Globale läuft vom 19. Juni 2015 bis 17. April 2016, genau 300 Tage.