Solidarische Ökonomie
Das Bruttosozialglück steigern

Sina Trinkwalder
Sina Trinkwalder | Foto (Ausschnitt): © Michael Schrenk

An vielen Orten experimentieren Menschen mit neuen Formen des Wirtschaftens. Eine gemeinsame Theorie für die „Solidarische Ökonomie“ gibt es aber noch nicht.

Alles, was er erfindet, stellt Alex Shure ins Internet. Kostenlos. Jeder kann die Pläne nutzen, den eigenen Bedürfnissen anpassen und die Dinge nachbauen. Auf der Website des jungen Mannes aus Nordrhein-Westfalen findet sich etwa ein handschmeichelnder Holzwürfel, in dem ein elektronischer Bausatz steckt: Mit ihm lassen sich drahtlos Lampen dimmen. Auch der Aufbau eines Fahrradtraktors mit Elektrounterstützung für kleine Gemüsebauern ist dort beschrieben. Shure hat ihn zusammen mit anderen bei einem Festival in Frankreich entwickelt.

Der Tüftler gehört zu einer Bewegung für „Open-Source-Hardware“. Während das System der Wachstumswirtschaft darauf hinausläuft, dass wenige Konzerne einen Großteil des Weltmarkts beliefern, wollen Shure und seine Mitstreiter eine dezentrale Produktion, die sich an regionalen Bedingungen und Bedürfnissen orientiert. Patente empfinden sie als unsinnig: Warum sollte man gute Ideen nicht teilen, so dass andere sie nutzen und verbessern können? Viel Geld zum Leben braucht Shure nicht. Ab und zu fotografiert er bei Hochzeiten oder hilft kleinen Firmen bei Softwareproblemen.

Bauern und Konsumenten teilen Ernte und Risiko

Doch es sind keineswegs nur junge Menschen, die Wege einer „Solidarischen Ökonomie“ ausprobieren. In den vergangenen Jahren sind vielfältige Projekte entstanden, die sich nach anderen Maßstäben richten als nach Profitstreben und Konkurrenz. Dazu gehören neben großstädtischen Tauschbörsen und Reparaturwerkstätten auch solidarische Landwirtschaftsbetriebe. In Japan sind sie weit verbreitet, in Deutschland gab es lange nur den Buschberghof bei Hamburg, wo sich Bauern und Konsumenten die Risiken und die Ernte teilen. Binnen weniger Jahre ist die Zahl solcher Höfe in Deutschland auf mehr als 100 gestiegen.

Eine neue Blüte erleben auch die seit dem Mittelalter verbreiteten Genossenschaften: Zusammenschlüsse von Menschen, die auf Grundlage gemeinsamer Werte einen Betrieb gründen. Jedes Mitglied hat gleich viel zu sagen – egal, wie hoch sein Anteil ist. In Deutschland sind es vor allem die erneuerbaren Energien, die Genossenschaften und ähnlichen Verbünden einen Schub geben. Auch im bayerischen „Energiedorf“ Wildpoldsried haben die Bewohner darauf geachtet, dass von der Umstellung auf Strom aus erneuerbaren Quellen alle etwas haben. Die Windräder gehören nun Dutzenden von Familien – und nicht nur der Bauer bekommt Pachteinnahmen für deren Standort, auch seine Nachbarn profitieren.

Mehr Macht über den Alltag gewinnen

Es gibt viele Ansätze einer „Solidarischen Ökonomie“, klar definiert ist der Begriff aber noch nicht. Auch lassen sich die Unterstützer politisch nicht verorten. Was sie eint: Sie wollen wieder mehr Macht über ihren Alltag gewinnen. Sie möchten wissen, wie die Dinge entstehen, die sie konsumieren, und nicht auf anonyme Großkonzerne angewiesen sein.

Die „Solidarische Ökonomie“ begreift Wirtschaft ohnehin nur als einen Teil des Lebens. Für viele Indigene in Lateinamerika ist das selbstverständlich. Sie haben den Ansatz von „Buen vivir“ entwickelt, der auf ein Leben in Harmonie mit Gemeinschaft und Natur zielt und in die Verfassungen von Bolivien und Ecuador als Staatsziel aufgenommen wurde. Im südlichen Afrika gibt es mit der „Ubuntu“-Philosophie eine ähnliche Herangehensweise. Entgegen der Vorstellung vom autonomen Individuum stehen hier Beziehungen im Zentrum: „Ich bin, weil Du bist.“

Auch in Europa haben Unternehmen eingesehen, dass die Fixierung auf Gewinnstreben die Natur zerstört und auf Kosten anderer Menschen und künftiger Generationen geht. Viele erstellen sogenannte „Gemeinwohlbilanzen“. Darin untersuchen sie ihre Lieferketten und dokumentieren ihr Bemühen, den Transport-, Energie und Rohstoffverbrauch zu reduzieren. Auch das Wohlergehen der Beschäftigten, Lieferanten und Kunden ist Teil dieser Bilanz.

Faire Löhne, faire Preise

Dass sich innerhalb kapitalistischer Strukturen nach anderen Werten wirtschaften lässt, beweist auch die deutsche Jungunternehmerin Sina Trinkwalder. Mit ihrer Firma „Manomama“ straft sie jene Lügen, die behaupten, in Westeuropa ließen sich aufgrund zu hoher Löhne keine Textilien mehr herstellen. In ihrem Betrieb mit 140 Angestellten arbeiten vorwiegend ältere Frauen, Alleinerziehende und Behinderte – alle verdienen mindestens zehn Euro pro Stunde. In Bangladesch erhält eine Näherin umgerechnet etwa 50 Euro im Monat.

Wie das funktioniert? Trinkwalder gibt nichts für Werbung aus und zahlt sich selbst nicht mehr als ihren Angestellten. Sie fragt die Stofffirmen, wie viel Geld sie für die Herstellung benötigen und akzeptiert diesen Preis, ohne zu handeln. Das Gleiche erwartet sie von ihren Abnehmern, denen sie ihre Kalkulation offenlegt. Das Erstaunliche: Die Produkte von „Manomama“ sind nicht teurer als jene, die die großen Handelsketten anbieten. Wunder muss man selber machen heißt das Buch, das Trinkwalder geschrieben hat – ein passender Leitspruch für die „Solidarische Ökonomie“.