Eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung
Bildung im digitalen Wandel

Schüler*innen mit digitalen Geräten im Klassenzimmer
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Beim Stichwort digitaler Wandel wird allzu oft nur die technische Seite in den Blick genommen. Doch neue Methoden und Anwendungen beim Lehren und Lernen ziehen unweigerlich gesellschaftliche Transformationen nach sich. Ein Plädoyer, das Blickfeld zu erweitern.

Nach neuen Inhalten und Methoden des Lehrens und Lernens für unterschiedliche Bildungsbereiche zu fragen, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Hintergrund sind die tiefgreifenden Umwälzungsprozesse der Gesellschaft, die durch die Allgegenwart digitaler Medien angestoßen wurden und auch die Bildungseinrichtungen längst erreicht haben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in verschiedenen Disziplinen über Medien und die sie betreffenden Bildungsbereiche forschen, sprechen von Digitalisierung ebenso wie von Mediatisierung (Dittler 2017; Krotz 2012). Damit wollen sie den Wandel technisch begreifen und mögliche Transformationsprozesse in Schule, Hochschule und Weiterbildung erklären, die auch das soziale Handeln betreffen.

Körpernahe Technologien 

Wird von Digitalisierung gesprochen, sind vor allem Infrastrukturen, Hard- und Software, aber auch Plattform- und Angebotsstrukturen des Internets gemeint. So wachsen digitale Technologien zunehmend an den Körper und mit Alltagsgegenständen zusammen, was sie weniger auffällig macht als die gewichtigen Desktop-Computer der (jüngeren) Vergangenheit. Man denke nur an das Internet der Dinge: Uhren, Staubsauger, Kühlschränke, die einen Internetzugang ermöglichen – und nötig machen. Auch Schulen, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen, die bisher von der Schrift- und Buchkultur geprägt waren, stehen vor den Herausforderungen einer digitalen Bildung (KMK 2016; Schelhowe et al. 2010). Zunehmend stellen sich Fragen nach individuellen Medienkompetenzen, nach Ressourcen und organisatorischen Zuständigkeiten. Im konkreten Fall: Welche Folgen hat der Medienwandel für die eigene Einrichtung? Wie sollen Lehrende ihr begegnen?
 
Rein technisch orientierte Defizitanalysen führen vielerorts dazu, Lehrbücher und -inhalte kurzerhand zu digitalisieren. Man überträgt analoge Lehre ganz oder teilweise (manchmal nur einzelne Arbeitsblätter) in den digitalen Raum. Digitalisierung wird hier schlicht als Toolisierung verstanden, beispielsweise sollen Classroom-Response-Systeme, die mündliche Abfragen ersetzen, zum Lernen „motivieren“. In Wikis, Weblogs und anderem mehr bewältigen Gruppen ihre (Haus-)Aufgaben. Learning-Management-Systeme wie Moodle, ILIAS oder Stud.IP helfen seit rund 20 Jahren bei der Organisation entgrenzter Lernszenarien, wie sie gemeinhin unter dem Schlagwort Blended Learning zusammengefasst werden.

Der Alltag ist schon längst nicht mehr analog. Der Alltag ist schon längst nicht mehr analog. | Foto: © Colourbox Bei diesen Ansätzen werden allerdings gesellschaftliche Bedeutung und Möglichkeiten des digitalen Raums vielfach außer Acht gelassen: So können neben Text und Bild leicht andere Medienformate wie Audio, Video, Simulationen etc. in den Unterricht eingebettet werden, die auch den sozialen Kontext des gegenwärtigen Wandels einbeziehen. Würden Unterrichtsmaterialien als Open Educational Resources (OER) erstellt, könnten zudem Nachnutzungsoptionen jenseits medienrechtlicher Grauzonen von Anfang an angestoßen werden.
 
Dass digitale Medien automatisch alle Probleme in der Lehre lösen und per se zu „besseren“ Lernbedingungen führen, ist allerdings ein Trugschluss. Denn die Art und Weise, wie gelehrt wird – kooperativ, projektförmig, lehrerzentriert/frontal –, ändert sich durch den Einsatz digitaler Medien nicht. Stattdessen wird der jeweilige Lehrstil durch Medien oft fortgeschrieben. Erst wachsende Kommunikation/Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden kann eine individuellere Form des Lernens durch gezielte Betreuung unterstützen.

Medien und soziales Handeln

Unter dem Stichwort der Mediatisierung wird deshalb bewusst nicht nur die technische Innovation betrachtet – auch menschliches Handeln in und mit Medien kommt in den Blick. Kurz gefasst: Wie gestaltet Medienhandeln unser Zusammenleben? Hier sei an die Erfindung des Buchsdrucks und dessen Bedeutung für die Mündigkeit des Einzelnen erinnert oder an den gesellschaftlichen Wandel infolge der Aufklärung. Auch damals war die Skepsis zu Anfang groß. Ähnlich verhält es sich mit den digitalen Medien heute: Nicht nur der Zugang zu Information und Wissen hat sich durch das Internet wesentlich verändert, auch die Art und Weise, wie kommuniziert wird, bestimmen digitale Anwendungen mit. Man denke an Dienste wie WhatsApp, Facebook oder Instagram, die Kommunikation kürzer, bildlicher und teilweise öffentlicher machen.

Es geht nicht nur darum, was wir mit den digitalen Anwendungen machen, sondern was die digitalen Anwendungen mit uns machen. Es geht nicht nur darum, was wir mit den digitalen Anwendungen machen, sondern was die digitalen Anwendungen mit uns machen. | Foto: © plainpicture/Blend Images/Hill Street Studios Die Bildungseinrichtungen stehen nun vor der Anforderung, den technischen und den gesellschaftlichen Entwicklungen bei der Gestaltung ihrer Bildungsangebote zu begegnen. Klar geworden sein dürfte, dass einfache Umsetzungspraktiken der Digitalisierung keinen echten Wandel nach sich ziehen. Sie reproduzieren bestehende Ungleichheiten sogar noch, da die Nutzung von digitalen Medien weiterhin abhängig ist von Alter, Geschlecht und Bildungsmilieu. Folgerichtig wäre, die Förderung umfassender Medienkompetenzen nicht auf den Fachunterricht zu beschränken, sondern als fachübergreifende und lebenslange Aufgabe über alle Akteure und Institutionen hinweg zu begreifen. Damit sind Lehr-Lernziele im engeren Sinne, aber durchaus auch normative Ziele im Zusammenhang mit dem Begriff Bildung gemeint.
 
Denn das Feld stellt sich weitaus undurchsichtiger dar, als sich dies in den gängigen Anreicherungskonzepten mediengestützter Lehre spiegelt. So müssten medienbezogene Inhalte ständig im Unterricht erneuert und reflektiert, aber auch in handlungs- und problemorientierten Formaten im eigenen Tun erprobt werden. Medien sind ja selbst Unterrichtsinhalt – oder sollten es unbedingt werden –, wenn ihre Bedeutung für Prozesse der Meinungsbildung untersucht wird. Prägnante Beispiele sind die Funktionsweisen kommerzieller Social-Media-Angebote oder jüngere Phänomene wie Fake News. Wie kann es gelingen, dass Lernende auch künftig richtige Informationen von falschen unterscheiden können und wie können Medien dazu gezielt eingesetzt und erprobt werden? Zum bloßen Werkzeug werden Medien hingegen, wenn sie lediglich bei der Anerkennung informell erworbenen Wissens helfen, zum Beispiel mithilfe von E-Portfolios. Wirklich zukunftsweisend ist der Einsatz (digitaler) Technologien in der Bildung erst dann, wenn die Beschäftigung in und mit Medien neue (kommunikative) Praxen im Unterricht hervorbringt, über die wiederum gesprochen wird.

Medien und Bildung

Medienentwicklungspläne, die diesen Bereich in Bildungsorganisationen regeln, geben Lehrenden und Lernenden zumeist lediglich einen Handlungsrahmen vor, wie eine Organisation zu Medien steht und wie sie die Beschäftigung mit Medien fördert. Zu fluide stellt sich das Feld von Medien und Bildung im Gesamten dar. Zudem bremst die weit verbreitete Unterscheidung in digital und analog mehr als vielfach bedacht. Digitale Medien sind längst keine Modeerscheinung jenseits der bekannten, „analogen“ Welt mehr. Weil sie allgegenwärtig sind, sollte man über Werkzeuge und Infrastrukturen hinaus über die Bildung in einer digitalen Gesellschaft beraten (vgl. Kerres 2018).
 
Die Akteure haben es in der Hand, über diese brisante Thematik nachzudenken. Sie bestimmen selbst, wie sie ihr Handeln ins Verhältnis setzen zu den externen Anforderungen, die im Zuge des Medienwandels entstehen. Die bewusste Rückbesinnung auf den Bildungsbegriff kann sich hier als sehr hilfreich erweisen, um die vielen offenen Fragen im Zusammenhang mit Digitalisierung und Mediatisierung von innen heraus zu beantworten und schließlich über das Innere und Äußere einer Bildungsorganisation (vgl. Hechler/Pasternack 2017: 9f.) gemeinsam zu reflektieren.
 

Literatur

Dittler, Ullrich (2017): Ein kurzer historischer Rückblick auf die bisherigen drei Wellen des E-Learning. In: Dittler, Ullrich (Hg.): E-Learning 4.0. Mobile Learning, Lernen mit Smart Devices und Lernen in sozialen Netzwerken. Berlin: De Gruyter, S. 5-42.

Hechler, Daniel/Pasternack, Peer (2017): Das elektronische Hochschulökosystem. In: hochschule, H. 1, S. 7-18.

Kerres, Michael (2018): Bildung in der digitalen Welt, wir haben die Wahl. In: Denk-doch-mal. Das online-Magazin.

Krotz, Friedrich (2012): Von der Entdeckung der Zentralperspektive zur Augmented Reality: Wie Mediatisierung funktioniert. In: Krotz, Friedrich/Hepp, Andrea (Hg.): Mediatisierte Welten: Forschungsfelder und Beschreibungsansätze. Wiesbaden: Springer VS, S. 27-55.

KMK (Kultusministerkonferenz) (2016): Bildung in der digitalen Welt.

Schelhowe, Heidi/Berg, Antje Vom/Grafe, Silke/Hagel, Heinz/Hasebrook, Joachim/Herzug, Bardo/Kiesel, Kurt/Koubek, Jochen/Niesyto, Horst/Reinmann, Gabi/ Schäfer, Markus (2010): Kompetenzen in der digital geprägten Kultur. Berlin: BMBF.