Berlinale | Filmkritik  2 min Wettbewerbsfilm "Yunan": Erinnerung und Verbundenheit

Eine Szene aus dem Film „Yunan“ von Regisseur Amir Fakhr Eldin
Eine Szene aus dem Film „Yunan“ von Regisseur Amir Fakhr Eldin ©2025 Red Balloon Film, Productions Microclimat, Intramovies

Schafft ein Regisseur bewusst Filme, die seine inneren Obsessionen und Ängste widerspiegeln, oder ist seine Kunst ein natürliches Echo dessen, was in ihm steckt? Und müssen wir uns dem Ende nähern, um die Freude am Leben voll und ganz zu genießen? Zwischen Identität, Erinnerung und Verzweiflung webt Amir Fakher Eldin in seinem Film "Yunan" eine tiefgründige philosophische Geschichte, die sich mit den Fragen von Existenz und Tod auseinandersetzt. Es ist der einzige arabische Spielfilm im offiziellen Wettbewerb der Berlinale.

In der abrahamitischen Mythologie ist Yunan der Name des Propheten Yunus, der von einem Wal verschluckt wurde, nachdem er sein Volk im Stich gelassen hatte, das sich weigerte, an seine Botschaft zu glauben. Nach drei Tagen im Bauch des Wals wurde er von Gott gerettet und machte seine Geschichte zu einer universellen Metapher für die Verzweiflung, die in die Sackgasse führt, aber auch für die Erneuerung der Hoffnung, selbst in den dunkelsten Momenten.

Vielleicht ist das der Grund, warum der Regisseur Ameer Fakher Eldin den Titel "Yunan" für seinen zweiten Spielfilm wählte, den einzigen arabischen Film, der im 75. Internationalen Wettbewerb der Berlinale vertreten war. Das Thema der Verzweiflung und Orientierungslosigkeit zieht sich durch den gesamten Film, genau wie im ersten Film des Regisseurs, "Al Ghareeb (The Stranger)", mit dem er eine Trilogie von Filmen begann, von denen "Yunan" der zweite Teil ist.

Der Regisseur gab seiner Hauptfigur den Namen Mounir Noureddine, ein Name, der als dramaturgisches Gegenstück zum Namen des Regisseurs gelten kann. Mounir, ein Araber aus einem nicht näher spezifizierten Land, lebt im deutschen Hamburg, wo er als Schriftsteller arbeitet und eine existenzielle Krise durchmacht. Hinzu kommt, dass Amir Fakher Eldin in der Ukraine als Sohn von Eltern aus dem Golan (Syiren) geboren wurde, und dies ist ein perfektes Beispiel dafür, wie das Kino ein Spiegelbild des Lebens eines Künstlers ist, durch das er versucht, seine Sorgen auszudrücken und über seine Beziehung zu sich selbst und zur Welt nachzudenken.

Erinnerungen verloren und Verbindung unterbrochen

Die Elemente der Erinnerung und der Kommunikation stehen im Mittelpunkt des Filmprojekts von Fakhr Eldin, wie in "Yunan" und davor in "Der Fremde"  zu sehen ist. Die Figuren in diesen beiden Filmen erleben einen Schmerz, der für diejenigen, die ihn nicht erlebt haben, schwer zu erklären ist, denn es ist die Anhäufung von Jahren der Entfremdung, des Umherirrens und der verlorenen Träume. Mounirs Mutter, mit der er elektronisch kommuniziert, erkennt ihn nicht, und er kann die Geschichte vom verfluchten Hirten, die ihm seine Mutter erzählt, nicht wiederfinden.
Im Gegensatz zu der Emanzipation, die das Verschwinden der Erinnerung einflößen könnte, scheint Mounir in einer Enge gefangen zu sein, unfähig, die Vergangenheit zu begreifen und mit der Gegenwart zu kommunizieren. In einem Zustand ewiger Isolation sucht Mounir Zuflucht auf einer abgelegenen Insel im Norden Deutschlands, angeblich um dem Rat eines Arztes zu folgen, in Wirklichkeit aber, um seinem Leben ein Ende zu setzen.

Eine zufällige Begegnung führt Mounir (mit Finesse gespielt von Georges Khabbaz) in ein Gasthaus, das von einer deutschen charakterstarken Frau, Valeska (Hannah Schygulla, die sofort an ihre Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder erinnert), geführt wird. Ihr Sohn, mit seinem gewalttätigen Temperament, sieht die Ankunft des Fremden zunächst nur düster. Doch als ein heftiger Sturm die Insel zu überfluten droht, ändert sich die Dynamik. Nach und nach entwickelt sich die Beziehung zwischen Mounir, Valeska und ihrem Sohn und ermöglicht es ihm, sich teilweise wieder anderen anzunähern, soweit sie den gemeinsamen Raum nutzen.
Ameer Fakhr Eldin

Der in Deutschland lebende Autor und Regisseur Ameer Fakher Eldin wurde 1991 in Kyiv, Ukraine, als Sohn syrischer Eltern von den Golanhöhen geboren. Sein Spielfilmdebüt The Stranger wurde auf den 78. Internationalen Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt und erhielt dort den Edipo Re Award. Der Film vertrat Palästina bei der 94. Oscarverleihung als offizieller Beitrag. Auf dem 43. Internationalen Filmfestival von Kairo bekam er den Preis für den besten arabischen Film und den Shadi-Abd-El-Salam-Preis für den besten Film im Wettbewerb der Internationalen Kritikerwoche. | ©Martin Kunze

 

Ein einzigartiges visuelles Erlebnis

Mit seinem zweiten Film in Folge bietet Ameer Fakher Eldin ein Werk von besonderer Art, das einen Zuschauer fordert, der bereit ist, der Geschichte Zeit zu geben, um ihre Charaktere zu finden und in sein Universum einzutauchen.
Still und leise vom Erbe des poetischen Kinos durchdrungen, bietet es eine zeitgenössische Neuinterpretation.

Die Filme von Ameer Fakher Eldin mögen sehr einfach erscheinen, wenn man sich fragt "Was passiert mit den Protagonisten?", aber sie bekommen eine ganz neue Tiefe, wenn man sich fragt: "Was geht in ihnen vor?"

Die vielschichtigen Wurzeln des Regisseurs bereichern sein Kino, indem sie nicht nur dichtes Erzählmaterial liefern, sondern ihm auch eine Tiefe verleihen, die sich scheinbar mühelos offenbart. In seinem Werk verschmelzen zahlreiche Einflüsse – von Abu al-Tayyib al-Mutanabbi über Tausendundeine Nacht bis hin zu Andrej Tarkowski und Béla Tarr – zu einem einzigartigen Erlebnis, das ein Publikum anspricht, das auf der Suche nach einem Kino voller Poesie und Reflexion ist.

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