Was bringt einen Regierungsangestellten, der leidenschaftlich gerne Tauben züchtet, einen Teeverkäufer aus einem Arbeiterviertel, einen politischen Aktivisten, einen Sanitäter, der Demonstranten behandelt und zwei Kinder, die leere Flaschen sammeln, zusammen? Auf den ersten Blick nichts. Aber was wäre, wenn sie alle aus Khartum kämen? Hier liegt das Geheimnis: eine tiefe Liebe zur Heimat und der gemeinsame Traum, dorthin zurückzukehren, obwohl man aus ihr fliehen musste. Diese Vision verweben fünf Regisseure in ihrem Dokumentarfilm „Khartoum“.
Von Hoffnung zu Schmerz. Vielleicht haben die meisten Länder des Arabischen Frühlings diese Situation erlebt: Erst eine Volksbewegung, dann der Erfolg, gefolgt von großen Träumen von einer strahlenden Zukunft, und dann eine schockierende Realität, die die Träume in Albträume verwandelt. Doch die Ereignisse im Sudan sind aus vielerlei Hinsicht nach wie vor schmerzlich. Der schrecklichste Grund hierfür ist wohl die Verwandlung des Landes in den Schauplatz eines blutigen Bürgerkriegs zwischen zwei bewaffneten Lagern, in dem das Recht der Zivilbevölkerung auf Sicherheit und ein menschenwürdiges Leben aufs Spiel gesetzt wird.Doch die Krise im Sudan hat ihren ganz eigenen Charakter, der in dem Dokumentarfilm „Khartoum“ geschickt dargestellt wird. Der Film wurde erst zum zweiten Mal weltweit im Wettbewerb Panorama Dokumente der Berlinale gezeigt, nachdem er zwei Wochen zuvor in der internationalen Kategorie des Sundance Film Festivals Premiere gefeiert hatte.
Der Film ist ein Gemeinschaftswerk von fünf Regisseuren, von denen vier – Anas Saeed, Rawia Alhag, Ibrahim Snoopy und Timeea M Ahmed – die Erzählstränge für bestimmte Protagonisten nachzeichneten, während der fünfte, Phil Cox, diese Stränge in einem einzigen Film zusammenführte.
Das spezifisch sudanesische Element, das die Dokumentation brillant enthüllt, ist die Intimität der Beziehung zwischen dem sudanesischen Volk und dessem Land. Während die meisten Menschen natürlich ihre Heimat lieben, spiegelt „Khartoum“ einen Eindruck wider, den jede sudanesische Person, der man begegnet, hinterlässt – einen Eindruck von Stolz und Sehnsucht nach dessem Land, trotz seiner Fehler und vieler Beschwerden. Um sich selbst zu retten, mussten jedoch alle Charaktere des Films auf der Suche nach Sicherheit und Frieden aus ihrem Land fliehen.
Vielfalt von Charakteren
Ein Beamter, der gerne Tauben züchtet, ein Teeverkäufer in einem Arbeiterviertel, ein politischer Aktivist, ein Sanitäter, der Demonstranten behandelt, und zwei Kinder, die leere Flaschen sammeln: Die Charaktere scheinen völlig unterschiedlich zu sein. Doch sie wurden durch einen Volksaufstand zusammengeführt und dann mit Ausbruch des Bürgerkriegs ins Exil zerstreut. Das Wichtigste, was sie verbindet, sind jedoch die Dinge, die sie gemeinsam haben: ihre Ehrfurcht vor ihrer Stadt und ihr Wunsch, ihre schönen Erinnerungen dort wieder aufleben zu lassen.Die Regisseure des Films führen einen künstlerischen Dialog mit den Charakteren, ermutigen sie, ihre Erinnerungen vor einem Greenscreen nachzuspielen, und gestalten diese Szenen dann durch visuelle Effekte neu. Alles dreht sich um gewöhnliche Alltagsaktivitäten. Es gibt nichts Außergewöhnliches im Leben dieser Menschen außer ihrer überwältigenden Liebe zu Khartum und ihrem festen Glauben, dass sie eines Tages dorthin zurückkehren werden.
Nichts davon bedeutet, dass sie in emotionaler Isolation von ihren neuen Gemeinschaften in Kairo, Nairobi oder den anderen Städten leben, die sie jetzt beherbergen. Was der Film zwischen den Zeilen hervorhebt, ist ihre Fähigkeit, sich an das Leben in neuen Situationen anzupassen und in den Städten, in die sie vertrieben wurden, Freundschaften zu schließen, ohne die emotionalen Bindungen zu ihrer geliebten Heimatstadt Khartoum zu verlieren.
Der narrative Wert von Spaß
Während eine Inhaltsangabe des Films an einen normalen Dokumentarfilm über Sudanes*innen denken lässt, die an einer Revolution teilnahmen und dann gezwungen waren, das Land zu verlassen, liegt der Wert von „Khartoum“ in der Fähigkeit seiner Macher, über den erwarteten Weg der Charaktere hinauszugehen und sich in einen breiteren Raum des Experimentierens und Spaßes zu begeben.Dieser Spaß spielt der menschlichen Tragödie, die Millionen Sudanesen getroffen hat, nicht herunter, sondern bestätigt vielmehr, dass dieser humorvolle Geist, der sich über Erschwernisse lustig macht und an süßen Momenten festhält, die wichtigste Waffe der Menschen in Khartum gegen Tod, Vertreibung und Depression ist.
„Khartoum“ ist ein Film mit Reife und Tiefe, gemacht mit einem fröhlichen Geist, der ein Lächeln aus dem Herzen des Leidens hervorbringt. Es ist ein wichtiger, kreativer Dokumentarfilm über ein Thema, das die Welt schon lange beschäftigt. Den fünf Regisseuren ist es hervorragend gelungen, die Welt an die Tragödie zu erinnern, die den Menschen im Sudan widerfahren ist.
Februar 2025