Libanon

Mär. 2023

Zukunftsperspektiven?!  4 min Zuerst als Tragödie, dann als Farce: Die Post-Krisen-Generation

First as Tragedy, Then as Farce: A New Generation Enters the Post-Crisis World ©Canva

Von Anfang an sahen sich die neuen Arbeitskräfte im Libanon mit mehreren Dilemmata konfrontiert. Zwischen Aufbau eines Lebens in der Heimat und Suche nach neuen Möglichkeiten im Ausland. Zwischen der Gefahr, in die gleichen zerstörerischen Kreisläufe ihrer Vorfahren hineingezogen zu werden und neuen, selbstgeschaffenen Herausforderungen und Risiken. Bachar Bzeih (22) gibt eindrückliche Einblicke in die Situation seiner Generation.
 

Vor knapp dreißig Jahren machte sich eine neue Generation von libanesischen Arbeitskräften auf den Weg in eine schöne neue Welt. Statt Kalaschnikows, Barrikaden und Bunker, mit denen sie aufgewachsen waren, sahen sie sich nun den illusorischen Versprechen des neoliberalen Friedens gegenüber. Diese neue Welt, so das Versprechen, würde den Glanz des sogenannten „goldenen Zeitalters“ des Libanons wieder aufleben lassen und ihnen und ihren Kindern ein Leben in Wohlstand ermöglichen. Ihren Eltern, die in jenem angeblich so goldenen Zeitalter ins Arbeitsleben eingestiegen waren, wurden die gleichen lebensverändernden Versprechungen gemacht. Heute werden auch ihre Kinder in einer revolutionär veränderten Welt willkommen geheißen, nur ohne die Versprechungen. 

Karl Marx sagte schon, dass die Geschichte sich immer zweimal ereignet. Das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Das sagte er im Kontext der Französischen Revolution und von Hegels Beobachtung, dass ähnliche Momente, Fakten und Persönlichkeiten in der Geschichte erneut auftauchen. Zeitlich weit entfernt von Robespierre und Napoleon, werden sich aber Hundertausende Libanesen damit identifizieren können. 

Die Generation „goldenes Zeitalter“, die ihre Jugend in der Tragöde aus Bombenanschlägen, Panzern und Milizen verlor, sieht sich einer Wiederholung der Geschichte als Farce gegenüber, in der Bankmanager, Währungswechsler und Marktoligarchen sich zusammen tun, um ihr Leben im 21. Jahrhundert zu sprengen und zu zerstören. Wenn man statt in einer tödlichen Warteschlange an einem Checkpoint jetzt in einer Warteschlange vor einer Bank ansteht, die langfristig genauso tödliche Folgen haben kann, so liefert die Erfahrung dieser Generation den besten Beweis für die Marxsche Maxime. Bedeutet das, dass sich die Generation ihrer Kinder derzeit in ihrer ersten tragischen Phase der Geschichte befindet? Wahrscheinlich wäre abwegig, aus einem einzelnen Zitat eine ganze Theorie der Geschichte abzuleiten.

Aber die Metapher bleibt bestehen. Nachdem sie die Tragödie des Krieges und die Farce der Finanzialisierung miterlebt haben, findet sich nun eine neue Generation von libanesischen Arbeitskräften in der Höhle des Löwen wieder. Diese Arbeitskräfte, die an der Spitze der wirtschaftlichen Erneuerung gestellt wurden, müssen sich nun die Frage stellen, ob sie zur endlosen Wiederholung dieses historischen Kreislaufs verdammt sind, oder ob sie zu einer napoleonischen Heldentat fähig sind, die den Zyklus durchbricht.

Doch wie stellt sich diese Generation junger Hochschulabsolventen den Herausforderungen, die der Eintritt in die Post-Krisen-Welt mit sich bringt und wie versucht sie, sich inmitten von Chaos zu behaupten? Wie geht sie mit den Ängsten ihrer Generation um, die ihr Leben und ihre Zukunft prägen?

Arbeitskräfte der neuen Welt 

Die Arbeitskräfte, mit denen ich gesprochen habe, sind nicht am unteren Ende der libanesischen Wirtschaft angesiedelt, sondern bewegen sich innerhalb der angeblichen Mittelschicht zwischen Sicherheit und Prekariat. Zwar sind alle Menschen im Land von der Krise betroffen, doch was diese Mittelschicht der Arbeitskräfte interessant macht, ist ihre Rolle beim Wiederaufbau der libanesischen Wirtschaft. Da es keine produktiven Wirtschaftszweige gibt, beruht ein großer Teil der importlastigen libanesischen Wirtschaft auf den Dollars, die einheimische Arbeitskräfte erarbeiten können. Damit steht diese neue Generation bei den Investitionen im Land an der vordersten Front.

Diese Investition aber ist mit Kosten verbunden. Arbeitgeber sehen im Libanon heute ein Reservoir billiger Arbeitskräfte, mit einer Armee akademisch und beruflich qualifizierter Personen auf der Suche nach Dollar-Jobs. Daher ist die Anzahl der Arbeitsplätze in Remote- und hybriden Umgebungen deutlich angestiegen, vor allem zwischen dem Libanon und den arabischen Golfstaaten.

Mirna B., 22, fand sich im Zentrum dieser Entwicklung wieder. Obwohl sie im Libanon arbeitet, betreut sie seit dem Beginn ihrer Marketingkarriere ausschließlich Projekte in den Golfstaaten. „Für jemanden, der nie dort war, habe ich ein enormes Wissen über das Rechtssystem der Staaten des Golfkooperationsrats“, scherzt sie. Dieses Jahr war sie knapp zwei Monate am Golf und sagt, dass die Arbeit viel besser vorankommt, wenn sie vor Ort ist. „Hier gibt es den Zeitunterschied, wir haben Kunden in verschiedenen Ländern, wir müssen so viele Dinge aus der Ferne managen“, sagt sie. Ihre Firma hat angedeutet, dass sie dauerhaft nach Dubai umziehen könnte, aber das muss erst noch konkret werden. 

„Mein Gehalt müsste verdreifacht werden“, sagt sie und ergänzt dann, es hätte schon längst verdreifacht werden müssen, wegen der enormen Arbeitsbelastung. Karim E., 23, berichtet Ähnliches. Anders als Mirna war er in den vergangenen Jahren viel auf Reisen und fragt sich, ob ein dauerhafter Umzug ins Ausland nicht besser wäre. „Wenn ich Arbeit in den Golfstaaten erledige, warum sollte ich dann ein libanesisches Gehalt beziehen“, sagt er.  

Die Lebenshaltungskosten 

Ali H., 21, versteht die Dynamiken dieser neuen Telearbeitsumgebung. Noch während er seinen Abschluss in Politikwissenschaft beendet, betreibt er zur Deckung seiner Ausgaben einen Catering-Betrieb in Teilzeit. „Die meisten meiner Kunden werden in Dollar bezahlt“, sagt er, „sie arbeiten in einem Büro oder von zuhause aus.“ Ali bietet diesen jungen Arbeitskräften eine wichtige Dienstleistung, in dem er zweimal wöchentlich preiswerte Mahlzeiten kocht. „Die meisten von ihnen haben zwischen Arbeit und Freizeit nicht die Zeit, zu kochen. Manche können es auch gar nicht“, sagt er.

Ali hat nicht vor, diesen Weg weiterzugehen. Er plant, eines Tages selbst einer solchen Arbeit nachzugehen. „Das mache ich nur, um die Miete zu bezahlen und irgendwann meine eigene Wohnung zu haben“, sagt er. Aber trotz der zahlreichen Krisen ist der libanesische Wohnungsmarkt nach wie vor kaum zugänglich. „Manchmal setze ich mich einfach hin und denke über die Preise nach, das ist wirklich bedrückend“, sagt Karim. „Ich glaube nicht, dass ich mir jemals ein Haus werde leisten können.“ 

Mirna denkt ähnlich, wenn sie über ihre Zukunft spricht. „Ich liebe meine Familie“, sagt sie, „aber manchmal denke ich ans Ausziehen und es überwältigt mich, wie unmöglich das ist.“ Auch wenn Mirna jetzt mehr Geld verdient als ihre Eltern, glaubt sie, dass diese in ihrem Alter ganz andere Möglichkeiten hatten.

Von Generation zu Generation 

Mit dem Ausbruch der Krise im Libanon ist eine der wichtigsten Quellen für Jobs im Land weggefallen und die zuvor stabilen Karrierewege der Mittelschicht im öffentlichen Sektor, in der Armee und bei den Sicherheitskräften sind fast völlig verschwunden. Diese Karrierewege hatten es der vorangegangenen Generation ermöglicht, für sich und ihre Familien im Land etwas aufzubauen und nicht, wie manch andere, auszuwandern. Dieses Vermächtnis spielt auch heute noch eine wichtige Rolle für die Lebensgestaltung der neuen Arbeitskräfte.  

Mirna berichtet, sie habe zu arbeiten begonnen, um ihrer Familie finanziell weniger zur Last zu fallen, da die Löhne ihres im öffentlichen Dienst tätigen Vaters im Zuge des ökonomischen Zusammenbruchs auf einen historischen Tiefstand gesunken waren. Karine B., 22, berichtet von einem ähnlichen Wunsch, sich auf die Dollar-Jobs zu stürzen. „Meine Eltern haben das manchmal angedeutet“, lacht sie, „aber ich habe es aus eigenem Antrieb getan, um unabhängig zu sein.“ 

In beiden Fällen erhielten die neuen Arbeitskräfte ein vergleichbares oder sogar höheres Gehalt als ihre Eltern. „Es war wirklich seltsam“, sagt Karine, „aber wenigstens konnte ich einen Beitrag leisten, nach allem, was sie geleistet haben.“

Die Zukunft

Von Anfang an waren die neuen Arbeitskräfte im Libanon  mit mehreren Dilemmata konfrontiert. Zwischen Aufbau eines Lebens in der Heimat und der Suche nach neuen Chancen im Ausland. Zwischen der Gefahr, in die gleichen zerstörerischen Kreisläufe ihrer Vorfahren hineingezogen zu werden und neuen, selbstgeschaffenen Herausforderungen und Risiken. 

Seit dem Momentum des 17. Oktober und dem anschließenden Wiederabflauen ist eine wirkliche Mobilisierung der Massen selten geworden. Während der anschließenden langwierigen Krise sind kleinere bis mittelgroße Basisinitiativen entstanden. 

Diese Initiativen beginnen oft mit einem starken radikalen Potenzial, mit dem sie begrenzte Ziele erreichen, bevor sie sich größeren Ambitionen zuwenden. Doch dann schlagen einige den alten Weg ein, Mitglieder wandern aus, sind zu beschäftigt oder wenden sich ab und die Initiative verschwindet. Jana (25) hat mir beschrieben, wie dieser Prozess bei einer Wohnungsinitiative ablief, an der sie beteiligt war. „Sechs Monate lang lief es großartig. Wir konnten ein paar Fälle klären, wollten expandieren, und dann brach es innerhalb von zwei Monaten einfach zusammen“, sagt sie.

Ähnliches berichtet Nour C. (27) von ihrer Beteiligung an einer Initiative für semi-formale Arbeitsverhältnisse. Es gibt viele NGO, die klassische Jobschulungen durchführen", sagte sie und bezieht sich dabei auf die im Libanon angebotenen Programme für technische Fähigkeiten und Workshops. „Wir hatten etwas anderes im Blick, wir wollten, dass Leute tatsächlich eine Arbeit bekommen.“ Ihre Initiative, die nie einen Namen trug, bestand darin, Lebensläufe zu überarbeiten, Informationen über Jobs und offene Stellen zu verbreiten und Arbeitsbedingungen zu diskutieren. „Es war fast eine Gruppe von Freunden“, sagt sie. Auch wenn die Initiative jetzt etwas ins Stocken geraten ist, sagt sie, dass sie wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden wird, vielleicht in einer anderen Form. 

Das zeigt exemplarisch, wie ein Teil der jungen Menschen im Libanon die Welt heute sieht. In den volatilen Wellen der Krisen versuchen viele, sich in der Strömung zu halten, die sie durch den Sturm trägt. Dabei entstehen Verbindungen und zerbrechen wieder. Es werden Versuche unternommen, das Blatt zu wenden, und dann wieder vergessen. Angesichts des neben den bestehenden Krisen bedrohlich über allem schwebenden Tsunamis des Klimawandels fühlen sich viele von der Welt und ihrer Zukunft abgekoppelt.

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