MIRATH:MUSIC – Yacoub Abu Ghosh  Suleimah’s Picnic

Yacoub Abu Ghosh beim Musizieren
Yacoub Abu Ghosh – Suleimah’s Picnic (Mirath:Music) Ausschnitt: Video-Interview Yacoub Abu Ghosh © Yacoub Abu Ghosh

„Suleimah’s Picnic“ ist ein Musikstück, das zwei levantinische Folklorestücke verbindet: „How Do I Sleep at Night, Suleimah? - شلون أنام الليل يا سليمى” und „What a Beautiful Picnic - يا محلا الفسحة “. Weil die Suche nach Originalaufnahmen in den Archiven keine Ergebnisse lieferte, hat der Künstler schließlich den Weg gewählt, der für die modale/maqamatische Musik am bekanntesten ist: den der Praxis durch Erinnerung. 

Erst mit dem Kairoer Kongress der Arabischen Musik von 1932 und der zunehmenden Ausbreitung der westlicher Musikindustrie setzte sich die Auseinandersetzung mit notierter Musik vollständig durch. Bis dahin bildeten und bilden bis heute Erinnerung und gelebte Praxis integrale Bestandteile kulturellen Wissens in Westasien und Nordafrika. 

Die beiden Musikstücke, die dieser Track kombiniert, sind prägen Yacoub Abu Goshs musikalisches Gedächtnis. Starke emotionale Verbindungen zu beiden Stücken regten ihn dazu an, sie durch seine ganz persönliche Interpretation in innovativer Instrumentierung neu zu erfinden und dafür die gegenwärtige folkloristische Stimmung in moderne elektronische Synthesizer zu übersetzen. 

Das Stück beginnt mit „How Do I Sleep at Night, Suleimah? - شلون أنام الليل يا سليمى”, einer melodischen Serenade aus dem frühen 20. Jahrhundert, die wahrscheinlich in Südsyrien oder im Norden des Iran entstanden ist. Sie wird im Maqam Kurd gespielt und erzählt von einem Mann, der sich in schlaflosen Nächten nach seiner geliebten Suleimah sehnt. Über Bassgitarre und eine improvisierte Erforschung des Maqams auf dem Synthesizer gelangt Abu Gosh schließlich zu „What a Beautiful Picnic - يا محلا الفسحة “, einem weiteren Stück aus dem nordwestlichen Mittelmeerraum. Es wird im Maqam Nahawand gespielt und berichtet von einem Picknick am Meer im schimmernden Mondlicht. 

„Suleimah’s Picnic“ führt den Hörer durch das ineinanderfließende Erbe und den fluiden Charakter westasiatischer kultureller Identitäten:

Nicht nur wir als menschliche Wesen passen uns ständig an und verändern uns. Auch unsere Kultur, unsere Musik durchläuft diese Prozesse. Die Fähigkeit dazu ist ein integraler Bestandteil unseres Überlebens und der Kontinuität unserer Kultur.“ 
(Yacoub Abu Ghosh)

Komposition: aus folkloristischem Erbe
Arrangement: Yacoub Abu Ghosh
Instrumentierung: Synthesizer, Bassgitarre
Originalkomposition/Datum: wahrscheinlich frühes 20. Jahrhundert
Aufnahme: August 2021
Text: keine Angabe

Das Warum hinter der Musik

Ich bin seit fast 25 Jahren Musiker. In dieser Zeit habe ich in unterschiedlichen Positionen und Rollen gearbeitet, war Bassgitarrist, Komponist und Arrangeur, sowohl alleine wie auch in Kollaboration mit anderen. Dabei habe ich meine eigene Stimme geschärft und einen eigenen, erkennbaren Stil entwickelt.

Für mich ist Musik ein ähnliches Ausdrucksmittel wie Sprache. Es erlaubt mir meine Gefühle ausdrücken und die Entwicklung meiner Identität zu reflektieren. Als lebendige Organismen passen sich Musik und Sprache fortwährend an Zeiten und Ereignisse an. Während meiner Kindheit und Jugend in Amman habe ich die Einflüsse aufgesogen, die an diesem Ort widerhallten. Gleichzeitig war ich auch Teil einer breiteren musikalischen Bewegung die vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten zeigte, dass wir als Individuen und Gemeinschaften unser ewig wandelbares Erbe prägen.

Dieses Erbe reicht tiefer, als musikalische oder mündliche Dokumentationen und Quellen. Es ist mit unserem Unterbewusstsein verbunden. Mein eigener Dialekt oder Idiolekt wird so innerhalb meiner natürlichen Umgebung geprägt, während er geografische Grenzen und Institutionalisierungen durchbricht. Die ganze musikalische Vielfalt Ammans, von beduinischer Musik bis zu Jazz oder Rock, mag auf unterschiedliche Weise entstanden sein und bleibt dennoch Teil desselben Ortes.

Während meines Arbeitsprozesses für Mirath:Music habe ich versucht, die Spannbreite der musikalischen Dialekte, die meine und unsere Region geprägt haben, darzustellen, ohne Grenzen zu ziehen oder Definitionen auszubuchstabieren. Musik zeigt ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen uns und dem, was uns umgibt. Dieses Gefühl formt uns. Ich glaube, dass in Zukunft die ganze Welt diese Zugehörigkeit zu einem universellen Ort ohne Vorurteile oder Diskriminierung spüren kann. Die Arbeit an diesem Projekt hat es mir ermöglicht, ein tieferes Verständnis meines eigenen Erbes zu entwickeln und mich gleichzeitig zu den Erfahrungen anderer Musiker in Beziehung zu setzen.