Porno und Gesellschaft  Wie man einen feministischen Porno dreht

Karyn Hunt und ich prüfen die Beleuchtung
Karyn Hunt und ich prüfen die Beleuchtung Foto (Ausschnitt): Michelle Gutierrez © Erika Lust

„Super, endlich hast du eine Heimat für deine pornografischen Geschichten gefunden! Da wirst du uns also in Zukunft nicht mehr damit die Ohren vollquatschen.“ Sie haben sich geirrt.

Mein feministischer Science-Fiction-Porno „Hey, Siro” ging am 15. Oktober 2020 online. Er entstand in einer erstmaligen Kooperation mit der berühmten Erotik-Website XConfessions und soweit ich weiß, war es auch das erste Mal, dass die mit einem chinesischen Regisseur zusammengearbeitet haben. Sex bringt Ehre! Als sie davon hörten, beglückwünschten mich alle meine Freunde: „Super, endlich hast du eine Heimat für deine pornografischen Geschichten gefunden! Da wirst du uns also in Zukunft nicht mehr damit die Ohren vollquatschen.“ Aber sie irrten sich. Kaum wurde ich als Porno-Regisseur hochgejubelt, wurde mir auch schon neugierig die Frage gestellt, wie ich denn in diese Branche gekommen sei? Und wie Porno und Feminismus zusammen passen? An diesem Abend gab es wieder nur dieses einzige Thema, und um es nicht ständig wiederholen zu müssen, fasse ich hier mal alles zusammen. Auch ohne „sensible Inhalte” wurde der Film „Mama Rainbow“ von der Zensur in China verboten.  Auch ohne „sensible Inhalte” wurde der Film „Mama Rainbow“ von der Zensur in China verboten. | © Fan Popo Vielleicht werden viele mir nicht glauben, wenn ich sage, dass ich eher zufällig zum Porno-Regisseur geworden bin. Als mein Film Mama Rainbow im Jahr 2015 im Internet verboten wurde, rief ich bei der Website 56 an und fragte nach dem Grund. Der Kundenservice fragte mich: „Gibt es erotische Szenen in dem Film oder geht es um Sex?“ Ich sagte sofort, nein, es sei ein Dokumentarfilm über das Familienleben von Homosexuellen. Nachdem ich aufgelegt hatte, war ich einerseits sehr wütend darüber, dass mein Film zensiert worden war, und andererseits wurde mir bewusst, was für ein schmutziges Image Sex hat – selbst ich bemühte mich, jeden Bezug zu leugnen. Und wenn ich einen erotischen Film gemacht hätte – was wäre so schlimm daran? Kann es denn sein, dass unsere Gesellschaft so etwas nicht braucht?

Kurz darauf interviewte mich zufällig eine feministische Wissenschaftlerin. Die letzte Frage ihres Interviews lautete: „Was für einen Film würdest du am liebsten drehen?“, und ich antwortete aus meinem angestauten Ärger heraus spontan: „Einen queer-feministischen Porno!“

„Wirklich?”, war ihre Reaktion, „dann must du unbedingt zwei Freundinnen von mir kennenlernen, vielleicht könnt ihr was zusammen machen.”

Wenige Tage später traf ich mich mit den beiden und wir besprachen mögliche Filmprojekte. Was aber ist nun feministisch an einem feministischen Pornofilm? Damals verstand ich das so: Erstens bietet er mehr und diversere Darstellungen des Körpers und durchbricht die starren Geschlechtermuster traditioneller Pornos, vor allem die zentralen Lustprojektionen von Hetero-Männern und die einseitige Darstellung von Frauen als Sexobjekt; zweitens wollte ich über den Film hinaus mit euch Frauen ins Gespräch kommen, so dass ihr nicht nur Objekt der Betrachtung seid, sondern Subjekte mit eigener Stimme. Dieser Dialog sollte auch ein Teil meines Films sein.

Es dauerte nicht lange und ich bekam ein 13-seitiges Handbuch zugeschickt, in dem wirklich nichts fehlte, was während eines Filmdrehs geschehen kann. Für einen Neuling wie mich war es äußerst zweckmäßig und außerdem auch uneingeschränkt feministisch.

Inspiriert haben mich die Filme Share und Sisterhood der schwedischen Regisseurin Marit Östberg. Share ist ein lesbischer Pornofilm und Sisterhood ist ein Dokumentarfilm über die Entstehung von Share, in den viele Reflektionen und Handlungen der Regisseurin eingeflossen sind. Die Regisseurin taucht auch vor der Kamera auf und wird so zu einer Aktivistin, die die Grenze zwischen dem Vor und dem Hinter der Kamera aufbricht.

Kurz darauf stellten wir unseren kleinen Null-Budget-Film The Hutong Vibe in nur drei Drehtagen fertig. Ich ahnte nicht, dass dieser Film mir die Tür zu einer neuen Karriere öffnen würde. Er wurde nicht nur auf Porno- oder LGBTQ-Filmfestivals in Berlin, Rom, Tel Aviv und Antwerpen gezeigt, sondern auch bei CineKink in New York besonders erwähnt. Als er 2017 in Berlin gezeigt wurde, war es schwer, ein Ticket zu bekommen, obwohl fünf Extratermine angeboten wurden. In meiner Nachbarschaft wurde ich sogar von Fremden angesprochen, die meinen Film lobten. Ich dachte mir, ich brauche in Zukunft gar nichts anderes mehr tun, als gewissenhaft lesbische Pornofilme zu drehen, in Berlin werde ich immer Zuschauer haben.

Die echte Chance kam dann, als ich 2019 auf einem Kurzfilmfestival in Hamburg eine Meisterklasse der Ikone des feministischen Adult-Films Erika Lust besuchte. Sie erzählte sehr detailreich über ihren Werdegang, wie sie von einer einzelkämpferischen Low-Budget-Filmemacherin zu ihrer eigenen Marke wurde, und ermutigte die zahlreichen Zuschauerinnen zur Selbstermächtigung: Mit ihrer Produktionsfirma für erotische Filme legt sie großen Wert auf die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens, betont die erzieherische Rolle erotischer Filme und beteiligt sich an gemeinnützigen Projekten, die sicheren Sex und sexuelle Zufriedenheit zum Ziel haben. Im Workshop am Nachmittag ging es vor allem um die ethischen Grundsätze, die ein Regisseur bei der Produktion eines Adult-Films beachten sollte. Ich fand, dass mir die Klasse sehr viel gebracht hatte und schickte Erika Lust ein Filmtreatment. Szene aus „The Hutong Vibe“ Szene aus „The Hutong Vibe“ | © Fan Popo Es dauerte nicht lange und ich bekam ein 13-seitiges Handbuch zugeschickt, in dem wirklich nichts fehlte, was während eines Filmdrehs geschehen kann. Für einen Neuling wie mich war es äußerst zweckmäßig und außerdem auch uneingeschränkt feministisch. Inhaltlich kann man das Handbuch in drei Teile unterscheiden: Im ersten Teil geht es um die Rechte der Schauspielerinnen. Schauspielern, die zum ersten Mal mitspielen, muss man offenlegen, auf welchen Kanälen der Film vertrieben wird und welche Folgen der Film haben kann, so dass sie es nachher nicht bereuen. Mit allen Schauspielerinnen soll vor dem Dreh abgesprochen werden, wo ihre Grenzen sind, und sie dürfen zu nichts gezwungen werden, was sie nicht möchten. Zweitens geht es darum, wie die Übertragung von Geschlechtskrankheiten vermieden werden kann. So müssen sich alle Schauspieler zum Schutz der Kolleginnen vor Drehbeginn untersuchen lassen und für die Hauptrollen muss es Alternativbesetzungen geben. Sie können vorab bestimmen, welche Schutzmaßnahmen sie wählen, je nachdem, ob sie das Medikament PreP zur Verhütung von HIV einnehmen oder ob ihr Partner im Film auch ihr/e Lebenspartner/in ist. Im dritten Teil geht es um die Abläufe am Set und die Privatsphäre. Außer den festen Mitgliedern des Filmteams darf niemand einfach nur so vorbeischauen. Die wichtigen Sexszenen sollen möglichst auf den Morgen gelegt werden, oder der Situation der Schauspielerinnen angepasst werden. Ob das Set bei den Sexszenen weitgehend leer sein soll, muss mit ihnen abgesprochen werden. Und ob der Film bei der Vermarktung mit den Social-Media-Accounts der Mitwirkenden getaggt sein soll, muss auch vorher mit ihnen geklärt werden, um ihre Privatsphäre zu schützen. 

Mein Skript war eine transethnische, multidimensionale und multi-gender Liebesgeschichte, die in einem China-Restaurant spielte. Mehr will ich hier nicht verraten… Als Produzentinnen fand ich Paulita und Sonja, zwei Stars der Berliner Pornofilmbranche. Über die Besetzung, den Ort und die Termine waren wir uns schnell einig. Gerade als der Dreh losgehen sollte, kam die Pandemie… Im März 2020 wurde in Deutschland die Vorschrift ausgegeben, dass nur zwei Leute gemeinsam draußen unterwegs sein durften. Private Treffen waren verboten, alle Klubs, Cafés und so weiter wurden vorübergehend geschlossen. Selbstverständlich mussten auch Filmteams ihre Arbeit einstellen. Die ganze Welt verfiel in eine Art Totenstarre. Die unerbittliche Pandemie führte dazu, dass erstmal keine Aussicht bestand, diesen Adult-Film mit drei Hauptrollen und einem knappen Dutzend Komparsen fertigzustellen. Schweren Herzens gab ich meine Pläne für dieses Drehbuch schließlich auf und beschloss, neue Inspiration zu suchen. Banner für „Hey, Siro“ von der Website XConfessions Banner für „Hey, Siro“ von der Website XConfessions | © XConfessions

So wurde ich in dieser Zeit zu einem echten XConfessions-„Experten“!

Dann bekam ich eine Kooperationsanfrage von XConfessions, dem Online-Kurzfilmprojekt von Erika Lust. Dies ist eine ganz bemerkenswerte Website, auf der es nicht nur zahlreiche sehr künstlerische Erotikfilme gibt, sondern auch eine einmalige Form der Interaktion: Die Mitglieder erzählen hier völlig offen von ihren erotischen Phantasien und haben die Chance, dass diese ausgewählt und verfilmt werden. Während des Lockdowns war mir nicht langweilig, denn ich habe auf XConfessions unzählige Filme angeschaut, dabei immer wieder angehalten und einzelne Szenen nochmal angesehen, um den Stil und die Machart dieser Filme zu ergründen und das Setting der Drehs besser zu verstehen. So wurde ich in dieser Zeit zu einem echten XConfessions-„Experten“!

Beim Lesen der zahlreichen Enthüllungen der Mitglieder stach mir ein Posting zu Künstlicher Intelligenz (KI) ins Auge: „Wenn die künstliche Intelligenz so weit ist, dass sie mit dem menschlichen Körper agieren kann – was hätte sie dann für ein Geschlecht?“ Ich habe den Film Her gesehen und das Thema ist mir nicht fremd – aber könnte ich daraus einen Pornofilm machen? Und zwar mit feministischer Perspektive?!

Beim Drehbuchschreiben sah ich mich mit drei Problemen konfrontiert: Ich kannte mich kaum mit Science Fiction aus und fragte mich, wie man mit begrenzten Mitteln ein Gefühl für die Technologien der Zukunft erzeugen könnte. Ich sah mir vier Staffeln von Black Mirror an und war ganz überrascht, dass die Hauptperson in einer Folge einen Film auf XConfessions sieht. Das regte mich noch mehr dazu an, einen Porno zu drehen, der in der Zukunft spielt. Zweitens: Ich weiß nicht, wie es anderen Machern von Pornofilmen geht, aber oft wurde ich von einer erotischen Szene in meinem Drehbuch so angeturnt, dass ich begann, mich beiläufig zu berühren und schließlich auf dem Bett endete, um mich selbst zu befriedigen… Manchmal geschah das dreimal am Tag oder sogar noch öfter… Bedeutete das aber nicht, dass ich erfolgreich sexuelles Verlangen erzeugt hatte? Wie Wang Cailing in dem Film And the Spring Comes sagt: „Ich weiß, dass ich von mir selbst berührt bin.“ Drittens: Wie kann eine weibliche Perspektive über die audio-visuelle Sprache des Films ausgedrückt werden? Ich hatte schon mal einen feministischen Dokumentarfilm, die VaChina Monologes gedreht, und als Student habe ich wissenschaftliche Arbeiten zur feministischen Filmkritik geschrieben. Aber ich fragte mich, wie es in der Praxis umzusetzen sei, den männlichen Blick zu durchbrechen und einen weiblichen Blick und weibliche Gedanken vor die Linse zu bringen.

Ich versuchte, Dialoge mit Siri, der digitalen Sprachassistentin in meinem iPhone, zu führen, um die Probleme einer alleinlebenden Frau in Sachen Körper und Sex nachzuvollziehen; Ich stelle mir eine Vagina vor und versuchte mit dem Handy, diesem „Organ“, mit ihr in Kontakt zu treten. Die fertigen Dialoge schickte ich an Freundinnen und fragte sie nach ihrer Meinung…. Schließlich hatte ich die letzte Version des Drehbuchs fertig. Um rechtliche Probleme zu vermeiden, sollte der Film „Hey, Siro“ heißen. Er handelt davon, wie die Menschen der Zukunft mit einer KI à la Ghost – Nachricht von Sam in sexuelle Verstrickungen und körperliche Interaktion geraten. Mein iPhone war zu diesem Zeitpunkt schon so gut trainiert, dass es reagierte, wenn ich beim Drehbuchlesen „Siro“ rief. Wenn der Mensch und KI zusammen abheben sollen, dann braucht es Verrücktheit und Phantasie!
  • Die zwei Hauptdarstellerinnen Romeo und Lucy Huxley © Erika Lust, Kamera: Michelle Gutierrez
    Die zwei Hauptdarstellerinnen Romeo und Lucy Huxley
  • Die zwei Hauptdarsteller Romeo und Lucy Huxley © Erika Lust, Kamera: Michelle Gutierrez
    Die zwei Hauptdarsteller Romeo und Lucy Huxley
Ende Mai 2020 wurde die Beschränkung privater Treffen auf zwei Personen in Deutschland aufgehoben. Auch die Filmbranche nahm die Arbeit wieder auf, natürlich unter strengen Sicherheitsmaßnahmen. Für eine Produktionsfirma, die sich seit vielen Jahren für Gesundheitsinitiativen und die Vermeidung von Geschlechtskrankheiten einsetzt, war das Virusthema nichts Fremdes. Erika Lust legte detaillierte Regeln für den Dreh fest und nahm die Kosten für die Nukleinsäuretests ins Budget auf. Die Suche nach den Drehorten und den Schauspielern verlief sehr glatt, alle waren froh, wieder arbeiten zu können. Mit Hilfe der Produzentinnen fanden wir die zwei äußerst erfahrenen Schauspieler Romeo und Lucy Huxley. Ich hatte schon Produktionen gesehen, wo sie zusammen spielten, man sah, dass die Chemie zwischen ihnen stimmte.

Als wir uns trafen, skizzierte ich den Dreh und die Auftritte, und klärte einen wichtigen Aspekt, nämlich die Absprachen zu Grenzen und Tabus. Lucy zeigte ich zwei Szenen mit Maggie Cheung aus Green Snake und New Dragon Gate Inn. Sie sollte sich beim Gehen eine Schlange vorstellen. Und zu ihrem Gesichtsausdruck, wenn sie Siro aus dem Telefon herauslockte, sollte sie sich an der Verführung von Chow Wai-on (Tony Leung) durch Jade (Maggie Cheung) in New Dragon Gate Inn orientieren. Mit Romeo sprach ich nicht nur über seine Rolle, sondern auch über Rassismus, was ja gerade ein aktuelles Thema ist. Ich fragte ihn, was er als Schwarzer über seine Rolle denke, und nahm danach einige Änderungen am Drehbuch vor.

Der Dreh fand Ende Juni statt, es war der bisher heißeste Tag des Jahres. Die Hauptdarstellerinnen mussten ohne Klimaanlage und ohne Ventilator eine Temperatur von über 30 Grad ertragen. Schweißgebadet begannen sie die erste Hardcore-Bettszene. Anders als an normalen Sets, wo der Regisseur jederzeit „Cut“ rufen kann, hatten wir vereinbart, die Sexszenen möglichst nicht zu unterbrechen. So glich der Schaffensprozess eher einer Theateraufführung als einem Filmdreh. Weil wir aber alles vorher gründlich besprochen hatten und auch die Improvisation am Set super lief, waren wir schnell fertig und konnten auch die Zeit, die mit Lüften und Desinfizieren draufgegangen war, wieder aufholen.

Um den Sexszenen eine futuristische Note zu geben, konstruierten wir den subjektiven Blickwinkel einer KI-internen Linse. Die Schauspielerinnen mussten die Sexszenen mit der Kamera als Partner/in spielen und wir verzichteten darauf, gleichzeitig den Ton aufzunehmen. Ich saß mit meiner Mund-Nasen-Bedeckung hinter dem Kontrollmonitor und rief: „Er leckt dich, du wirst immer erregter!“, „Schau in die Kamera, als ob du SIE anschaust!“, „Versuch, ausdrucksvoller zu schauen!“, „Mach dich bereit“, „Gleich kommt der Samenerguss! Gut! Jetzt, spritz ab!“

Als die Szene im Kasten war und das Set umgebaut wurde, wollte ich Lucy ihre nächste Szene vorspielen. Kaum hatte ich mich auf ihren Platz gesetzt, spürte ich was Feuchtes unter mir. Sie lachte schadenfroh – als ich mir über den Hintern wischte, fasste ich in ihr Ejakulat. Auf dem grauen Kontrollbildschirm war mir das gar nicht aufgefallen, aber die Kamera hatte das wunderbar eingefangen und die farbliche Nachbearbeitung brachte es noch besser heraus. Vor dem Dreh diskutierten alle ihre persönlichen Grenzen Vor dem Dreh diskutierten alle ihre persönlichen Grenzen. | © Erika Lust, Foto: Michelle Gutierrez Meine Kamerafrau Karyn Hunt ist ein alter Hase. Sie hat früher in San Francisco bei Kink.com, der berühmten Produktionsfirma für Adult-Filme, als Ausstatterin und Requisiteurin gearbeitet. Vor dem Beginn der Dreharbeiten haben wir die einzelnen Einstellungen durchgesprochen. Während wir die Ausrüstung diskutierten, achtete sie besonders darauf, die unterschiedlichen Hautfarben der Schauspieler vorteilhaft abzulichten. Um eine perfekte Ausleuchtung der Szene, in der Siro zum Menschen wird, zu erreichen, machte sie unzählige Experimente, bis sie schließlich eine zeitsparende Methode fand, die in hohem Maße futuristisch wirkte.

Ich musste an den kleinen Zero-Budget-Film denken, den ich vor vielen Jahren mit einem Kameramann gedreht hatte. Am Ende des ersten Drehtages hatten wir alle ein unbehagliches Gefühl: die Kamera wirkte in seinen Händen wie eine Waffe. Egal wie reflektiert oder wie queer seine Hände sein mochten – trotzdem ließ sich das Problem nicht vermeiden. Auch ich, der ich mich schon immer gegen identitären politischen Essentialismus aufgelehnt habe, musste seufzend die Bedrohlichkeit des „biologischen Geschlechts“ feststellen. Zum Glück sprang damals eine befreundete Kamerafrau ein und rettete den Film.

Feminismus findet nicht nur vor der Kamera statt. Auch dahinter muss Diversität herrschen und es ist besonders wichtig, dass Frauen im Filmteam sind.

Unser Team bestand außer mir, dem Lichttechniker und dem Fahrer nur aus Frauen. Sie alle waren erfahrene, routinierte Akteurinnen der Berliner Adult-Filmszene. Unsere Szenenbildnerin hat mehr als ein Dutzend Filme ausgestattet, von retro bis zeitgenössisch, vom Büro bis zur Bäckerei, sie achtete auf die kleinsten Details. Als die Tonmeisterin die Bettgeräusche nachbauen musste, sprang sofort die Assistenzregisseurin aufs Sofa und lieferte mit ein paar Bewegungen ein lebensechtes Geräusch. Manche Dinge bemerkte ich erst während der Post-Produktion und war meinem Team sehr dankbar. Auch die Schnittfrau und die Farbgestalterin verstanden sich fast ohne Worte, wenn einer von uns den Mund öffnete, konnten die anderen schon erraten, was er oder sie sagen wollte. Es war wirklich eine glückliche Teamzusammensetzung! Karyn Hunt und ich prüfen die Beleuchtung Karyn Hunt und ich prüfen die Beleuchtung. | © Erika Lust, Foto: Michelle Gutierrez Diese Produktion hat mir vier neue Erkenntnisse über feministische Pornofilme vermittelt: Erstens: Zwar sagt man oft, Kunst solle aus der Seele heraus geschaffen werden, aber auf Pornografie trifft das wohl weniger zu. Da sollte die Inspiration aus dem dantian kommen, dem energetischen Zentrum des Menschen, aus den Schwellkörpern, dem Schließmuskel, aus jedem Haar und jedem Tropfen Körperflüssigkeit... Die Geschichte entsteht aus dem Körper, und wenn das Begehren Ausdruck findet, kommt der Erfolg von selbst.

Zweitens: Auch ein Pornofilm ist ein Film und erfordert dieselbe ernsthafte künstlerische Herangehensweise wie alle Filme. Man muss die Details im Griff haben und bei der Geschichte kann man nicht visionär genug sein. Die audio-visuelle Sprache muss das Publikum verführen und seine Lust anstacheln. Ich bin überzeugt, dass ich das alles erreicht habe, wenn ihr es nicht glaubt, schaut euch einfach meinen Film auf XConfessions an.

Drittens: Feminismus findet nicht nur vor der Kamera statt. Auch dahinter muss Diversität herrschen und es ist besonders wichtig, dass Frauen im Filmteam sind. Das trägt nicht nur dazu bei, den feministischen Blickwinkel zu verstärken, sondern auch dazu, das Geschlechterverhältnis in der Filmbranche zu verbessern. Damit identifizieren wir, die Produzentinnen und ich, uns und wir haben das auch umgesetzt.

Feminismus existiert nicht isoliert und kann sich nicht nur auf zwei Geschlechter bzw. nur auf das Geschlecht konzentrieren. Mehr ethnische Vielfalt, die Darstellung unterschiedlicher Altersgruppen und die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen sind alles wichtige Aspekte. An diesen Problemen müssen wir noch weiter arbeiten, die Revolution ist noch nicht vollendet und wir alle aus der LGBTQ-Szene müssen uns noch weiter anstrengen.

Dieser Artikel wurde ursprünglich von BIEDE veröffentlicht und für uns vom Autor aktualisiert.
 

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