abC Art Book in China  Messenachlese einer Ausstellerin

Selbstständige Publikation
Selbstständige Publikation © Water Journal via unsplash.com

In diesem Jahr fand die abC Art Book in China das sechste Jahr in Folge statt. Ausgehend von einem externen Ausstellungsprojekt der Abteilung für Druckgrafik der China Academy of Art im Jahr 2015 hat sich die Bücherschau inzwischen als eigenständiges Event für künstlerische Publikationen etabliert, das sich zuverlässig zweimal jährlich dem Publikum präsentiert.

Am Tag nach dem Ende der Pekinger abC Art Book in China regnet es in Strömen. Wie viele der anderen Messeteilnehmer mache ich es mir jetzt in aller Ruhe zu Hause gemütlich und warte in eine Art Bewegungsstarre verfallen darauf, dass die körperliche Erschöpfung langsam nachlässt. Die meisten meiner Kollegen, die wie ich in Zone D der Bücherschau einen Stand hatten, sind Freiberufler, die normalerweise nicht zur Arbeit antanzen müssen. Und so hat jeder von uns in den letzten drei Tagen eine ungewohnte Disziplin an den Tag gelegt. Schließlich musste man schon vor zehn Uhr morgens auf der Matte stehen und bei schwüler Hitze bis sieben Uhr abends auf dem „Messeposten“ die Stellung halten.

In diesem Jahr fand die abC Art Book in China (auch unter dem Namen abC Art Book Fair bekannt) das sechste Jahr in Folge statt. Ausgehend von einem externen Ausstellungsprojekt der Abteilung für Druckgrafik der China Academy of Art im Jahr 2015 hat sich die Bücherschau inzwischen als eigenständiges Event für künstlerische Publikationen etabliert, das sich zuverlässig zweimal jährlich dem Publikum präsentiert. Sogar während der Pandemie im letzten Jahr legte die Messe keine Pause ein. Nachdem ich in der Vergangenheit bereits viele Male als Pressevertreterin, normale Besucherin oder als Gast von Freunden auf der Buchmesse war, wurde ich in diesem Jahr zum ersten Mal als Ausstellerin Teil des Events und lernte die Veranstaltung noch aus einem neuen Blickwinkel kennen.

Also beschloss ich, die Buchmesse offiziell zum Anlass zu nehmen, ins kalte Wasser der Selbständigkeit zu springen.

Für mich persönlich begannen die Vorbereitungen für die Teilnahme an der diesjährigen abC bereits im März dieses Jahres. Wer als freier Kreativer in Peking oder Shanghai – den zwei Veranstaltungsorten der Bücherschau – lebt, und insbesondere im Bereich von Bild und Grafik (also Fotografie, Design, Comics und Illustration) tätig ist, hat in den letzten Jahren bestimmt schon einmal mit dem Gedanken gespielt, an der abC teilzunehmen. Schließlich bieten sich einem hier eine Plattform zur Selbstvermarktung, ein Fenster für direkten Kundenkontakt und die Gelegenheit auf finanzielle Unterstützung, und ganz nebenbei außerdem die Möglichkeit, der eigenen Kreativität etwas auf die Sprünge zu helfen.

Nachdem ich seit letztem Jahr als Freelancerin arbeite, kann ich über meine Zeit freier verfügen. Also beschloss ich, die Buchmesse offiziell zum Anlass zu nehmen, ins kalte Wasser der Selbständigkeit zu springen. Normalerweise veröffentliche ich meine kurzen Comics über meinen eigenen Social-Media-Account, doch die abC und die dort versammelte „unabhängige Verlagsbranche“ gab mir nun in gewisser Weise die ultimative Form für meine Arbeiten vor. Seitdem ich mich mit dem Gedanken trug, an der Bücherschau teilzunehmen, entwickelte sich mein ganzes Schaffen unwillkürlich in Richtung einer möglichen Buchveröffentlichung. Wie ich weiß, gehört die Buchproduktion bei anderen Künstlerkollegen (oder sagen wir „Bibliophilen“) immer mehr zur gängigen Praxis.

Zum wichtigsten Part der Vorproduktion gehört dabei die Entscheidung über die Bindungsart und Druckmethode des Buches. Über die letzten Jahre hat die abC deswegen für potenzielle Kreative bereits Detailinformationen über vorgelagerte Lieferanten wie Papierhersteller, über Druckereien, unabhängige Verlage und Buchgestalter zusammengestellt. Zudem bieten die auf der Messe präsentierten Werke reichlich Anschauungsmaterial. Für eine an ein gewisses Budget gebundene Bücherfreundin wie mich war all das bei der eigenständigen Bucherstellung doch eine große Hilfestellung.
Im Eingangsbereich der Pekinger 6. abC Art Book in China Im Eingangsbereich der Pekinger 6. abC Art Book in China | © abC Art Book in China Wie für die vorherigen abC-Messen gab es einen öffentlichen Anmeldeprozess, wobei die Informationen zum Standort Peking sowie das Bewerbungsprozedere in diesem Jahr ab April abrufbar waren. Der erste Schritt der Registrierung als Ausstellerin bestand darin, den eigenen Status als Institution bzw. Einzelperson/Team festzulegen. Anschließend konnten entsprechend der Menge der eigenen Exponate Stände verschiedener Größe gewählt werden, was unterschiedliche Kosten nach sich zog.

Alle Bewerber durchliefen einen Prüfungs-, und Auswahlprozess, ehe sie im Verlauf eines Monats ein Bestätigungsschreiben und einen Gebührenbescheid erhielten. Das bedeutete, dass man vor der Zuteilung eines offiziellen Messestands noch etwa eineinhalb Monate entspannt Zeit hatte, seine Vorbereitungen zu treffen. In dieser Phase erhielten wir sukzessive detaillierte Anweisungen zur Messeteilnahme, einen Lageplan sowie eine Reihe von Einladungen, sich am Online-Marketing zu beteiligen, z.B. durch Veröffentlichung von selbsterstellten Werbebannern und Online-Exponaten. Alle Arbeitsschritte wurden dabei über die offizielle Website oder geschäftsmäßige E-Mails abgewickelt und erst wenige Tage vor dem Messestart wurde schließlich eine flexible WeChat-Arbeitsgruppe eingerichtet.
Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Themenausstellung „Common Street“ Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Themenausstellung „Common Street“ | © abC Art Book in China Die abC-Bücherschau wird in letzter Zeit mit immer größerem kuratorischen Aufwand betrieben. Dabei setzte sich die diesjährige Messe wie im vorangegangenen Jahr unter anderem aus den Modulen Themenausstellung, Spotlight, Hauptausstellung, Internationale Exposition, Vorträge und Diskussionen sowie Workshops zusammen. Daneben gab es ein Areal für offizielles Merchandising, eine Verpflegungs- und Ruhezone sowie den Showroom der Sponsoren. Eng an die aktuelle öffentliche Debatte angelehnt lauteten die Schlagworte der diesjährigen Themenausstellung sowie der Sektion Spotlight „Öffentlicher Raum“ und „Frauen“, worin sich der kritische, reflektierte und interaktive Geist ausdrückte, den man im Allgemeinen mit einem „freien Verlegertum“ verbindet. Im Erdgeschoss setzte die Sonderausstellung das Thema „Common Street“ in Form von temporären baulichen Elementen, Graffiti und bazarähnlichen Auslagen effektvoll um. Und auch wenn ich hinter meinem eigenen Messestand festsaß und mich nicht in aller Ruhe umsehen konnte, wirkte die Szenerie auf mich alleine im Vorbeigehen sehr beeindruckend.

 
  • Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Themenausstellung „Common Street“ © abC Art Book in China
    Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Themenausstellung „Common Street“
  • Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Themenausstellung „Common Street“ © abC Art Book in China
    Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Themenausstellung „Common Street“
Die Ausstellung im zweiten Stock umfasste die Bereiche Materialien und Druck sowie die Hauptausstellung der aus ganz China kommenden Institutionen in Form von unabhängigen Buchhandlungen und freien Verlagen sowie der kreativen Einzelpersonen/Teams. Dieses Jahr gab es erstmals auch sogenannte „kleine Tische für kreative Einzelkämpfer“ zu einer reduzierten Standgebühr. Für diese Kategorie hatte ich mich beworben.

Tatsächlich hat man für die Bücherschau nie eigens definiert, was eigentlich unter einem „künstlerischen Buch“ zu verstehen ist. Den damit im Zusammenhang stehenden Begriff der „unabhängigen Publikationen“ hat man über die Jahre auf jeden Fall immer großzügiger ausgelegt, so dass man am Ausstellungsort ganz unterschiedliche Dinge findet: schön gebundene Bildbände, importierte Bücher mit internationaler Standardbuchnummer, Designplakate und dekorative Poster, Audio- und Videoprodukte und sogar eine kleine Anzahl von Publikationen mit rein chinesischer Auflagennummer. Aber auch in Handarbeit oder durch Direktdruckereien gefertigte DIY-Broschüren haben in diesem Ausstellungsbereich ihren Platz. Hochwertige Bücher sind zwar teurer, haben aber immer noch einen Wettbewerbsvorteil; auch wirkt der Bekanntheitsgrad des Autors verkaufsfördernder als das Exponat per se. Und auch wenn es keine definitiven Standards für ein Bewertungssystem der Exponate geben kann, scheint der im letzten Jahr ins Leben gerufene „abC Art Book Award“ zumindest ein weiterer Anreiz für freie Kreative mit eher begrenzten Ressourcen zu sein.

 
  • Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Messebereich D © abC Art Book in China
    Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Messebereich D
  • Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Merchandising © abC Art Book in China
    Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Merchandising
Dass die abC mittlerweile ein riesiges kommerzielles Kulturevent ist, ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Die Preise der Exponate sind mit diesem Trend entsprechend stark gestiegen. Selbst ich, die zum ersten Mal mit einem bescheidenen Tisch auf der Messe vertreten war, sah mich dazu genötigt, die Preisschilder mit hoch gegriffenen Zahlen zu versehen, auch wenn ich mich dabei nicht ganz wohl in meiner Haut fühlte. Am ersten Publikumstag hatten einige Buchkäufer allerdings nur 0,01 Yuan ausgegeben, wenn sie per QR-Code-Scanner via Smartphone zahlten. Aus der Perspektive einer hart arbeitenden Selbständigen ist dieses Verhalten empörend, und doch war für mich darin auch eine Form von Protest erkennbar: Eine offene Provokation in Hinblick auf die allgemein hohen Festpreise für die Produkte auf der Bücherschau (es stimmt ja, die hinter der Herstellung eines eigenen Buches stehenden Materialkosten und der Arbeitsaufwand sind dem Verbraucher nur schwer zu vermitteln).

Seitdem Buchmessen beim Verbraucher im Trend liegen und mehr öffentliches Publikum anziehen, sinken in der Folge die Transaktionsraten; doch auf der anderen Seites bieten diese Veranstaltungen eine ausgezeichnete Gelegenheit für Kulturstudien. In den drei Tagen konnte ich von meinem Stand aus unzählige Besucher beobachten und habe allmählich gelernt anhand ihrer Blicke einzuschätzen, was sie umtreibt (das funktioniert zuverlässiger, als wenn man auf ihr Outfit achtet). Vom Standpunkt der Zone D betrachtet blickten die meisten Besucher etwas ratlos drein und sahen sich hilflos um, als müssten sie erst herausfinden, wonach sie eigentlich suchten; ein anderer Teil des Publikums hatte einen ganz unbeirrten Blick und durchstöberte mit erstaunlicher Ausdauer einen Stand nach dem anderen, ohne dabei nach rechts oder links zu blicken. Jeden Tag gegen drei Uhr nachmittags (im Erdgeschoss konnte das auch eine Stunde früher passieren) erreichte das Besucheraufkommen seinen Höhepunkt, was jedes Mal mit niedrigem Sauerstoffehalt und hohen Temperaturen einherging. Dabei wirkte es auf mich immer wieder absurd, wenn ich jemanden beobachtete, der mit einem elektrischen Handventilator in der Hand trotz des Luftzugs versuchte in einem Buch zu blättern.  Nichtsdestotrotz habe ich während der dreieinhalb Tage inklusive des Vorbesichtigungstags für Medienvertreter auch als namenlose Standinhaberin etliche tröstliche und ehrliche Rückmeldungen erhalten. Wertvolle Momente, die mir wahrscheinlich sogar Impulse für die Schaffensphase des nächsten Jahres geben.
Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Vorträge und Diskussionen Die 6. Pekinger abC Art Book in China, Vorträge und Diskussionen | © abC Art Book in China Auch wenn ich wahrscheinlich nicht die Energie aufbringen werde, an der in ein paar Monaten stattfindenden abC in Shanghai teilzunehmen, werde ich mich aller Voraussicht nach im nächsten Jahr wieder für die Veranstaltung in Peking anmelden. Irgendwie hat das diesjährige Erlebnis – auch wenn es kein durchschlagender Erfolg (aber immerhin auch kein Misserfolg) war – doch meinen Kampfgeist geweckt, und das will unter freien Kreativen schon etwas heißen.
 

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