Kunstfreiheit in Hongkong  Es gab Jahre, da war ich der Markt

Eine Museumsbesucherin, die Socken mit der Jahreszahl 1997 trägt
Museumsbesucherin © yì magazìn

Uli Sigg ist der bedeutendste Sammler chinesischer Gegenwartskunst. 2012 verschenkte er den Großteil seiner Sammlung an das M+ in Hongkong. Jetzt hat das Museum eröffnet – doch Hongkong ist inzwischen eine geknebelte Stadt. Kann die Hafenmetropole noch Kunstfreiheit?

Der erste Test ist bestanden, findet Uli Sigg.

Denn es ist alles gut gegangen: Das M+ hat eröffnet, die ersten Zuschauer sind ins Museum geströmt und, das ist für den Schweizer Kunstsammler das Wichtigste, es ist alles ausgestellt worden. Er hat kein Exponat von der Werkliste nehmen müssen.

Das M+ ist eine Museumsneugründung, die es mit den Großen der Szene aufnehmen will. Sie will das MoMa in New York in den Schatten stellen und auch das Centre Pompidou in Paris. Sigg, als Schweizer eigentlich ein Mann des nüchternen Typs, sagt über das Museum diesen Satz: „Es gibt auf der ganzen Welt kein besseres Museum.“ Das Lob ist auch ein Selbstlob. Denn Siggs Sammlung steht im Mittelpunkt des Museums. Uli Sigg hat schon viele Leben geführt. Der Schweizer arbeitete erst als Wirtschaftsjournalist, dann nahm er einen Job bei dem Aufzughersteller Schindler an. In dieser Rolle fädelte er das erste Joint Venture eines westlichen Industriekonzerns mit einem chinesischen Staatsbetrieb ein. In den Neunzigerjahren wurde er zum Botschafter seines Heimatlandes in China berufen. Während seiner Zeit als Diplomat betätigte er sich aber vor allem als Sammler chinesischer Gegenwartskunst. „Es gab Jahre, da war ich der Markt“, sagt er.

Die Gegenwartskunst ist im Vergleich zu traditioneller chinesischer Kunst kritisch, sie legt den Finger in die Wunde.

Es ist ein Montag, als ich Sigg per Videoanruf zu Hause auf Schloss Mauensee erreiche. Das Schloss liegt auf einer kleinen Insel im Mauensee im Kanton Luzern, auf halber Strecke zwischen Zürich und Bern. Der Schweizer Sigg ist für sein Alter von inzwischen 75 Jahren ausgesprochen drahtig. Auch ist er immer noch ziemlich beschäftigt. Er ist gerade erst von der Museumseröffnung in Hongkong zurückgekehrt. Doch noch am selben Tag wird er für einen Vortrag nach Bern fahren.

Er sei immer enzyklopädisch vorgegangen, erzählt Sigg. Was er damit meint: Er sammelte nicht, was ihm gefiel, sondern was ihm in die Quere kam. Also alles. Damit hat der Schweizer, so sehen es manche Kunstexperten, die Sammlung zusammengetragen, die eigentlich ein chinesisches Nationalmuseum hätte zusammentragen müssen. Aber das offizielle China, so Sigg, behandele moderne Kunst stiefmütterlich. Der Grund: „Die Gegenwartskunst ist im Vergleich zu traditioneller chinesischer Kunst kritisch, sie legt den Finger in die Wunde.“ Fassade vom M+ Museum in Hongkong M+ in Hongkong | via Wikimedia Commons Im Jahr 2012 entschied sich Sigg, den Großteil seiner Sammlung, rund 1500 Werke, zu verschenken. Die Wahl fiel damals auf Hongkong – und das sah nach einem klugen Schachzug aus. Denn klar war: Kein Museum in Peking oder Schanghai würde die Sammlung je zeigen. Die Hafenstadt Hongkong hingegen ist seit den Neunzigerjahren wieder Teil Chinas, aber ein Teil, in dem, zumindest im Jahr 2012, mehr Meinungs- und Kunstfreiheit herrschte als im Rest Chinas. Eine weltoffene Stadt, ein Schmelztiegel zwischen Ost und West.

Was Sigg nicht ahnte: Die Kommunistische Partei Chinas (KPC) trat an, die Autonomie der Sonderverwaltungszone auszumerzen. Sie wrackte das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ ab, das Hongkong einen Sonderstatus einräumte. Kritiker sprechen heute von „Ein Land, ein System“. Kurz: Im Vergleich zu 2012 ist Hongkong nicht mehr wiederzuerkennen.

Im vergangenen Jahr verabschiedete die Volksrepublik in der Hafenmetropole sogar ein „Sicherheitsgesetz“, mit dem sie gegen Demokratiebefürworter in Parlament und Zivilgesellschaft vorgeht. Auch Meinungs- und Kunstfreiheit unterliegen seither der Willkür der autokratisch herrschenden KPC. Mit dem „Sicherheitsgesetz“ sei Hongkongs Ruf als Kunstmetropole beschädigt, sagt Sigg. Kritische Künstler hätten Angst, nicht ausstellen zu können. In der Stadt herrsche eine „Stille, die der Kreativität nicht zuträglich ist“. Baustelle des M+ Museums im Februar 2017 Baustelle im Februar 2017 | via Wikimedia Commons Sigg erzählt, dass er rund sechs Wochen lang Gespräche mit den Behörden habe führen müssen, um die Werkliste seiner Sammlung durchzusetzen. Und dabei viel Überzeugungsarbeit habe leisten müssen. Erstaunlich ist das nicht. Im Frühjahr beteuerte selbst Carrie Lam, die Regierungschefin der Stadt, dass ihre Behörden „in voller Alarmbereitschaft“ seien und dafür sorgen würden, dass die Ausstellung nicht die „nationale Sicherheit untergrabe“.

Aber, und das ist dieser Tage ein kleines Wunder, es ist ihm geglückt: Sigg hat seine Werkliste durchgesetzt. Und so ist im M+ derzeit Kunst zu sehen, wie man sie im Rest Chinas nicht zu Gesicht bekommt. Von Ai Weiwei etwa und von Wang Xingwei. Das ein Bild wie Wangs Ölgemälde „New Beijing“ auf dem chinesischen Festland ausgestellt wird, ist völlig undenkbar. Denn es spielt auf das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 an – und auf die Zensur der Erinnerung daran. Auf dem Gemälde transportiert eine Handvoll Männer blutende Opfer des Massakers auf Fahrrädern ab. Doch die Opfer sind keine Menschen. Stattdessen liegen Pinguine auf den Rädern – Seevögel, die es in China gar nicht gibt

Denn die Sammlung gehöre nach China und eines Tages werde sie auch überall im Land zu sehen sein.

So schön es für Sigg auch ist, dass er seine Werkliste durchgesetzt hat: Er macht sich keine falschen Hoffnungen. Er weiß, dass die autoritäre Wende Chinas dem Präsidenten Xi Jinping zuzuschreiben ist. Und dass dieser im kommenden Jahr wohl eine dritte Amtszeit antreten wird – eine Abkehr von KPC-Konventionen, die in den 80er-Jahren eingeführt wurden. „Damit wissen wir, welches China wir in den kommenden Jahren bekommen“, sagt Sigg trocken.

Trotzdem würde er seine Sammlung wieder nach Hongkong geben, sagt er. Denn sie gehöre nach China und eines Tages werde sie auch überall im Land zu sehen sein, „auch wenn ich das vielleicht nicht mehr erlebe“.

Was er tun würde, wenn die Behörden in Hongkong anfangen, seine Sammlung zu zensieren?

„Wieder Gespräche mit den Behörden führen und Überzeugungsarbeit leisten“, sagt er: „Und in letzter Konsequenz juristische Schritte einleiten.“ Wer ihm genau zuhört, hört den Zweifel in seiner Stimme.

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