Musik und Autobahn Die schönsten Highway-Songs

Joan Baez 1965 in Montgomery, Alabama
Joan Baez 1965 in Montgomery, Alabama | Foto von Morton Broffman/Getty Images

Babe, that highway’s a-callin’, singt Joan Baez. Songs über Highways sind das allerschönste. Setz dich in den Wagen und leg eine Kassette ein, die Kollegen Andreas Ströhl in Johannesburg und Michael Krell in Montréal präsentieren dir ihre absoluten Lieblings-Highways-Songs. Kurble jetzt das Fenster runter, lass den Fahrtwind rein, dreh die Musik lauter und genieße. It’s called freedom.

Andreas Ströhl: Highways of My Mind

I’m goin’ out on the highway
Listen to them big trucks whine

(Townes van Zandt)

1. Terry Allen: Amarillo Highway (1979)

Terry Allen, der texanische Universalkünstler, brettert als card shark über den Highway 87. Er ist ein Profi, anscheinend unempfindlich.

An’ I ain’t got no blood veins
I just got them four lanes
Of hard-ass Amarillo Highway

Aber seine Welt ist zerbrochen. Der Mann braucht Pillen, um loszukommen; er braucht Fast Food und eine Ladung texanisches Bier, wahrscheinlich auch Kokain, das er wegschnupft wie Jackson Browne die unterbrochene Mittellinie: I got a broken white line (I’m still sober).

Die lifeline: Kokainlinie, Mittelstreifen, Rettungsseil und stromführender Draht in einem. Dazu kommt noch die sexuelle Fantasie auf dem Rücksitz.

There’s a girl in her barefeet
’Sleep on the back seat

Warum spricht uns der Song an? Weil er nichts erklärt. Er adressiert uns als Vertrauten, als Spielerkollegen, als texanischen Zocker, vertraut mit Plainview, Idalou und high straits. Dem 80-jährigen Zocker Allen allzeit ein ten-to-ace – und ein kaltes Lone Star!
Links Terry Allen, rechts das Chalk Hill Drive-in Theater am Highway 80 in Dallas, Texas

Links: Terry Allen (Foto von Gary Krueger, Courtesy Paradise of Bachelors). Rechts: das Chalk Hill Drive-in Theater am Highway 80 in Dallas, Texas (Silbergelatineabzug von Steve Fitch von 1973, Courtesy Smithsonian American Art Museum)

2. Hank Williams: Lost Highway (Payne, 1948)

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal

Lifelines bieten Halt in der Versuchung.

The road is long
And the road is hard
And many fall by the side
(Cave)

Präsident Eisenhower aber schuf ein System von Autobahnen in den USA. Nun kann man dort leicht vom rechten Weg abkommen. Autobahnen treten, wie um Relationalität zu veranschaulichen, als Vexierbilder in den Vordergrund wie Adern auf bleicher Haut. Sie sind wirklich, das Land, das sie zerschneiden, Illusion. Seine Weite, seine Autokultur und sein Protestantismus schaffen eine Vielfalt von Versuchungen.

Just a deck of cards, and a jug of wine
And a woman’s lies makes a life like mine
Oh, the day we met, I went astray
I started rolling down that lost highway

Nun ist alles zu spät, alles verloren.

And now I’m lost, too late to pray
Lord, I paid the cost on the lost highway
 
Man stirbt, alone and forsaken, an Neujahr 1953 irgendwo auf dem Highway 77, auf dem Rücksitz, wo doch eigentlich das girl in her barefeet harren sollte.

3. Joan Baez: Babe I’m Gonna Leave You (Bredon, 1960)

Es gibt keine Wahl. Es geht nicht, wie etwa in Don’t Think Twice It’s Alright, um eine gescheiterte Beziehung. Es ist einfach so, dass der Highway ruft. Dem ist Folge zu leisten, und zwar in existenzieller Einsamkeit.

Babe, that highway’s a-callin’
That old highway’s a-callin’
Callin’ me to travel on, travel on, out westward
Callin’ me to travel on alone


Der Ruf geht in die Füße, nicht an den Verstand.

My feet start goin’ down, goin’ down that highway
My feet start goin’ down, goin’ down alone


Die Versuchung ist unwiderstehlich. Diese Rastlosigkeit, die Sehnsucht nach dem, was hinter dem nächsten Hügel liegen mag, hat Hank Williams das Leben gekostet.

When that open road starts to callin’ me
There’s somethin’ o’er the hill that I gotta see

(Williams)

Und dieses Sehnen gilt nicht mehr der City Upon a Hill der Gründerväter. Es ist, nach dem Ende des Amerikanischen Jahrhunderts, pure Transzendenz. In die Ferne gerichtet, hinter die sieben Berge.

4. Tom Robinson: 2-4-6-8 Motorway (1977)

Dieser Trucker-Klassiker aus dem England der Ölkrise enthält die wichtigsten Motive des Genres: nächtliche Einsamkeit und die Sehnsucht nach Licht und Liebe – oder zumindest Sex. Und natürlich, selbstreflexiv, Musik. Das Radio, der Freund des Truckers, enigmatisch wie die trucker bomb.

Just me and my radio trucking on through the night

Das ist seltsam drogenfrei und unironisch. Trucker-Alltag. Und doch erscheint auch in diesem einfachen Song der Mensch als homo viator, stets auf der unsicheren Suche nach dem rechten Weg.

Ain’t nobody know when you’re acting right or wrong
No one knows if a roadway’s leading nowhere
Gonna keep on driving on the road I’m on


Weiterfahren, trotz aller Zweifel? Das klingt unsicher: I don’t know when that road turned onto the road I’m on (Browne).

Die Autobahn ist der Lebensweg, die runtergerissenen Meilen seine Erfüllung:

I’ve lived a life that’s full
I traveled each and every highway

(Sinatra)

You may bury my body
Down by the highway side
So my old evil spirit
Can catch a Greyhound bus and ride

(Robert Johnson)
Tom Robinson Band

Die Tom Robinson Band 1977 (v.l.n.r. Mark Amber, Brian Taylor, Tom Robinson und Danny Kustow) | © Picture-Alliance

Michael Krell: Lieder vom Weggehen und Ankommen

Like a ghost on the highway
Oh, lost on the highway

(The Gun Club, Ghost on the Highway)

5. Paul Simon: Graceland (1986)

Verletzt durch das Scheitern seiner Ehe, ein wenig erfolgreiches Soloalbum, und die immer schwieriger werdende Beziehung zu seinem Partner-in-crime Art Garfunkel begann Paul Simon sein Album Graceland im Jahre 1986 mit einem gleichnamigen Song über eine Reise, die er in Begleitung seines 9-jährigen Sohnes zur Ruhestätte Elvis Presleys unternommen hatte:

I’m going to Graceland
For reasons I cannot explain
There’s some part of me wants to see
Graceland


Die Hoffnung, am Ende dieser Reise Richtung Memphis Heilung für ein aus den Fugen geratenes Leben zu finden, ist die Geheimzutat von Highway-Songs schlechthin. Karten oder GPS sind überflüssig, das Land weist den Weg:

I am following the river
Down the highway
Through the cradle of the Civil War


Und so fügen sich die Geschichten der Vergangenheit zur eigenen hinzu und hinterlassen ihre Abdrücke auf der heilenden Seele. Schade, dass die Reise irgendwann zu Ende geht.

6. Iggy Pop: The Passenger (1977)

Der urbane Joyride als vernebeltes Delirium, die Lichter der nächtlichen Stadt und ihre raue Schönheit als Kulisse, end- und ziellose Fahrten, als Treibstoff nur, was in den Adern fließt, und die Lust for Life, das erlebt Iggy Pop auf diesem bereits zweiten Album des Jahres 1977, aufgenommen in den Berliner Hansa-Studios.

I am a passenger
And I ride, and I ride


Feierlich beschreibt der Protagonist seine Irrfahrten durch das für ihn noch fremde Westberlin, als Beifahrer bei Freunden oder in der S-Bahn als Ode auf das Leben vor dem Hintergrund der geteilten Stadt inmitten der Ölkrise, dem kalten Krieg und der kulturellen Neusortierung, die Mitte der Siebzigerjahre durch Punk ausgelöst wurde. Vor diesem Hintergrund der Ungewissheit und der gesellschaftlichen Veränderungen ist das nächtliche Streunen kein ungetrübtes Vergnügen, sondern eher ein konterrevolutionärer Hedonismus in schweren Zeiten.

He looks through his window
What does he see?


Einige Jahre später, mit dem Segen des Meisters, veredelten Siouxsie and the Banshees das raue Stück auf ihrem Coveralbum Through The Looking Glass mit fetten Bläsersätzen und ihrem typischen energischen Mezzosopran (tiefste Note C3).

7. Dr. Feelgood: Get Your Kicks On Route 66 (Bobby Troup, 1946)

If you ever plan to motor west,
Travel my way, take the highway that is best.
Get your kicks on Route 66.


Besser wird es nicht. 2.000 Meilen der besten Autoroute, die Haare vom Wind verweht, mit Boxenstopps an eigentlich unscheinbaren Orten, die allein dadurch zur Sehenswürdigkeit wurden, dass sie am famosen, mittlerweile allerdings schon lang nicht mehr in seiner ursprünglichen Form existenten Highway 66 in den USA lagen. Das Traumziel ist natürlich das schöne Kalifornien:

Won’t you get hip to this timely tip:
When you make that California trip.


Es existieren mehr als 200 Interpretationen von Route 66, man begegnet klangvollen Namen wie Nat King Cole, Bing Crosby, den Rolling Stones. Die Version der englischen Pubrocker Dr. Feelgood aber sticht durch ihre ikonoklastische Energie heraus. Wütend treiben sie den feinen Rhythm & Blues der Vierzigerjahre vor sich her, als wollten sie aus der sonnigen Reise quer über den Kontinent eine wüste Sauftour machen. Wenn man Sänger Lee Brilleaux in seinem schmutzigen weißen Anzug auf der Bühne stehen sieht und die Worte

It winds from Chicago to L.A.
More than two thousand miles all the way
Get your kicks on Route 66


in die Menge schreien hört, wird das romantische Bild der pompösen Spritztour durch das amerikanische Paradies zurück auf die echte Straße geholt, die der Träumer und der Suchenden.

8. Roy Orbison: I Drove All Night (Steinberg/Kelly 1987)

I had to escape, the city was sticky and cruel
Maybe I should have called you first
But I was dying to get to you


Diese Flucht hat die Liebe zum Ziel, die Erlösung vom unerträglichen Zustand des Getrenntseins. Das Erlebnis der nächtlichen Fahrt zur Geliebten verwirbelt im Nebel der Lust

I was dreaming while I drove
The long straight road ahead


Das Verlangen ist der Motor vieler Roadsongs, aber kaum einer besitzt eine so fanatische Energie wie I Drove All Night, geschrieben vom Songwriter-Duo Billy Steinberg und Tom Kelly (Like A Virgin, True Colors) für den amerikanischen Crooner Roy Orbison, dessen Aufnahme des Songs allerdings erst posthum im Jahre 1992 veröffentlicht wurde. Cindy Lauper kam ihm im Jahre 1989 zuvor, ihre Interpretation erreicht aber nicht die Klasse der Version des texanischen Womanizers, der 1988 im Alter von nur 52 Jahren verstarb.

I drove all night crept in your room
Woke you from your sleep to make love to you
Is that alright?
I drove all night
Roy Orbison: „I drove all night“

Porträt von Roy Orbison 1964 (links) und rechts eine Szene aus dem Musikvideo von „I drove all night“ mit Jennifer Connelly und Jason Priestley | © National Portrait Gallery, Smithsonian Institution; acquired through the generosity of Sidney Hart

9. Tracy Chapman: Fast Car (1988)

You got a fast car
Is it fast enough so we can fly away?
We gotta make a decision
Leave tonight or live and die this way


Auf der Suche nach der Erfüllung ihrer Träume – in Tracy Chapmans Grammy™-prämierter Working-class-Ballade Fast Car ist die Straße der einzige Weg aus der Hoffnungslosigkeit der Armut. Die Pläne klingen vage, aber ambitioniert

Won’t have to drive too far
Just ’cross the border and into the city
You and I can both get jobs
And finally see what it means to be living


… doch es geht schief. Der Plan geht nicht auf, der Besitzer des Fast Car entpuppt sich als Enttäuschung, genau wie dieser Highway, dessen Versprechen eine Lüge, er selbst nur eine Sackgasse war.

So geht mal bergauf, mal bergab in den Liedern der Highways mit ihren Geschichten des Verlassens und Ankommens, voller Verheißungen und reich an wunderlichen, schmerzhaften oder sinnlichen Erfahrungen. Selten wird ein Ziel erreicht oder eine Lösung gefunden – aber ist ja eigentlich auch egal, die Welt ist groß, probieren wir es halt nochmal; anderswo. Singin` la la la la la la la la.

At the end of the road, you will
Find the answer

(The Distillers, Hall of Mirrors)