Theaterprojekt „Totally Happy“
Alles andere als chinesische Massenware
Nein, die Chinesen kopieren nicht. Im Gegenteil. Das Stück „Totally Happy“ von Regisseur Tian Gebing setzt kreativ von einer zur andern Kultur über – ohne gemeinsame Sprache, aber mit viel Humor. Eine chinesisch-deutsche Gratwanderung zwischen Masse und Individuum. Von Sonja von Struve
„Hast du dich schon mal bei dem Gedanken ertappt, dein Gepäck am Flughafen unbeaufsichtigt zu lassen? Und hat das was mit dem X-Chromosom zu tun?“ Plötzlich ein Schuss, die Zuschauer in den Münchner Kammerspielen zucken zusammen, und die Frau im roten Kleid liegt regungslos auf grau-weißer Ballonseide. Eben noch war das Publikum mit geschlossenen Augen unterwegs auf einer Traumreise von Deutschland nach China zwischen Nationalsozialismus und Kulturrevolution, zwischen Oktoberfest und massenhafter Digitalisierung. Jetzt starren alle ins gleißende Scheinwerferlicht. Und warten. Und warten. Und dann passiert – nichts. Der Aufzug mit den restlichen Schauspielern drin kommt nämlich nicht in die Gänge. Erst hat keiner das Startsignal gehört, und jetzt blockiert die Tür, weil jemand zu früh versucht hat, sie zu öffnen.
„Bei der Premiere muss das besser laufen“, sagt einer der Bühnentechniker in der Besprechung nach der offenen Generalprobe, „mit einem Lichtsignal vielleicht“. Einige nicken. Die chinesischen Schauspieler nicht. Sie warten noch auf die Übersetzung. Der Stimmung tut das wechselseitige Warten auf Verstehen keinen Abbruch. Ein Schulterklopfen, ein Lächeln für das Kind einer der Schauspielerinnen oder ein Gähnen nach zwei Stunden Aufführung und einer Stunde Besprechung verstehen sich von selbst.
„Natürlich ist dieses ganze Übersetzen erst mal mühsam und weniger direkt“, erinnert sich Christoph Lepschy, einer der Dramaturgen von Totally Happy, an die Anfänge des Stücks, „aber es ist auch eine ganz neue Kommunikationsform. Man nimmt das Gesagte plötzlich anders wahr und lernt, das Gegenüber genauer zu beobachten.“
Missverständnisse auf Augenhöhe
Missverständnisse sind dabei natürlich nicht ausgeschlossen – sollen sie auch gar nicht sein: Im Stück gibt es eine Szene über ein paar Mangos, die Mao Zedong an Arbeiter verschenkte. Sie wird von einem chinesischen Tänzer erzählt und von einem deutschen Schauspieler ungelenk übersetzt. „Diese Szene ist irrwitzig komisch und beschreibt sehr viel von den Verlusten im Dialog durch das Übersetzen“, sagt Peter Anders, Leiter des Goethe-Instituts Peking, „gleichzeitig eröffnen sich genau dadurch ganz neue Erzählungen und Ebenen der Kommunikation, die nicht in das Wort, sondern in den Körper übertragen werden.“ Anders hat mit seinem Team in Peking den Entstehungsprozess von Totally Happy vom ersten Aufeinandertreffen der chinesischen und deutschen Ensembles bis hin zum zweiwöchigen Intensivworkshop in der chinesischen Hauptstadt begleitet. „Das hier ist kein einfaches Gastspiel oder eine Gastregie, sondern eine echte Kooperation auf Augenhöhe, aus der Totally Happy von grundauf entstanden ist. Das ist das Besondere daran“, so Anders.
„Die Ballonseide muss noch geflickt werden“, „ich brauche dringend Zeit für die Scheinwerfer“, „wir wollen auf jeden Fall weiterhin auch Chinesisch sprechen im Stück“. Letzte Fragen werden geklärt, Zeiten für Aufwärmtraining, trockene Durchläufe und technisches Feintuning festgesetzt und Tian Gebing erklärt, dass er sehr zufrieden mit der Generalprobe war, aber jetzt lieber nicht zu viel loben möchte, weil eine Generalprobe ja eigentlich schief gehen soll. Die Besprechung ist zu Ende, und die Gruppe löst sich langsam auf. Bis zum nächsten Tag zumindest. Dann stehen sie wieder gemeinsam auf der Bühne – und sogar der Aufzug ist zur Uraufführung pünktlich.
„Totally Happy“ ist noch bis 1. November in der Spielhalle der Münchner Kammerspiele zu sehen. Es gibt jeweils eine Einführung durch die Dramaturgen und zu drei Terminen Podiumsdiskussionen und Publikumsgespräche. Alle Aufführungen finden in deutscher und chinesischer Sprache statt und sind übertitelt. Die genauen Termine finden sich auf der Website der Münchner Kammerspiele.