„5x Deutschland in aller Welt“
Deutsches Leben auf fünf Kontinenten

Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem den Ort Litkowka in Russland
Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem den Ort Litkowka in Russland | Foto (Ausschnitt): © Jörg Müller

„5x Deutschland in aller Welt“. Der Fotograf Jörg Müller erzählt im Interview mit „Goethe aktuell“, wie sich das Fotoprojekt – eine Kooperation mit dem Goethe-Institut – auf die Spuren deutscher Auswanderer und Auswanderinnen begab.

Von „Goethe aktuell“ - Interview mit Jörg Müller

Was erwartet Besucher*innen in der Ausstellung „5x Deutschland in aller Welt“, die derzeit im Auswanderermuseum BallinStadt in Hamburg zu sehen ist?

Jörg Müller: Zu sehen sind fast einhundert Fotos, die deutsches Leben auf fünf Kontinenten zeigen. Über einen Zeitraum von vier Jahren habe ich die Nachfahren von Auswanderern porträtiert, die Deutschland in den letzten Jahrhunderten verlassen haben;

Jörg Müller
Jörg Müller | Foto (Ausschnitt): © Jörg Müller
in Litkowka/Russland, Oberwischau/Rumänien, Pomerode/Brasilien, Manitoba-Kolonie/Mexiko und in Wartburg/Südafrika. In fünf sehr unterschiedlichen Weltregionen aufgenommen, vermitteln die Fotos einen Eindruck davon, wie die Nachfahren der deutschen Auswanderer in ihrem heutigen Alltag die deutsche Kultur leben, Gottesdienste in deutscher Sprache abhalten und in der Schule die Sprache ihrer Vorfahren lernen. Gleichzeitig zeigen sie, wie „die Deutschen“ sich integriert und in einer neuen Umgebung einen wirtschaftlichen Aufschwung erreicht haben. In der aktuellen Zuwanderungsdebatte ist das Fotoprojekt ein Plädoyer für internationales Zusammenleben und erinnert an die deutschen Auswandererströme der Vergangenheit. Gründe für die Auswanderer, ihre deutsche Heimat zu verlassen, waren Kriege, Hungersnöte, wirtschaftliche Not und religiöse Verfolgung.
 
Wie fiel die Auswahl auf diese Orte?

Jörg Müller: Dem Fotoprojekt vorangegangen ist eine umfangreiche journalistische Recherche. Von der klassischen Internetrecherche über Anrufe bei Min­der­hei­ten­ver­bän­den, den deutschen Botschaften in den jeweiligen Ländern sowie bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) – auf der Suche nach einem passenden russlanddeutschen Ort in Sibirien. So war es zum Beispiel in Europa und der ehemaligen GUS schwierig, passende Orte für mein Vorhaben zu recherchieren, weil in den 90er-Jahren die meisten Nachfahren deutscher Auswanderer als Spätaussiedler nach Deutschland zurückgekommen sind und oft nur die Alten dort geblieben sind. Wichtig war mir auch, dass jeder ausgewählte Ort für einen bestimmten Auswanderungshintergrund steht und heute eine Besonderheit aufweist. In Südafrika sind es zum Beispiel die Nachfahren von Missionaren, die heute große Zuckerrohrplantagen bewirtschaften. In Sibirien hat mich die Abgeschiedenheit des Ortes inspiriert. Und in Brasilien waren es wiederum der wirtschaftliche Wohlstand (von ursprünglich sehr armen Auswanderern aus Hinterpommern) sowie die bayrisch anmutenden Feste, die mich interessiert haben.
  • Ausstellung „5x Deutschland“ im Auswanderermuseum Ballinstadt in Hamburg Foto (Ausschnitt): © Jörg Müller

    Ausstellung „5x Deutschland“ im Auswanderermuseum Ballinstadt in Hamburg

  • Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem die Manitoba-Kolonie/Mexiko Foto (Ausschnitt): © Jörg Müller

    Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem die Manitoba-Kolonie/Mexiko

  • Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem den Ort Wartburg in Südafrika Foto (Ausschnitt): © Jörg Müller

    Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem den Ort Wartburg in Südafrika

  • Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem den Ort Litkowka in Russland Foto (Ausschnitt): © Jörg Müller

    Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem den Ort Litkowka in Russland

  • Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem den Ort Oberwischau in Rumänien Foto (Ausschnitt): © Jörg Müller

    Jörg Müller porträtiert in „5x Deutschland“ unter anderem den Ort Oberwischau in Rumänien



Was war für Sie die überraschendste Begegnung während Ihrer fotografischen Reisen?

Jörg Müller: Eines Abends in Mexiko habe ich eine mennonitische Bibelstunde fo­to­gra­fiert. Der Organisator der Bibelstunde bat mich, ihm Bilder von den bereits fotografierten Orten zu zeigen. Zum Glück hatte ich einige auf meinem Handy. In kurzer Zeit bildete sich eine größere Menschentraube um uns herum. Fast jedes Bild wurde mit einem großen „Ah“ und „Oh“ kommentiert. Auf meine Nachfrage hin, was sie denn an meinen Bildern so beeindruckte, meinten sie, dass sie das Leben ihrer Großeltern sehen würden. Vor über 500 Jahren haben die Mennoniten Deutschland aufgrund religiöser Verfolgung verlassen. Bevor sie sich auf den Weg über Kanada nach Mexiko aufgemacht haben, lebten ihre Vorfahren 200 Jahre in Russland. Letztendlich zeigte ich ihnen mit den Bildern aus Sibirien ihre eigene Vergangenheit.
 
Welche Rolle spielt Deutschland (noch) im Leben der Nachfahren deutscher Auswanderer und Auswanderinnen?

Jörg Müller: Deutschland spielt in allen Gemeinden immer noch eine bedeutende Rolle, insbesondere die deutsche Sprache. Aber es gibt auch Unterschiede.
In Pomerode/Brasilien herrscht eine fast grenzenlose Begeisterung für Deutschland. Sogar eine Art Oktoberfest wird dort gefeiert. In Oberwischau/Rumänien wird Deutschland dagegen kritisch gesehen;  die schlechten Arbeitsbedingungen für viele Rumänen in Deutschland sind dort bekannt. In den südafrikanischen deutschen Gemeinden wird Deutschland sehr differenziert gesehen. In allen Orten spielen Schü­ler­aus­tausch­pro­gramme nach Deutschland und seit neuestem auch Studienaufenthalte in Deutschland eine wichtige Rolle. Die einzige Ausnahme ist Litkowka, die russische Gemeinde. Zudem haben die Orte innerhalb ihres Landes eine wichtige Brückenfunktion. So haben die deutschen Schulen und Kindergärten vor Ort eine sehr starke Anziehungskraft nicht nur auf die Nachfahren deutscher Auswanderer, sondern insbesondere auch auf die besser situierten Mittelschichten vor Ort.

Sie haben dokumentiert, wie die Nachfahren deutscher Auswanderer und Auswanderinnen in aller Welt leben. Haben Sie dabei auch etwas über Deutschland oder die deutsche Kultur gelernt?

Jörg Müller: Das Leben in den besuchten Gemeinden ist schon zum Teil ein „konser­viertes“ Deutschlandbild. Letztendlich leben wir in Deutschland schon seit langem in einem Einwanderungsland. Insbesondere in den Großstädten sind wir vielen mul­ti­kul­turellen Einflüssen ausgesetzt, die für die meisten von uns zu ihrem Deutschlandbild dazugehören. Wie stark wir uns von dem Deutschlandbild, das in den Aus­wan­der­er­ge­mein­den noch gelebt wird, entfernt haben, ist mir erst im Laufe meiner Arbeit wirklich bewusst geworden. Zudem habe ich gelernt, dass eine gewisse Lockerheit und Zu­kunfts­opti­mis­mus dem deutschen Naturell nicht widersprechen müssen.  

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