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50 Jahre Migration
So mehrsprachig ist Deutschland

Warum tut sich die Gesellschaft mit der faktischen Mehrsprachigkeit heute so schwer?
Warum tut sich die Gesellschaft mit der faktischen Mehrsprachigkeit heute so schwer? | Foto: Huchen Lu © iStockphoto

Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit in Schulen und öffentlichen Institutionen? Und wie gestaltet sich in Deutschland die Politik diesbezüglich? Das waren die Leitfragen der Tagung „Nach 50 Jahren: Migration – Mehrsprachigkeit – Bildung“, die im Oktober in Dortmund stattfand.

Im ersten Plenarvortrag der Dortmunder Tagung zeigte der Berliner Sprachwissenschaftler Konrad Ehlich auf, wie die Norm einer einsprachigen Nation in Deutschland historisch gewachsen ist und warum sich die Gesellschaft mit der faktischen Mehrsprachigkeit heute so schwer tut. Ein Schwerpunkt der weiteren Vorträge und Diskussionen lag auf der Frage, wie Mehrsprachigkeit in der Arbeit von Bildungsinstitutionen verankert werden kann: Warum schlagen Sprachförderprogamme im Übergang von Kita zu Grundschule häufig fehl? Welche Rolle können Eltern und mehrkulturelle Medienprojekte in der Schule spielen? Brauchen Studierende mit Migrationshintergrund spezifische Sprachförderprogramme? Und worauf ist in der Lehrerbildung zu achten?

Mehrsprachigkeit in Kita, Schule, Universität

Die Tagung in Dortmund. Die Tagung in Dortmund. | Foto: Yueksel Ekinci Kocks/Ali Osman Oeztuerk Vorgestellt wurden beispielsweise die Projekte ProDaZ – Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern der Universität Duisburg-Essen oder Echte Väter der Regionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) in Herne: Die Universität Duisburg-Essen möchte mit dem Modellprojekt ProDaZ – Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern einen DaZ-Profilschwerpunkt für Lehramtsstudierende aller Fächer entwickeln, so dass Kinder mit Migrationshintergrund langfristig in allen Fächern erfolgreich sprachlich gefördert werden können. Die RAA Herne versucht mit ihrem Projekt, die Rolle von türkischen Vätern zu stärken und sie als positives Vorbild zur Sozialisation ihrer Kinder zu nutzen.

Deutsch verdrängt die Herkunftssprachen

Die Bochumer Wissenschaftlerin Maria Costa beschäftige sich in ihrem Vortrag mit der Frage, wie sich die Migration auf die Herkunftssprachen auswirken kann: Sie ging darauf ein, wie sich in Wolfsburg, dem wohl „größten Italiener-Dorf nördlich den Alpen“ deutsch-italienische Wortmischungen wie „smeldare“ für „abmelden“ oder „grillare“ für „grillen“ gebildet haben. Weil sowohl die italienische Standardsprache als auch die regionalen italienischen Dialekte von den jüngeren Nachfahren der Migranten kaum noch gesprochen werden, vermutet Costa, dass sie in Zukunft komplett aus der niedersächsischen Stadt verschwinden werden. Eine ähnliche Zukunft prophezeit Ingo Schöningh vom Goethe-Institut Tokyo dem Vietnamesischen als Migrantensprache in Deutschland: Während die ehemaligen Bootsflüchtlinge in Westdeutschland und die ehemaligen Vertragsarbeiter der DDR aus Vietnam laut Schöningh geringe Deutschkenntnisse aufweisen, sprechen ihre Kinder häufig auf einem solch hohen Niveau Deutsch, dass man es paradoxerweise als „muttersprachlich“ bezeichnen würde. Schöningh stellt die vietnamesischen Migranten aufgrund der vorbildlichen Schulleistungen der jungen Generation als Best-Practice-Beispiel dar. Gleichzeitig deutet er an, dass es laut einer von ihm befragten Vietnamesisch-Lehrerin in diesen Familien manchmal Verständigungsprobleme zwischen Eltern und Kindern gebe, die die Kommunikation in den Familien teilweise behindert.

Selbstverständlich mehrsprachig

Auch Anja Treichel und Christiane Maree vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften stellten eine Familie vor, in der die Verständigung zwischen Kindern und Eltern aufgrund von Sprachbarrieren nicht einwandfrei funktioniert: Die arabischsprachigen Eltern verstehen demnach das Arabisch ihrer Kinder nicht, weil es so stark von den Strukturen des Deutschen beeinflusst ist. Gleichzeitig machen Treichel und Maare aber anhand ihrer Erfahrungen aus der Familienberatung deutlich, dass Mehrsprachigkeit in unzähligen binationalen Familien eine Selbstverständlichkeit darstellt und dass es dabei eine Fülle an Konstellationen dafür gibt, wer mit wem welche Sprache spricht und von wem verstanden wird: „Die erste Beschäftigung mit konkreten Fällen aus der Praxis zeigt, dass Menschen mit einer mehrkulturellen beziehungsweise hybriden Identität häufig erfolgreiche Mehrsprachige werden; sie switchen mühelos zwischen zwei oder mehr Sprachen und verweigern sich sowohl den klassischen Einordnungsbemühungen des Diskurses um die ‚deutsche Leitkultur‘ als auch den ethnisch konstruierten migrantischen Communities.“
 

Dr. Ingo Schöningh ist stellvertretender Institutsleiter und Leiter der Spracharbeit am Goethe-Institut Tokyo. Auf der Internationalen Tagung Nach 50 Jahren: Migration – Mehrsprachigkeit – Bildung hielt er einen Vortrag zum Thema Was ist Mutter(s)Sprache? Zum Erwerb des Vietnamesischen von vietnamesischstämmigen Kindern in Deutschland.

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