Von Mashaekh Hassan
Die Bollywood-Heldin ein fall der Goldschürfe

Die Bollywood-Heldin ein fall der Goldschürfe
© Sadia Sultana

Eine Frau kann nur dann als Heldin gelten, wenn sie einen langen Weg zurückgelegt hat, um Gerechtigkeit herbeizuführen. Der problematische Aspekt dabei ist, dass die ständige Darstellung eines Retters als Held/Heldin die Mühen eines Opfers entkräften. Der Wille eines Vergewaltigungsopfers, mit dem Trauma zu leben, und die Art und Weise, wie eine Prostituierte ihren Platz in der Gesellschaft als Teil der Realität bewältigt, wird nie als heldenhaft dargestellt, trotz der diese Entscheidungen nach sich ziehenden Kämpfe und Auseinandersetzungen.

Bollywood, die Blockbuster-Maschine unter den vielfältigen indischen Filmindustrien, wird hauptsächlich von cis-normativen und hetero-normativen Darstellungen beherrscht und hat verschiedene Arten von Frauen-Persönlichkeiten produziert.

Das einfache Rezept, einen 'weiblichen Helden' zu kreieren, ist meiner Meinung nach ziemlich problematisch. Die so genannte Darstellung von 'weiblichen Helden' hat in letzter Zeit große Befürwortung erfahren, da viele Zuschauer sie als Widerstand gegen stereotypische Darstellungen betrachten. Ob Filme Ideologien prägen oder ob es umgekehrt der Fall ist, ist eine nicht enden wollende Debatte. Dennoch konnte mein meist unnötig kritisch zutage tretendes, braunes, männliches, feministisches Ich nicht anders, als solche Produktionen von Charakteren als einen Beitrag für die Vertiefung von Geschlechternormen zu bezeichnen. Auch die Umkehrung der Rollen ist auffällig. Letztlich werden alle 'Zutaten' aus den binären Geschlechtererwartungen gewonnen, die im indischen subkontinentalen Kontext vorherrschen.

Unkonventionell starke körperliche Fähigkeiten


Aussergewöhnliche körperliche Stärke gilt in vielen Gesellschaften nicht als weibliche Eigenschaft, wenn man sich dabei essentialistische, sexistische Konstrukte vorstellt. Dennoch ist die überwältigende Kraft einer 'Göttin' in Indien ein anerkannter Mythos. Bollywood bringt das Mythische ins Alltägliche und kreiert mythische Konventionen, die 'unkonventionell' zu sein scheinen. Die mit übernatürlichen Kräften begnadete Bulbbul aus dem Film Bulbbul (2020) wird als Göttin dargestellt. Damit ist sie automatisch mehr als eine normale Frau. In den Filmen Mardani (2014) und Mardani 2 (2019) hat eine  Polizistin den Auftrag, Mädchen aus der Zwangsprostitution zu retten. Sie verfügt natürlich durch das harte Körpertraining über bessere Voraussetzungen und ist gegenüber den hilfsbedürftigen Frauen in einer etwas überlegenen Position. Der Titel Mardani bedeutet direkt übersetzt 'Männlichkeit'. In Manikarnika: The Queen of Jhansi (2019) wird die Königin im Kampf auf dem Schlachtfeld gezeigt, wobei sie ihr Kind auf dem Rücken trägt. Die archetypische 'weibliche Stärke', die im Fall von Bulbbul in eine Staatsmaschinerie umgewandelt  oder im Fall der Mutter-Königin aufgewertet wird, macht sie automatisch zu Heldinnen. Sie setzen diese Stärke ein, um zu verwirklichen, was von ihnen erwartet wird. Das Kind ist eindeutig eine zusätzliche Last und Verantwortung, was dazu dient, zu demonstrieren, dass die körperlich starke Frau immer noch eine ihren Pflichten nachkommende Mutter ist. Bei den männlichen Helden, vermute ich,  ist eine vorübergehende Auszeit von der Vaterschaft gerechtfertigt, weil sie im Gegensatz zu den Frauen damit beschäftigt sind, ihr Leben zu retten.

Ist der Wechsel von der ultra-femininen Heldin in konventionellen Rollen an der Seite des männlichen Hauptdarstellers zur super-femininen 'Heldin' also eine Art wie goldschürfen?

Da die Filme mit der Silberleinwand in Verbindung gebracht werden, ist dies vielleicht nur ein Hinweis auf eine mythische, metaphysische Kraft: Goldstaub.

Der Impuls, eine bestimmte Art von Gerechtigkeit zu gewährleisten, die durch den Staat legitimiert ist


Dies gilt insbesondere für die Schilderungen von Zwangsprostitution und Vergewaltigung, da diese meist zu den Frauenthemen zählen. Eine Frau kann nur dann als Heldin gelten, wenn sie einen langen Weg zurückgelegt hat, um Gerechtigkeit herbeizuführen. Der problematische Aspekt dabei ist, dass die ständige Darstellung eines Retters als Held/Heldin die Mühen eines Opfers entkräften. Der Wille eines Vergewaltigungsopfers, mit dem Trauma zu leben, und die Art und Weise, wie eine Prostituierte ihren Platz in der Gesellschaft als Teil der Realität bewältigt, wird nie als heldenhaft dargestellt, trotz der diese Entscheidungen nach sich ziehenden Kämpfe und Auseinandersetzungen. In Filmen wie Lakshmi (2014) wird das Mädchen, das 'Gerechtigkeit' erwirkt hat, indem es die Kriminellen (Dealer, Bordellbesitzer, Politiker) verhaften läßt, als Heldin dargestellt. In Pink (2016) wird die Mutter als Heldin dargestellt, weil sie den Vergewaltiger ihrer Tochter tötete und damit eine andere Art von 'Gerechtigkeit' von einem delegitimierten Standpunkt aus sicherstellte. Dadurch wird zwar die männliche Gewalt delegimitiert, aber eines in den Darstellungen verloren gehendes Problem, ist, wie schwierig die Wiedereingliederung der Opfer in die Gesellschaft ist.

Die Inhaftierung des Vergewaltigers oder der lokalen Dealer führt nicht automatisch zur Wiedereingliederung der Opfer und Prostituierten zurück in die Gesellschaft oder zu ihrem Überleben am Rande der Gesellschaft. Das 'Leben danach' des Opfers, das im Gogol'schen Sinne als heroisch bezeichnet werden könnte, da die Probleme der kleinen Leute trotz der heldenhaften Taten des Filmheldens nicht aufhören wollen, wird nicht dargestellt. So wird das alltägliche Heldentum, von Helden aus Fleisch und Blut, nicht in den Vordergrund gerückt.

Positionierung von Sexpositivität und monogamen Gefühlen an verschiedenen Enden eines Spektrums


Die Darstellung von Prostituierten, mit oder ohne Held, ist gleichzeitig sexualisiert und stark ent-sexualisiert. Um genau zu sein, heisst es nicht gegen Sex, da es sich hier um einen Beruf handelt, der nichts mit der persönlichen Präferenz zutun hat, Sexualität zu erforschen und/oder so sexuell zu sein, wie man möchte. Aber immer in Momenten, in denen die Heldin in einem nicht-transaktionalen sexuellen Kontext gezeigt wird, taucht aus heiterem Himmel die traditionelle Vorstellung von Weiblichkeit auf. Sie ist sexpositiv, aber sie ist nicht mehr sexuell, wenn sie sich in jemanden verliebt. Sie ist sexuell, möchte sich aber Zeit nehmen, bevor sie sich auf eine sexuelle Dynamik mit der Person einlässt, mit der sie eine potenzielle Zukunft sieht.

Die Fähigkeit eine Schwäche für einen Partner zu reservieren, ist eine der Charaktereigenschaften, die sie besitzen, und in den meisten Fällen ist sie cis-normativ, hetero-normativ und gegen die Vorstellung von vorehelichem Sex.

In Gangubai Kathiawadi (2022) wird die von Alia Bhatt gespielte Gangubhai anhand des Liedes 'Meri jaan' als eine Person beschrieben, die nicht weiß, was sie in einem nicht-transaktionalen Moment mit ihrem potenziellen Liebhaber anfangen soll.

Die konventionelle strikte Trennung von sexuellen und nicht-sexuellen Berührungen hat viele Menschen in den sozialen Medien dazu veranlasst, zu skandieren: "Frauen wollen keinen Sex, sie wollen Liebe". Sex wird von Liebe getrennt und die Vorstellung verstärkt, dass es als unrein gilt, sexuelle Gefühle zu haben. Sexpositivität oder die Tatsache, dass es in Ordnung ist, Sexarbeiterin zu sein, wird auch als radikaler heroischer Schritt dargestellt, wenn man bedenkt, wie asexuell Frauen im indischen subkontinentalen Kontext betrachtet werden. Alle Personen in Begum Jaan (2017) zum Beispiel sind Sexarbeiterinnen und haben ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrem Bordell. Das geht so weit, dass sie den Ort nicht verlassen wollen und ein anderes Leben nicht als Alternative betrachten.

In den Darstellungen männlicher Helden habe ich nirgendwo jemals Sexpositivität erkennen können. Hypersexualität kann jedoch eine der Eigenschaften des dargestellten Helden sein, aber ist niemals ein Kriterium, um als Held zu gelten.

Einbringung einer Mischung aus dem Vokabular der um ihr Überleben kämpfende Klasse und der Syntax der Mittelklasse (gilt sowohl für männliche als auch für weibliche Helden)


Aus irgendeinem Grund sind alle weibliche Helden unabhängig von ihrer sozialen Herkunft wortgewandt. Wahrscheinlich für die Darstellung bestimmter Szenen gibt es einige Gänsehautmomente, in denen es dem Helden gelingt, einen langen Monolog zu sprechen.

Die Aussprache ist gefärbt von einem nicht standardisierten regionalen Dialekt (Stichwort: Bordellbetreiberinnen, oder Prostituierte). Die Syntax der Sätze ist gemäß der standardisierten Regeln: "Inko sirf humare dukan pe etraj kyun? Sirf hamara hi dhandha beijjat kyun? Admi log aate hain, apki hi mahalle se hamari mahalle mein, fir bhi hamari hi mahalla badnam kyun? Aap log jante ho, duniya ki sabse purana pesa kaun sa hai? Besyaon ka. Humare bina to swarg bhi adhura hai bhai. Thodi to ijjat deni paregi..." (Übersetzung: "Warum sind sie nur gegen unsere Einrichtungen? Warum wird nur unser Beruf als unmoralisch angesehen? Männer aus eurem Viertel kommen zu uns, und doch ist unser Viertel verrufen. Warum eigentlich? Wisst ihr überhaupt, was der älteste Beruf der Welt ist? Die Prostitution. Ohne uns ist sogar der Himmel unvollständig. Ihr müsst uns schon etwas Respekt zollen...")

In den Filmen Mardani und Kahani gehören die beiden dargestellten weiblichen Helden einer wohlhabenden Schicht an. Rani, die Hauptdarstellerin von Mardani, ist eine erstklassige Polizeibeamtin und Vidya, die Hauptdarstellerin von Kahani, ist Software-Ingenieurin und lebt in den USA. Natürlich hatten beide das Privileg, mit der standardisierten Sprache aufzuwachsen. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass auch die Redegewandtheit direkt mit dem Privileg der wohlhabenden Klassen zusammenhängt, das Frauen aus schwächeren sozioökonomischen Verhältnissen nicht ohne weiteres zuteil wird.
 

Die Darstellung solcher Helden lässt die Anstrengungen von Frauen verblassen, die ohne das besondere "soziale Kapital", nämlich Menschen mit ihren Worten zu verzaubern, um ihre Existenz kämpfen. Dies ist besonders problematisch für Filme, die behaupten, auf wahren Begebenheiten zu beruhen.


Gangubai Kathiawadi (2022) ist zum Beispiel solch ein Film, der von einem Kapitel des 2011 veröffentlichten Buchs 'Mafia Queens of Mumbai' von Hussain Zaidi 'inspiriert' wurde. Der Film wich stark von dem Inhalt des besagten Werks ab, und brachte mich schließlich zum Nachdenken: Ist es überhaupt angemessen, einen Helden darzustellen, der im Namen des künstlerischen Schaffens/der kreativen Freiheit aus der engen Sichtweise einer privilegierten Mittelklasse hergestellt worden ist? Fazit: eine Art vergoldetes Versatzstück. 


 

AUTORIN


Mashaekh Hassan
© Mashaekh Hassan
Mashaekh Hassan hat einen Bachelor-Abschluss (BSS) im Fach in Anthropologie von der BRAC University. Er ist ein begeisterter Leser und schreibt leidenschaftlich gern. Er strebt eine akademische Laufbahn an. Sein Interessensgebiet umfaßt Gesellschaft, Religion und Gender-Themen.


 

ILLUSTRATORIN


Sadia Sultana
© Sadia Sultana
Sadia beschäftigt sich mit Kunst und nutzt Gebete, Tränen und leere Wände, um die Komplexität und Ungewissheit des Lebens zu verarbeiten.











 

Top