Jens Wiesner über „A bisserl weiter… ...geht's immer!“
Dem Schmäh auf der Spur

Sebastian Lörscher: A bisserl weiter | Bauer © Sebastian Lörscher (Ausschnitt)


Drei Monate zwischen morbidem Charme, Arroganz und Herzlichkeit: Sebastian Lörscher skizziert in „A bisserl weiter… ...geht's immer!“ das Lebensgefühl der Österreicher.
 
Wer ein Buch allein mit Skizzen veröffentlicht, der sieht sich schnell mit dem Vorurteil konfrontiert, ein wenig faul gearbeitet zu haben. Schließlich gilt vielen Künstlern die Skizze nur als Vorstufe zum Endprodukt, als ein erster Schritt hin zur fertigen Zeichnung. Dabei liegt gerade im Unfertigen, das der Skizze innewohnt, ihre besondere Stärke.
 
Keine andere Kunstform ist näher dran an diesem ersten Moment, wenn die Muse den Künstler küsst; wenn er blitzschnell Skizzenblock und Stift zückt, um das Geschehene einzufangen, bevor es unwiederbringlich durch die Maschen der Erinnerung geronnen ist. Aber genau diese Unmittelbarkeit und Dynamik, diese Lebendigkeit, gehen viel zu oft verloren, wenn zu späterer Stunde ein zweites Mal der Stift angesetzt wird, um die schnell dahingehuschten Striche ins Reine zu zeichnen.
 
Es darf also als echtes Glück verstanden werden, dass Sebastian Lörscher eben nicht der Versuchung verfallen ist, seine Skizzen, die er auf seiner dreimonatigen Reise „durch das Wilde Österreich“ angefertigt hat, nachträglich zu verschlimmbessern. Wozu auch? Mit wenigen Strichen gelingt es dem Zeichner, uns mehr von der Essenz einer Persönlichkeit erahnen zu lassen, als es eine Fotografie gekonnt hätte – und das, obwohl ein Foto eigentlich doch so viel exakter festhält, was wir gemeinhin als Realität verstehen. Ja, es scheint paradox: Je unfertiger eine Zeichnung bei Lörscher wirkt, desto tiefer scheinen wir in die Seele der von ihm porträtierten Menschen und mitten in die Seele dieses Landes Österreich zu blicken.
 
Die ersten 70 Seiten widmet der Autor naturgemäß Wien. Ach, Wien! Wo anders liegen Verfall und Prunk, Humor und Fatalismus, Traurigkeit, Wut und die Sehnsucht nach vergangener Glanz und Glorie so nahe beieinander wie in der Hauptstadt der alten k. u. k. Doppelmonarchie? Jeder hat hier Leichen im Keller, aber anstatt sie six feet under zu vergraben, tanzt man mit ihnen den Totenreigen und erfreut sich an der Leichenfledderei. Wer allerdings auf political correctness in Wort und Tat besteht, sollte um diese Stadt tunlichst einen weiten Bogen machen!
 
Nein, für empfindliche – und vor allem: humorlose – Gemüter ist Wien sicher nichts; dieser Ort, in dem das gesellschaftliche Leben von jenem ganz eigenen Stolz geprägt ist, der die Grenze zur Arroganz oft und gern überschreitet und sich trotzdem dieses Fünkchen Augenzwinkern bewahrt. Ein Augenzwinkern freilich, das dem ungeübten Blick des Piefkes oft verborgen bleibt. Außer, er heißt Lörscher. „Was mir an Wien taugt, ist dieser Hauch von Kaisertum, der noch immer durch die Gassen weht“, notiert der Zeichner. Recht hat er. 
 
Apropos Notieren: Dass sich seitenweise Dialoge durch dieses „Graphic Theatre“ ziehen, lässt es mitnichten zu einer Textwüste veröden: Die vom Autoren auf der Straße aufgeschnappten Gesprächsfetzen oder seine Gespräche auf einer Tiroler Alm oder beim Trampen stehen gleichberechtigt neben dem grafischen Teil dieses Reisetagebuchs – und mischen Tragödie und Komödie zu einer nur in Österreich möglichen Melange. Mein Favorit: Der Monolog der alten Dame auf dem Zentralfriedhof, die für ihr Lieblingsgrab ein paar Blumen beim Udo Jürgens stibitzt hat, „weil's bei dem eh so prunkvoll ist“.
 
Lörscher zeigt sich in diesen Momenten als ein aufmerksamer und respektvoller Beobachter, der bisweilen zwar Teil seiner eigenen Geschichten wird, sich aber niemals in den Vordergrund drängt. Selbst sprachlich wird das „Ich“ in seinen Vignetten tunlichst vermieden. Redet der Autor von sich selbst, dann immer in der dritten Person, von einem namenlosen „jungen Mann“.
 
Dieser „junge Mann“ hat verstanden, dass die größte Komik in der alltäglichen Tragik des Lebens zu finden ist. Selbst der geneigte österreichische Leser dürfte diese Leistung anerkennen. Freilich nicht überschwänglich lobend, sondern mit einem kurzen gnädigen Nicken goutierend. Man will ja nicht übertreiben.
 

"A bisserl weiter … geht’s immer!" Mit dem Skizzenbuch durch das Wilde Österreich. 144 Seiten, Hardcover mit Farbschnitt. Erschienen bei der Edition Büchergilde and Büchergilde Gutenberg. Überall im Handel erhältlich.

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