Thomas Hummitzsch im Gespräch über "Was kostet ein Yak"
Mit Rucksack und Stift durch Asien

Was kostet ein Yak_Cover © Philip Cassirer (Ausschnitt)

Um sich für seine Diplomarbeit inspirieren zu lassen, ist Philip Cassirer durch Nepal, Indien und Bangladesch gereist. Seine Erfahrungen hat er in seinem Comic »Was kostet ein Yak« verarbeitet. Ein Gespräch über den Prozess des Zeichnens in fremden Welten.        
 
Ihr Comic »Was kostet ein Yak« ist eine Art Reisetagebuch. Inwiefern haben Sie sich von dem französischen »Carnet de Voyage« inspirieren lassen?


Gar nicht, bei der »Carnet de Voyage« handelt es sich ja eher um Collagen aus Illustrationen, Text, alten Bustickets und anderem Material. Mein Buch ist eher ein Comic im traditionellen Sinne. Obwohl ich zugeben muss, dass es Parallelen gibt. Einige Panels erklären unabhängig von der Handlung Besonderheiten der Orte. Gerade solche erklärenden Illustrationen sind typisch für die »Carnet de Voyage«.

Es gibt viele selbstironische Bezüge im Comic, etwa wenn Sie die Position von Reisenden in asiatischen Überlandbussen beschreiben, Verstopfungsprobleme und Drogenkonsum thematisieren oder einfach nur die Ratlosigkeit bei kulturellen Unterschieden aufzeigen.

Solche Situationen oder Umstände machen das Reisen durch Schwellenländer beziehungsweise Länder in der Dritten Welt aus. Man reist in diesen Ländern mit anderen Ansprüchen, als man es in Europa machen würde. Es ist ein ganz anderes, ungewöhnliches und abenteuerliches Reisen, das man sich dort zumutet. Auch der Umstand der schlechten medizinischen Versorgung bei Verstopfung im Gebirge und das damit verbundene Glück, dann doch in der Nähe einer Apotheke zu sein, kommen in unseren Breitengraden nicht oder selten vor. Auch wenn ich nicht leugnen kann, dass ich hier und da nicht ganz frei von Sorge war, sind doch gerade die schwierigen Situationen im Nachhinein die, die man am ehesten mit Humor sehen kann. Und die am meisten Spaß machen, wenn man sie erzählt.

Man sieht Sie immer wieder in die Alltagskultur eintauchen, sei es, wenn Sie einen Tag lang in einer Rikscha-Werkstatt arbeiten, mit einheimischen Kindern kicken oder einem Straßenmaler zeigen, wie ein richtiges Porträt aussieht. Wie wichtig waren diese Erlebnisse?

Sehr wichtig! Ohne diese Eindrücke würde etwas Bedeutendes fehlen. Wie soll man ohne die Menschen, die dort leben, einen richtigen Einblick in eine Kultur erhalten. Würde man alles nur betrachten, aber sich der Menschen komplett entziehen, wäre die Reise eher mit einem Museumsbesuch gleichzusetzen als mit der Erfahrung, die sie für mich war. Ohnehin ist es völlig unmöglich, sich den Menschen in Bangladesch, Indien und Nepal zu entziehen. Laufen Sie mal als einziger Europäer durch Dhaka und versuchen Sie, sich nicht in ein Gespräch verwickeln zu lassen…

Was macht Ihrer Meinung nach das Reisen mit dem Rucksack aus?

Die Spontanität, mit der man sich entscheidet, Sachen zu tun oder nicht zu tun. Die Freiheit, wie man sich in einem Land bewegt. Wie man seine Fortbewegungsmittel wählt oder die Orte, zu denen man reist. Man teilt seine Zeit spontan ein und landet am Ende nie auf der eigentlich angedachten Route.

Wo verläuft bei diesem spontanen Reisen die Grenze zwischen Leichtsinn und angebrachter Vorsicht?

Diese Grenze ist unklar. Natürlich muss man als allein Reisender vorsichtiger sein, als in einer Gruppe. Dennoch ist es auch stets ein Abwägen. Bei zu großer Vorsicht läuft man Gefahr, sich interessanter Situationen und Begegnungen zu entziehen. Oft bleibt einem auch nichts anderes übrig, als sich in Risiko zu begeben. Wenn auf der Strecke, auf der man reist, nur alte, überladene Rostlauben unterwegs sind, kann man eben nur mit denen fahren. Es sei denn, man läuft.

Die meisten Rucksack-Touristen reisen mit der Digitalkamera im Anschlag. Sie sieht man immer wieder zeichnen. Was unterscheidet das Zeichnen vom Fotografieren?

Der Prozess des Zeichnens erfordert eine längere Anwesenheit vor Ort, gerade das ist auch das Interessante. Man wird zu einem Teil des Ortes, den man zeichnet, und mehr oder weniger von seiner Umwelt wahrgenommen. Oft gucken einem die Leute über die Schulter, wollen sehen, was man macht. Und darüber kommt man manchmal mit Leuten ins Gespräch.

Nepal und Indien sind zu Sehnsuchtsorten der westlichen Rucksack-Reisenden geworden. Was ist so faszinierend an diesen Ländern?

Die Landschaft und ihre Vielseitigkeit ziehen mich magisch an, aber natürlich auch die Landeskultur an sich. Ich habe vorher noch kein Land gesehen, in dem Religion lebendiger und allgegenwärtiger praktiziert wird als in Indien. Aber auch die starken Gegensätze zwischen malerischen Landschaften und dem bunten, verrückten Treiben in überbevölkerten Städten, dem Gestank und Dreck haben eine spezielle Anziehungskraft.

Zahlreiche Panoramen und Weitwinkelaufnahmen zeugen von Ihrer Faszination für die Landschaft. Was genau hat Sie da eingefangen?

Der weite, unverstellte Blick, der sich auftut. Wir Westeuropäer kennen das gar nicht mehr. In Deutschland muss man für einen solchen Blick lange suchen, in Indien und Nepal hat man ihn andauernd. Man setzt sich in einen Bus, ist einen Tag lang unterwegs, und wenn man aussteigt hat man den Eindruck, sich in einem Filmset wiederzufinden.

Hatten Sie Vorbilder, bevor Sie mit dem Zeichnen des Comics begonnen haben?

Als Kind habe ich gerne »Tim und Struppi« gelesen, wo es ja auch viel um ferne Länder und Kulturen geht. Ich glaube, die Zeichnungen von Hergé haben mich indirekt beeinflusst. Für den Comic waren meine Skizzen von der Reise maßgebend.

Warum trägt Ihr Comic den Untertitel „Von heiligen Kühen und heiligen Bergen“?

Alle Kühe, die in meinem Buch vorkommen, sind heilige Kühe. Aber natürlich ist die heilige Kuh auch ein Synonym für das westliche Verständnis von indischer Kultur und Religion. Oft spricht man von der heiligen Kuh mit einem Lächeln. Unter dem Motto: Die Inder verehren Kühe statt Götter, wo ja schon Abraham das goldene Kalb als blasphemisch aburteilte. Die Viecher behindern den Verkehr und keiner macht was. Die Inder verehren aber nicht nur Kühe, sondern auch Götter, Affen, Ratten, Seen, Flüsse, Menschen, Berge und vieles mehr. Man kommt nicht umhin, es amüsant zu finden, was in diesem Land nicht alles heilig ist, gerade als Atheist. Die Kuh ist für die westliche Welt nur der Platzhalter für eine in unseren Augen befremdliche Weltreligion.

Welche ist denn Ihre persönliche Lieblingsgeschichte im Comic?

Meine Lieblingsgeschichte ist die Geschichte der Fahrt über den Rohtang-Pass, die höchste mit dem Auto befahrbare Straße der Welt. Ein mit Amphetaminen zugedröhnter Fahrer fuhr uns Richtung Gebirge. Wir wussten, dass er uns auf vereisten Pisten über eine Stecke von 5.300 Höhenmetern kutschieren würde. Ich muss gestehen, dass ich noch nie soviel Angst beim Autofahren hatte. Es war aber auch die mit großem Abstand bildgewaltigste Fahrt meines Lebens.
 

Philip Cassirer: Was kostet ein Yak. Von heiligen Kühen und heiligen Bergen. Carlsen-Verlag 2013. 64 Seiten. 14,90 €.

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