Designforschung
Gestalterinnen der Zukunft

Julia Lohmann | Department of Seaweed
Julia Lohmann | Department of Seaweed | © Design Display. Foto: Noortje Knulst

Seetang, Solarvorhänge und smarte Textilien: Designerinnen entwickeln Lösungen für Probleme von heute und morgen.

Am Ende einer Designentwicklung muss nicht unbedingt ein fertiges Produkt stehen. Gerade die Designforschung ermöglicht einen Blick in die Gestaltung der Zukunft. So konzentriert sich die Berliner Hochschulprofessorin Gesche Joost (Universität der Künste) auf die Chancen in digitalen Prozessen: Sie fragt, wie neue Technik mehr Partizipation ermöglicht, oder wie man lebendige nachbarschaftliche Beziehungen in vernetzen Umgebungen aufbaut, oder auch wie Minderheiten in sozialen Netzwerken sichtbar werden. Zudem wird die zunehmende Kommunikation zwischen Mensch und Maschine von Joost und ihrem Team untersucht.

Design aus Tier- und Pflanzenhäuten

Aber auch in der Materialforschung gibt es zurzeit neue Ansätze. Designerin Julia Lohmann, Professorin an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, erforscht zum Beispiel den Naturrohstoff Seetang als Entsprechung zu Leder, Furnier oder Pergament und als möglichen Ersatz für fossile Rohstoffe. Sie experimentiert seit 2004 mit einer Vielzahl von ungewöhnlichen Materialien aus Flora und Fauna, etwa mit Schafsmägen für Lampenschirme oder mit Knochen aus der Themse für Vasen und Schachfiguren.

Julia Lohmann | Department of Seaweed Julia Lohmann | Department of Seaweed | © Design Display. Foto: Noortje Knulst Bekannt wurde sie vor allem mit den Cow Benches – ledernen Sitzgelegenheiten –, die durch die naturalistische Bespannung mit Tierhäuten und ihre Form tatsächlich aussahen wie Kühe.

2013 nahm Lohmann an einem Künstlerstipendium am Victoria and Albert Museum teil, wo sie das Department of Seaweed gründete. Sie nannte es einen „Raum für gemeinschaftliche Zukunftsspekulationen“. Der öffentlich zugängliche Bereich sollte nicht nur Objekte aus Seetang präsentieren, sondern auch ihre Forschungsarbeit einem breit gefächerten Publikum nachvollziehbar machen. Lohmann wollte die Museumsbesucher gedanklich sowohl in die Vergangenheit, als auch in die Zukunft führen: zurück in den Ozean mit sinnlichen Bezügen, und auch in die Vorstellung, das Wissen selbst anzuwenden.

Julia Lohmann | Installationsansicht Design Display Julia Lohmann | Installationsansicht Design Display | Foto: Michael Jungblut Ihre Ergebnisse setzte sie dabei nicht in konkrete Produkte um, sondern in skulpturale Objekte, die zu allen möglichen Spekulationen einladen, „vor allem aber das immense Potenzial dieses nachwachsenden Naturrohstoffs zeigen sollen“, wie Lohmann betont.

Langwierige Ressourcenerschließung

Diese amorph und organisch wirkenden Arbeiten wurden in der Autostadt in Wolfsburg in der Ausstellung Design on Display gezeigt. Diese Reihe stellt immer zwei aktuelle Positionen aus dem Designbereich vor. Für das Thema Forschung hat Kurator und Designtheoretiker Friedrich von Borries den Seetangobjekten von Julia Lohmann den Solarzellenvorhang der Niederländerin Petra Blaisse gegenübergestellt.

Petra Blaisse | Installationsansicht Design Display Petra Blaisse | Installationsansicht Design Display | Foto: Michael Jungblut Auch Blaisse sucht über Forschung und Experimente nach Möglichkeiten der neuen Gestaltung und Ressourcenerschließung. In ihren Solarvorhang-Arbeiten legt sie dessen verschiedene Funktionen bereits konkret dar: Der Vorhang schützt vor Licht und Wind, erzeugt über die Solarzellen Strom und trennt oder verbindet Räume. Genau wie Julia Lohmann den Seetang, macht auch Petra Blaisse Ressourcen auf nachhaltige Art und Weise zugänglich.

Petra Blaisse | Solar Curtain Petra Blaisse | Solar Curtain | © Design Display. Foto: Noortje Knulst Wie langwierig so eine Neuentwicklung auch für etablierte Designer ist, zeigt allein die Tatsache, dass Petra Blaisse bereits im Jahr 2002 mit den ersten Arbeiten begonnen hat, aber auch 2017 noch keinen alltagstauglichen Solarvorhang produzieren kann – allerdings ist sie nach jahrelanger Forschung auf einem guten Weg dahin.

Material und Methode

Aber dieser Weg und das dabei gewonnene Wissen sind es ja gerade, was Forschungsarbeit ausmacht. Das hat Julia Lohmann auch zum Thema ihrer Doktorarbeit gemacht: Dabei geht es einerseits ganz konkret um den Seetang „als Material und Methode“, wie sie sagt. Andererseits geht es auch um die Frage, wie sich das kollektiv und experimentell entwickelte Wissen und das im Prozess entstandene Netzwerk weiter ausbauen lassen. „Diese Ergebnisse sind oft wichtiger als das Ding, das am Abschluss des Prozesses steht.“ Forschung bedeutet eben nicht, dass am Ende ein Produkt herauskommt.