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Steffen Mau
Das metrische Ich

Auf den Sofas und in den Anstehschlangen halten wir seit einigen Jahren ein neues Ritual der Selbstkontrolle und Identitätsbekräftigung ab: Wir lächeln zufrieden angesichts der Statistiken über unsere zurückgelegten Schritte, Schlafqualität, aufgenommenen Kalorien, Zyklus und Lernperformanz.

Dabei wurde das metrische System eigentlich im revolutionären, freiheitlichen und egalitären Geist der französischen Revolution geboren. Es löste eine Vielzahl undurchsichtiger Einheiten, von den Herrschenden höchstpersönlich zu ihren Gunsten definiert und manipuliert, ab. Ihnen stellten die Revolutionär*innen den Meter als ein Tausendstel der Entfernung zwischen Nordpol und Äquator entgegen: Dieses einheitliche, vom Menschen unabänderliche Größensystem verspricht Gleichheit und Rationalität.

Heute, über zwei Jahrhunderte später, erlebt die Metrifizierung eine Renaissance: Smartwatches, Eyetracking und Apps für jeden Lebens- und Körperbereich fördern dabei jedoch nicht die Gleichheit und Gleichbehandlung, sondern differenzieren die Individuen immer weiter aus. Superscores verrechnen die Daten aus verschiedensten Lebensbereichen zu einer Art Gesamtbewertung der Person. Sie zementieren ausgewählte Unterschiede, laden sie mit Bedeutung auf und rechtfertigen systematische Ungleichbehandlung. So könnten Superscores in Zukunft beispielsweise eine Person auf Grund von Daten zu ihrer Fitness, mentalen Stabilität oder Lernperformance in Vokabel-Apps von Bereichen des Wohnungsmarktes ausschließen.

Einerseits verrät uns das Handydisplay auf den Atemzug genau, wer wir selbst und andere sind, andererseits schafft die Metrifizierung ein undurchsichtiges, ausschließendes System. Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie erforscht, welche sozialen Auswirkungen die Metrifizierung der Gesellschaft und ihrer Individuen hat. Er hinterfragt die charismatische Macht dieser Zahlen und stellt Strategien vor, um die Metrifizierung als historisches Mittel der Gleichheit in Zeiten des Datenkapitalismus nicht vollends ad absurdum zu führen.

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