Regierungskoalitionen in Deutschland
Geteilte Macht

Für Regierungskoalitionen in Deutschland ergeben sich immer mehr Optionen
Für Regierungskoalitionen in Deutschland ergeben sich immer mehr Optionen | Foto (Ausschnitt): © Andreas Gruhl – Fotolia.com

Regierungen werden in Deutschland fast immer von Parteibündnissen gestellt. Über Jahrzehnte gab es nur sehr wenige Varianten für solche Koalitionen. Mit der diesjährigen Bundestagswahl dürften die Machtspiele so spannend werden wie nie zuvor.

Was im Frühjahr 2016 im deutschen Bundesland Baden-Württemberg passierte, hätte noch vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten. Nach den Wahlen schlossen sich dort zwei Parteien zusammen, die lange als verfeindet galten. Die ökologisch-sozialen Die Grünen und die konservative Christlich Demokratische Union (CDU).

Möglich wurde das, weil sich die beiden zunehmend näher gekommen sind: So fährt der baden-württembergische  Regierungschef, der bislang einzige grüne Ministerpräsident in einem der 16 deutschen Bundesländer, heute einen großen Diesel-Mercedes und fördert die Autoindustrie. Die Union wiederum hat in diesem Sommer überraschend eine der wichtigsten grünen Forderungen umgesetzt: die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare.

Jeder Wähler hat zwei Stimmen

Dass es in Deutschland Koalitionen zwischen Parteien gibt, hat auch mit dem Wahlrecht zu tun. Wenn die deutschen Bürger am 24. September 2017 einen neuen Bundestag wählen, haben sie zwei Stimmen: Das erste Kreuz auf dem Wahlzettel gilt einem der Kandidaten in den 299 Wahlkreisen. Mit der zweiten und wichtigeren Stimme wählen die Deutschen aber eine Partei – genauer gesagt, eine Landesliste. Die Kandidaten dieser Liste legen die Parteien fest. Diese Verhältniswahl ist das Kernstück der repräsentativen Demokratie, denn damit haben auch kleinere Parteien wie die Grünen die Chance, Vertreter in den Bundestag, in die 16 Länderparlamente oder in Gemeinderäte zu schicken – vorausgesetzt, sie erreichen fünf Prozent der abgegebenen Stimmen.

Der Bundestag begann als Drei-Parteien-Parlament, bestehend aus den großen Volksparteien Christlich Demokratische Union Deutschlands mit ihrer bayerischen Schwesterpartei Christlich-Soziale Union (CSU), die als gemeinsame „Union“ antreten und im politischen Spektrum Mitte-rechts zu verorten sind, der Mitte-links stehenden Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der kleineren Freien Demokratischen Partei (FDP). Diese trat mit Union und SPD in wechselnde Koalitionen, bis sie in der letzten Bundestagswahl 2013 unter die Fünf-Prozent-Hürde fiel und nicht mehr in den Bundestag einzog.

1983 gelang es dann den Grünen, in den Bundestag einzuziehen. Nach der Wiedervereinigung 1990 kam im Osten des Landes, der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik unter sowjetischer Einflusssphäre, eine weitere Partei hinzu – die Nachfolger der einstigen sozialistischen Staatspartei, die sich heute Die Linke nennt.

Auflösung der volksparteien?

In den 16 deutschen Bundesländern gelang es weiteren Kleinparteien, in Parlamente einzuziehen, darunter freie Wählergruppen aber auch rechtskonservative und -extreme Parteien. Das Aufkommen der Kleinen führte dazu, dass Politikwissenschaftler bald von einer „Auflösung der Volksparteien“ sprachen. Einerseits verloren die konservative CDU/CSU und SPD immer mehr Mitglieder. Andererseits sank auch die Beteiligung an Bundestagswahlen: von 91,1 Prozent im Jahr 1972 auf 71,5 Prozent bei der letzten Wahl 2013. Zudem wenden sich immer mehr Menschen anderen Formen der Mitbestimmung zu – sie arbeiten etwa in Verbänden oder Bürgerinitiativen, gehen zu Demonstrationen, organisieren Volksentscheide. Einige sind vom Parteiensystem und von Europa frustriert. Sie wählen radikaler.

Im September 2017 wird mit der Alternative für Deutschland (AfD), der die Symbolfarbe blau zugeordnet ist, wohl erstmals eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag einziehen. Weil auch die liberale FDP wieder gute Chancen hat, könnte es danach erstmals ein Sechs-Parteien-Parlament geben. Es gibt damit auch mehr Bündnismöglichkeiten als je zuvor.

 

Denkbare Koalitionen nach der Bundestagswahl 2017 (Stand 28. August 2017)

Eine Regierung kann bei mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen gebildet werden.
1 Große Koalition (CDU + SPD) (63,3 Prozent)
2 Jamaika-Koalition (CDU + FDP + Grüne) (55,3 Prozent)
3 Schwarz-gelbe Koalition (CDU + FDP) (47,8 Prozent)
4 Schwarz-grüne Koalition (CDU + Grüne) (46,8 Prozent)
5 R2G: rot-rot-grüne Koalition (SPD + Linke + Grüne) (40,5 Prozent)
6 Ampelkoalition: Rot-Gelb-Grün (SPD + FDP + Grüne) (40,0 Prozent)

Top