Ausstellung Minus EGO / Verzichten - Verschwinden - Teilen

Thilo Droste_Humanistic Confession Manual, 2013 Thilo Droste_Humanistic Confession Manual, 2013

Fr, 07.10.2016 –
Do, 22.12.2016

Goethe-Institut Barcelona

Ausstellung kuratiert von Herman Bashiron Mendoliccio
In Zusammenarbeit mit Transart Institute
Mit der Unterstützung der Universitat Pompeu Fabra

Im Zeitalter der narzisstischen Selfies ist es dringend notwendig die Wesensart des Ichs, seine Funktionsweise und seinen Einfluss auf unser Leben zu hinterfragen. Laut Alejandro Jodorowski ist das Ich ein Käfig ohne Vogel, der glaubt ein Vogel ohne Käfig zu sein.“ Der äußere Schein bestimmt die Regeln, nach denen wir unser Verhalten richten. Ichbezogenheit ist vorherrschend im politischen und gesellschaftlichen Leben; Egos werden starke und zerstörerische Gebilde, ohne Nachhaltigkeit, ohne Nutzen für den Einzelnen oder die Gemeinschaft. Ideologien, Propaganda, verführerische korporative messages, Überproduktivität und die das ausgeklügelte Funktionieren des Kapitalismus sind die Elemente dieses Käfigs, der das innere Wesen unterdrückt und das Ich verstärkt.

Kaja Silverman, eine Psychoanalytikerin und Wissenschaftlerin, die die Verbindungen zwischen dem Ich, dem Blick und dem Aussehen untersucht hat, führt die Betrachtungsweise von Lacan und Freud zum Ich an: „Lacan meint, dass das Ego in dem Moment entsteht, in dem das Kind zum ersten Mal das Bild seines Körpers in einer spiegelnden Oberfläche wahrnimmt und sich selbst als geistige Lichtbrechung dieses Bildes. So ist das Ego eine Darstellung einer körperlichen Darstellung". Sie betont auch: „In ‘Das Ich und das Es’, schreibt Freud, dass ‘das Ich vor allem ein körperliches ist, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche’“.

Wie können wir uns aus dem Käfig des Ichs befreien? Wie können wir vom visuellen Bewusstsein, von der Schwelle des Sichtbaren, vom der materiellen Oberfläche zum nicht wahrnehmbaren Selbst, dem inneren Wesen, dem geistigen Bewusstsein gelangen? Was ist hinter unserem Spiegelbild?

Die Ausstellung Minus Ego stellt die universelle und zeitlose Frage nach dem “Ich”, und zwar einerseits die Reduktion desselben als auch die Suche nach seinem kontemplativen Wesen.

Worauf beziehen wir uns, wenn wir über die „Reduktion des Ichs“ sprechen? Geht es um Verzicht? Um Verschwinden? Um Teilen? Um die Konzentration auf das Wesentliche? Hat es zu tun mit Stille? Oder geht es darum verschiedene Beziehungen zu Menschen, Ideen und Zusammenhängen aufzubauen?

Die Komplexität und Verschiedenheit des Ichs ist ein zentrales Thema der Menschheit, das auf philosophischer, psychologischer, ethischer, mystischer, religiöser, politischer und kultureller Ebene immer wieder und an unterschiedlichen Orten analysiert wurde. Die Erforschung des Ichs war immer mit der Entwicklung der Menschheit und des Denkens verbunden: vom Strukturmodell der Psyche (Ich, Es und Überich), das Sigmund Freud definiert hat; über die radikale individuelle Autonomie, wie sie Max Stirner proklamiert hat; bis hin zu den zahlreichen Formen der Vernichtung, Verblassen, Verschmelzen, Auflösung oder Illusion, die wir in den verschiedenen spirituellen Glaubensrichtungen, Ritualen und Praktiken finden können. 

Das Leben als Übergangsphase, das Konzept der Vergänglichkeit, das Anicca der Buddhisten, das Fanaa im Sufismus, das hinduistische Konzept des Samadhi, der Pali Begriff Nekkahma, der aktive Nihilismus bei Nietzsche, das Mitsein von Heidegger oder Vattimos schwaches Denken, alle drehen sich – in der einen oder anderen Weise – um Verzicht und Verschwinden.

Diese Hauptbegriffe – Verzicht, Verschwinden und Teilen – stehen hinter den Überlegungen zu Minus Ego. Es gilt die Idee des inneren Wesens zu erforschen und Fragen und Gedanken über die Struktur, die Definition, die Stellung und die Zusammensetzung des Ichs aufzuwerfen.

Das Projekt Minus Ego erforscht sowohl die Annäherungen, als auch die Abschweifungen des Ichs, seine Abhängigkeit und Unabhängigkeit, seine Ewigkeit und Vergänglichkeit. Dies von einem künstlerischen Kontext aus – der oft mit Ichbezogenheit arbeitet – anzugehen, eröffnet uns die Gelegenheit den Geist und das Wesen des ‚Ich‘, ‚Selbst‘, ‚Ego‘ aus verschiedenen Perspektiven aus zu untersuchen und ihr Verhältnis zum dem ‚Wir‘, dem ‚Anderen‘, und verschiedenen ‚Systemen und Überstrukturen“ zu beleuchten.

Die verschiedenen Werke der Ausstellung zeigen die vielen möglichen Auslegungen des Konzepts von Minus Ego. Geplant als Forschungs- und Ausstellungsprojekt, wird Minus Ego in mehreren Schritten an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten entwickelt, und wird sich, genau wie es Ichs und Identitäten tun, jeweils verändern.

Thilo Droste provoziert in seinem Werk Self Portrait unsere narzisstische Natur, indem er das Wort „Ego“ in  Vergrößerungsspiegel eingraviert. Unser verzerrtes Spiegelbild konfrontiert uns direkt mit dem Begriff Ego und wirft Gedanken über unsere eigene Projektion, Selbstdarstellung und inneres Wesen auf. In humanistic confession manual reflektiert ein eleganter Handspiegel die eingravierten Worte ‚Ego Te Absolvo‘ , die lateinische Formel der christlichen Absolution, die in diesem Fall sowohl auf die Versuchung die Sünden des Ego zu vergeben, als auch auf die Käfige verweist, die in Ideologien oder religiösen Überstrukturen verankert sind.

In An Album: Havanna von Kimsooja betrachten wir eine fahrende Sequenz, ohne Ton, eine visuelle Reflektion darüber wie Leben und Körper, früher oder später, sich in Staub und Licht verwandeln. Das Video und die Fotos thematisieren das Verschwinden, sie bieten eine poetische Darstellung unseres Übergangs vom Fassbaren zum Unfassbaren, vom figürlichen zum abstrakten an und sie erinnern uns daran, dass unser Aufenthalt auf diesem Planeten von kurzer Dauer ist.

Rhodopia von Christoph Schwarz ist eine persönliche Geschichte, in der auf ironische Weise die Anstrengungen des Künstlers geschildert werden, sein Leben zu erneuern. Eine Selbstreflexion über den Sinn des Lebens, zwischen Künstlerresidenzen, Arbeit und Alltagsroutine eingefangen, auf der Suche nach einer neuen Identität und anderen möglichen Existenzschichten.

Die Installation I will never die von Jordi Tolosa ist einerseits eine starke Aussage, die die machtvolle Gegenwart des „Ich“ über alle anderen räumlichen und zeitlichen Erscheinungsformen stellt. Andererseits wird der Satz durch die veränderbare Anordnung der Installation absichtlich mehrdeutig. In der zerbrechlichen Installation I and my eternity  stehen drei eiserne Rahmen, das ‚I‘, die Konjunktion ‚and‘ und ‚my eternity“, fest auf dem Boden – sie beziehen sich auf die Innenwelt des Künstlers und geben dem Anderssein, der Verbindung und dem Unterschied genauso Raum wie dem tiefen, abstrakten, unendlichen und geheimnisvollen Begriff der Ewigkeit.

Das Video Satsanga von Toni Serra *) Abu Ali ist die Aufzeichnung eines Gesprächs, das in den 70er Jahren ein Reisender mit dem indischen Philosophen Sri Nisargadatta Maharaj, Autor von “I am That” eine Sammlung von Gesprächen aus Tonbandaufzeichnungen, das in viele Sprachen übersetzt worden ist. Seine Lehre basiert auf dem Advaita Vedanta. Die Schlüsselrolle des Bewusstseins umgeben von maya (Illusion), das Aufgeben der persönlichen Identität, die Möglichkeit von Verzicht und Verschwinden und die Identifikation mit dem Körper als Hindernis für die Selbstverwirklichung sind die Hauptthemen dieses Videos.

Das interaktive Werk I DO, das von Jakob und Manila Bartnik entwickelt wurde, konzentriert sich auf die Idee des „Verzicht“. Indem Menschen aufgefordert werden, sich auf eine „Etwas nicht tun-Erfahrung“ einzulassen, eröffnen sich neue Räume in unserem Denken und Handeln, die wir nicht mehr gewöhnt sind. Die I DO Erfahrung lenkt das normale Alltagsleben durch die paradoxe Anwendung von Grenzen und Beschränkungen in neue Bahnen. Das Projekt besteht aus verschiedenen Schritten, inklusive einem abschließenden Treffen, in dem die Teilnehmer ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Verzicht miteinander teilen können.

IGG - MWG, eine Reihe von Porträts von Michael Wesely, erinnert uns daran, dass wir in Verbindung mit anderen existieren. Die Überlappung der Bilder weist auf den Gedanken hin, dass das Eine mit dem Vielen verbunden ist; das Individuum bekommt eine andere Bedeutung, wenn es im Kollektiv aufgeht. Die Fotografien von Wesely eröffnen uns die Möglichkeit des Mitsein, die Idee des Miteinanderseins, das Konzept der Gruppenindividualität und der Gruppendynamik.

In der Videoarbeit Prevision I von Susanne Bosch schaut ein nackter Körper in ein leeres Theater. Das fast statische Bild wird zur Metapher des Selbst, das sich dem Theater des Lebens  gegenüber sieht – leer, aber voller Möglichkeiten. Eine Stimme aus dem Off weist auf die Etappen des Lebens – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: „I remember, I care, I wish“.

The Reflection Room, eine säkulare Kapelle, die von Antoni Tàpies für die Universität Pompeu Fabra konzipiert wurde, ist ein 500 m3 großer Raum, der der Stille und Kontemplation gewidmet ist. Wie der Künstler sagte: “Angesichts der überall herrschenden übertriebenen Aufgeregheit, gesitiger Ablenkung und den unzähligen Kulten um die ‚falschen Wirklichkeiten‘ , halte ich es für sehr passend dazu beizutragen einen Raum und einige Bilder zu erschaffen, die zur inneren Sammlung und Konzentration, kurz gesagt, zu einem besseren Verständnis des wahren Seins führen.“ Ein stiller Raum der sicher geeignet ist die Reflektion über das Konzept von „Minus Ego“ und die damit verbundenen Ideen von Verzicht, Verschwinden und Teilen zu vertiefen.  
 
 

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