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Neue Konzepte, neue Ideen
Interkulturelle Vielfalt in finnischen Deutschlehrwerken

Nahaufnahme einiger Bücher von oben
© Pixabay

Im DaF-Unterricht spielen Lehrwerke nach wie vor eine wichtige Vermittlungsrolle und gestalten so mit, wie Lernende interkulturelle Vielfalt wahrnehmen. Wie kulturell divers ist das Deutschlandbild, welches finnische Lehrwerke heutzutage vermitteln, und welche Gestaltungsmöglichkeiten haben Lehrende?

Von Minna Maijala & Mareen Patzelt

Grenzen überschreiten in der Sprachdidaktik

Nach dem interkulturellen Ansatz stehen die Einstellungen und Reflexionen der Lernenden im Zentrum des kulturbezogenen Sprachunterrichts: Anstatt faktisches Wissen über Kulturen zu vermitteln, sollen Lernende kulturbezogene Inhalte reflektiv konstruieren können. In der DaF-Forschungsliteratur zeigt sich in letzter Zeit ein DACH-Konzept, das Mehrsprachigkeit und Interkulturalität betont. Statt nationalstaatlicher Grenzen und Raumgebundenheit verfolgt es ein grenzüberschreitendes Konzept. Die räumliche Ebene und die Betrachtung kultureller Muster sollen aber nicht ganz ausgeschlossen, sondern so erweitert werden, dass grenzüberschreitende Überlegungen zu den deutschsprachigen Ländern möglich werden. Obwohl in der heutigen Sprachdidaktik weitgehend versucht wird, auf nationalstaatliche Grenzen zu verzichten und Interkulturalität in den Mittelpunkt zu stellen, lässt sich diese Herangehensweise unserer Erfahrung nach in der Unterrichtspraxis oft nur schwer umsetzen. Gerade im Deutschunterricht außerhalb der deutschsprachigen Länder kann es schwerfallen, komplett auf nationalstaatliche und sprachliche Grenzen zu verzichten, weil die Kulturreflexivität dort oft auf Vergleiche zwischen den Kulturen baut.

Im Jahr 2008 zeigte eine Untersuchung von Minna Maijala zu finnischen und schwedischen DaF-Lehrwerken, dass interkulturelle Diversität nur sehr selten berücksichtigt wurde. Stattdessen wurde ein eher eindimensionales und stereotypes Deutschlandbild vermittelt. Hat sich diese Darstellung seit Beginn der 200er-Jahre verändert? Ciepielewska-Kaczmarek et al. haben mit ihrer Analyse niederländischer und polnischer Deutschlehrwerke aus dem Jahr 2020 Best Practices zusammengestellt, die eine kulturreflexive Haltung bei Lernenden fördern und Bezüge zu deren Lebenswelt herstellen. Ihnen zufolge sind solche Aufgabenstellungen förderlich, bei denen nationalstaatliche Klischees relativiert und kritisch hinterfragt, das eigene sprachliche und kulturelle Umfeld erkundet oder Projektarbeiten durchgeführt werden. Werfen wir exemplarisch einen Blick in zwei aktuelle finnische DaF-Lehrwerke, nämlich Magazin.de 1 & 2 sowie Plan D 1–2 (die jeweiligen Literaturquellen finden Sie am Ende des Artikels, Anm.d.R.). Sie sind für die 8. und 9. Klasse der neun Jahre dauernden finnischen Grundschule und für die gymnasiale Oberstufe konzipiert.

Die Analyse zeigt: das kulturell Andere ist immer noch Thema

Um zur Reflexion über Kultur in finnischen Deutschlehrwerken anzuregen, wird nach wie vor meist der Vergleich zwischen Finnland und den deutschsprachigen Ländern thematisiert. Insbesondere wird über solche Kulturspezifika informiert, die sich im zielsprachlichen vom ausgangssprachlichen Umfeld unterscheiden. Diese Informationen finden sich oft isoliert in sogenannten Kulturboxen, die auch visuell getrennt von Hauptinhalten platziert sind. Die Themen der Kulturboxen sind meistens so gewählt, dass sie aus Sicht der Ausgangskultur als interessant oder anders empfunden werden. Beispielsweise geben in einem der Lehrwerke sogenannte Kulturcoupons in der Ausgangssprache mit deutschen Schlüsselbegriffen Informationen zu Themen wie Fußball, Schule und WG-Leben oder beleuchten sprachliche Aspekte wie „Danke und Bitte“ oder Österreichisch. Im zweiten analysierten Lehrwerk beschreibt eine 17-jährige Person auf einem Blog ihre Erfahrungen während ihres Austauschjahres in Deutschland. Sie schreibt über Alltägliches wie das Essen und die Schule sowie über Ausflüge nach Berlin, Wien und in die Alpen.  Außerdem werden Kulturspezifika durch die Augen des finnischen Schülers Erkka betrachtet. Dazu wird die Aufmerksamkeit der Lernenden auf sogenannte falsche Freunde gelenkt, also Ausdrücke, die zu kulturellen Missverständnissen zwischen deutsch- und finnisch-sprachigen Sprecher*innen führen können.

Das kulturell Andere ist also immer noch Thema, auch in Übungsanleitungen. So finden sich zum Beispiel Übungen, in denen die Lernenden anhand von Bildern von Häusern, Autos und Landschaften mit ihren Partner*innen überlegen sollen, ob die Aufnahme in einem deutsch- oder finnisch-sprachigen Gebiet gemacht wurde. Oder die Lernenden sollen in einer Wortschatzübung darüber reflektieren, was es für einen Unterschied macht, wenn man „Erfolg“ auf Deutsch und „Glück“ auf Finnisch beispielsweise für eine bevorstehende Prüfung wünscht.

Betrachten wir die Lehrwerkfiguren der beiden analysierten Werke, so stellt Magazin.de in der finnischen Lehrwerklandschaft insofern eine Neuerung dar, als darin keine finnischen Personen vorkommen. Die Hauptpersonen Vanessa, Lukas und Felix kommen aus unterschiedlichen deutschen Städten. In dem anderen Lehrwerk zeigt sich kulturelle Diversität in Form von Zarif, der Erkka und seine deutschsprachigen Freundinnen in das Restaurant seines libanesischen Onkels einlädt. Neben Zarif und seinem Cousin Karim gibt es im Lehrwerk allerdings keine weiteren Personen mit Migrationshintergrund. Obwohl die libanesische Familie schon lange in Deutschland lebt, wird in einer anschließenden Übung zum Restaurant doch die Migrationsgeschichte der Familie betont.

Fazit: es gibt noch immer Entwicklungsbedarf

Nach wie vor werden kulturbezogene Inhalte in finnischen Deutschlehrwerken vor allem mit Fokus auf den Alltag im Zielsprachengebiet vermittelt. Allerdings ist positiv zu bewerten, dass die begleitenden Fragen in Lektionstexten und Kulturinfos die finnischen Deutschlernenden zur Reflexion und weiteren Auseinandersetzung mit sozialer und kultureller Vielfalt anregen. Im Vergleich zu den 2000er-Jahren hat der Blick in die Inhalte der aktuellen finnischen Deutschlehrwerke gezeigt, dass es bei der Beachtung sozialer und kultureller Vielfalt noch Entwicklungsbedarf gibt. Beispielsweise ist die Abbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund noch immer unterrepräsentiert. Obwohl unterschiedliche Übungsvarianten außerdem auf den ersten Blick Stereotype enthalten, bieten sie mit der entsprechenden Unterstützung durch die Lehrkraft eine Möglichkeit, in der Klassengemeinschaft ausgehend von den Lernenden als Individuen ein vielfältiges Bild der deutschsprachigen Länder (und von Finnland) zu konstruieren.

Wie können Lehrkräfte DaF-Lehrwerke nutzen, um die soziale und kulturelle Vielfalt Deutschlands besser zu vermitteln?

Eine Möglichkeit besteht darin, die Übungen im Lehrwerk durch solche zu ergänzen, die Lernenden die Entdeckung von und Reflexion über interkulturelle Diversität sowohl im eigenen Umfeld als auch im deutschsprachigen Raum ermöglichen. Bei der Unterrichtsgestaltung sollte berücksichtigt werden, wie durch die kulturbezogenen Inhalte, seien es Lehrwerktexte, Übungen oder Illustrationen, die Lernenden zur Diskussion – egal in welcher Sprache –  angeregt werden können.

In Deutschlehrwerken können kulturelle und soziale Vielfalt durch Themenauswahl, Gestaltung der Lehrwerkpersonen, Aufgabenstellungen und begleitende Fragen berücksichtigt werden. Idealerweise geschieht das mit möglichst wenig stereotypen Darstellungen und ohne beispielsweise das vermeintliche Fremdsein der Lehrwerkpersonen in Deutschland zu sehr zu betonen. Ist eine solche Vielfalt in den Lehrwerken selbst nicht gegeben, kann die Lehrkraft die Lernenden dazu anleiten, eigene Lehrwerkpersonen mit mehrsprachigen sowie vielfältigen sozialen und kulturellen Hintergründen zu gestalten. Dazu können die Lernenden im eigenen Umfeld und im Internet recherchieren. Über diese Hintergründe kann gemeinsam in der Lernenden-Gemeinschaft in Diskussionen, Rollenspielen zwischen den selbst gestalteten Lehrwerkfiguren oder Simulationen reflektiert werden, um idealerweise die Empathie-Fähigkeit der Lernenden zu fördern, die ihrerseits zu einer kulturreflexiven Haltung beitragen kann. Vor allem in Form von Rollenspielen ist dies ohne zu eindeutige persönliche Bezüge möglich. Alternativ oder ergänzend bieten sich kreative Produkte wie Poster, Personengalerien oder Comics zur Ausstellung im Klassenraum, aber auch digitale Umsetzungsmöglichkeiten wie Videos oder Podcasts an. Gerade in den letzten Jahren wurden viele digitale Möglichkeiten geschaffen, um, auch in Kooperation mit anderen Lehrkräften, basierend auf unterschiedlichen Vorlagen, anregende Materialien zu gestalten und gemeinsam für vielseitige Zwecke einzusetzen.

Die Herausforderung besteht jeweils darin, bei der Auswahl von Zusatzmaterialien den Sprachstand der Zielgruppe sowie die Lernziele zu berücksichtigen. Sollte der Sprachstand für den kritischen Umgang mit interkultureller Vielfalt nicht ausreichen, sollten Reflexionen zum Thema auch in der Ersatzsprache der Lernenden oder in anderen erlernten Sprachen erlaubt sein.

Analysierte Lehrwerke

  • Magazin.de 1. Hg. von Bär, Pia-Helena/Tolvanen, Ritva/Östring, Heidi/Crocker, Ines. Helsinki: Otava, 2015.
  • Magazin.de 2. Hg. von Bär, Pia-Helena/Tolvanen, Ritva/Östring, Heidi/Crocker, Ines. Helsinki: Otava, 2016.
  • Plan D 1–2. Hg. von Haapala, Mika/Hatakka, Virpi/Kervinen, Mikko/Pyykönen, Hanna/Schatz, Roman. Helsinki: Sanoma Pro, 2018.
 

Forschungsliteratur

  • Altmayer, Claus 2013. Die DACH-Landeskunde im Spiegel aktueller kulturwissenschaftlicher Ansätze. DACH-Landeskunde. Theorie–Geschichte–Praxis, hrsg. von Silvia Demmig/Sara Hägi/Hannes Schweiger. München: Iudicium. 15–31.
  • Ciepielewska-Kaczmarek, Luiza/Jentges, Sabine/Tammenga-Helmantel, Marjon 2020. Landeskunde im Kontext: Die Umsetzung von theoretischen Landeskundeansätzen in DaF-Lehrwerken. Göttingen: V&R unipress.
  • Fornoff, Roger/Koreik, Uwe 2020. Ist der kulturwissenschaftliche und kulturdidaktische Bezug auf die Nation überholt? DACH-Landeskunde, Globalisierung und Erinnerungsorte. Eine Intervention. Weitergedacht. Das DACH-Prinzip in der Praxis, hrsg. von Naomi Shafer/Annegret Middeke/Sara Hägi-Mead/Hannes Schweiger. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen. 37–67.
  • Kangasvieri, Teija (2019). L2 motivation in focus: the case of Finnish comprehensive school students. The Language Learning Journal 47 (2), 188–203.
  • Krumm, Hans-Jürgen 2020. Das DACH-Prinzip im Fach Deutsch als Fremd-und Zweitsprache: Rück-und Ausblicke. Weitergedacht. Das DACH-Prinzip in der Praxis, hrsg. von Naomi Shafer/Annegret Middeke/Sara Hägi-Mead/Hannes Schweiger. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen. 3–12.
  • Maijala, Minna (2008). Zwischen den Welten – Reflexionen zu interkulturellen Aspekten im DaF-Unterricht und in DaF-Lehrwerken. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online] 13: 1.
  • Maijala, Minna (2022). FI-DACH-Landeskunde in finnischen Deutschlehrwerken: eine Zeitreise. In: M. Järventausta, L. Kolehmainen, P. Kujamäki & M. Pantermöller (Hrsg.): Kontakte, Kontraste und Kooperationen: Begegnungen zwischen Finnland und dem deutschsprachigen Raum. Beiträge der Kick-off-Tagung des FI-DACH-Forschungsnetzwerkes. Helsinki: Société Néophilologique, 315-332.
  • Maijala, Minna/ Tammenga-Helmantel, Marjon/Donker, Eva (2016). Das DACH-Konzept in finnischen und niederländischen DaF-Lehrwerken. Zielsprache Deutsch 43, 1, 3–33.
  • Schweiger, Hannes (2021). Konzepte der› Landeskunde‹ und des kulturellen Lernens. In: C. Altmayer, K. Biebighäuser, S. Haberzettl & A. Heine (Hrsg.). Handbuch Deutsch als Fremd-und Zweitsprache. JB Metzler, Stuttgart, 358-375.
  • Vaarala, Heidi/Riuttanen, Sanna/Kyckling, Erja/Karppinen, Susanne 2021. Kielivaranto. Nyt!: monikielisyys vahvuudeksi-selvityksen (2017) seuranta. [Language Reserve. Now!] Jyväskylä: Universität Jyväskylä.

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