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Geschlechtliche und sexuelle Diversität
Vielfalt als Schulkultur leben

Regenbogenfarbene Sticker liegen auf einer Regenbogenflagge. Im Hintergrund ist hebt eine Hand einen Sticker an..
Freude über den offiziellen Projektstart als Schule der Vielfalt | © Schule der Vielfalt / Frank G. Pohl

Warum ist Schule ein Ort, in dem Vielfalt erfahrbar gemacht werden muss? Welchen Einfluss Diskriminierung auf das Lernen hat und welche Möglichkeiten Schulen haben, um Diversität mehr Raum zu geben, erklärt Frank G. Pohl, Leiter der NRW-Fachberatungsstelle „Schule der Vielfalt“.

Von Frank G. Pohl

Wie divers die Gesellschaft in Deutschland und die Lebenswirklichkeit von Schüler*innen ist, muss im Schulalltag nicht immer sofort sichtbar sein. Wenn zum Beispiel eine Schülerin einer jüdischen Religionsgemeinschaft zugehörig ist, ein Schüler zuhause zwei Mamas hat oder ein*e Schüler*in intergeschlechtlich ist, dann erfahren Lehrkräfte davon im Fachunterricht selten etwas. Und es ist auch richtig, dass sich niemand outen muss.

Zugleich ist es hilfreich, auch um den Lernerfolg abzusichern, wenn Lehrkräfte eine existierende Diversität im Klassenzimmer im Hinterkopf haben. Denn es ist der Bildungsauftrag von Schule und daher die Aufgabe des Kollegiums, unabhängig von der Fächerkombination gesellschaftliche Vielfalt in Unterrichtsinhalten und Aufgabenstellungen widerzuspiegeln. Dabei ist eine akzeptierende Haltung besonders wichtig.

Auswirkungen von Diskriminierung auf den Lernerfolg

Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) machten sich eine große Zahl von Lehrkräften über ein Mädchen bzw. einen Jungen lustig, die sich nicht typisch weiblich bzw. typisch männlich verhalten haben (Krell / Oldemeier 2018, S.110 f.). Es ist nachvollziehbar, für wie verletzend Schüler*innen dies empfinden. Das gleiche gilt, wenn Lehrkräfte nicht einschreiten bei abwertenden Äußerungen über vermeintlich nicht anwesende gesellschaftliche Gruppen. Warum die Schule ein Ort ist, in dem Vielfalt erfahrbar gemacht werden muss, zeigen die Berichte von Schüler*innen, die ihre Schullaufbahn vorzeitig beenden. Und nicht selten schließen sie mit einem geringeren Abschluss als zu erwarten ab, weil sie die Situation als LSBTIQ*-Jugendliche am Lern- und Sozialisationsort Schule zu sehr belastet.

Schüler*innen genießen durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und eine Vielzahl von schulrechtlichen Regelungen in Deutschland formal einen Diskriminierungsschutz. In der Realität beginnt wirkungsvolle Antidiskriminierung jedoch sehr konkret mit Präventionsarbeit in der Unterrichtsgestaltung. Ist dabei die Diversität von Menschen zum Beispiel in Bezug auf Herkunft, Gender, Sexualität oder der sozialen Klasse repräsentiert, ist das ein Gewinn.

Inklusive Ansätze sind für alle ein Thema

Ich leite die Fachberatungsstelle Schule der Vielfalt in Nordrhein-Westfalen. Schule der Vielfalt ist ein Programm und deutschlandweites Schulnetzwerk, das sich für eine größere Akzeptanz gegenüber geschlechtlicher und sexueller Vielfalt im Bildungsbereich einsetzt. Genauso häufig, wie mich Betroffene und sensibilisierte Kolleg*innen auf exkludierenden Situationen im Unterricht und im Schulalltag aufmerksam machen, erhalte ich auch Anfragen von Lehrkräften, die sich für einen inklusiven pädagogischen und didaktischen Ansatz interessieren und sich konkrete Unterstützung bei der Umsetzung an ihrer Bildungseinrichtung wünschen.

In dem Buch Diversität im Klassenzimmer, das ich mit meinen Kolleg*innen Birgit Palzkill und Heidi Scheffel verfasst habe, beschreiben wir am Beispiel von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, wie es Lehrkräften gelingt, Diskriminierungen und sexualisierte Gewalt zu unterbinden und allen in einer Schule der Vielfalt eine selbstbestimmte und umfassende Entwicklung zu ermöglichen. Denn die Vorstellungen von geschlechtlicher oder sexueller Identität reichen längst über die Kategorien Frau und Mann oder hetero- und homosexuell hinaus: Statistisch gesehen gibt es in jeder Klasse Schüler*innen, die lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, intergeschlechtlich oder queer (LSBTIQ*) sind. Im schulischen Alltag lässt sich täglich beobachten, wie schwierig es für diese Jugendlichen ist, mit der Forderung nach einer eindeutigen idealen Geschlechtsidentität konfrontiert zu sein. Für alle ist daher die Auseinandersetzung mit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt ein bedeutendes Thema. Dabei muss Unterricht sicherstellen, dass die persönliche Integrität aller Schüler*innen unbedingt geachtet bleibt.

Auf seiner Internetseite bietet „Schule der Vielfalt“ Unterrichts- und Projektbeispiele für unterschiedliche Fächer an, die Lehrkräfte bei ihrer Unterrichtsplanung unterstützen. Außerdem werden regelmäßig stattfindende Fortbildungen von Moderationsteams im Bereich Gender und Diversität angeboten. Neben Fragen des Inhalts und der Methodik hängt der Erfolg des Unterrichts zudem wesentlich davon ab, wie glaubwürdig die Lehrkraft für die Schüler*innen ist und inwieweit ihre Aussagen stimmig sind zu dem, was sie als Person repräsentiert. Als Voraussetzung dafür muss sich die Lehrkraft über ihre eigene Haltung und ihre Position in der herrschenden Geschlechterkultur klar werden und darüber reflektieren, welche Wirkung das eigene Verhalten auf die Schüler*innen hat. Sollte eine Lehrkraft auf Fragen von Schüler*innen bezüglich ihrer eigenen Person eingehen? Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Es ist darauf zu achten, dass weder die Grenzen von Schüler*innen noch die der Lehrkraft überschritten werden dürfen und eine professionelle Distanz gewahrt bleibt.

Schule als geschützter Raum: eine institutionelle Aufgabe

Damit eine inklusive Pädagogik im Klassenraum erfolgreich wirken kann, benötigt sie aber auch eine schulische Rahmung, bei der marginalisierte Gruppen die Schule als geschützten Raum erfahren. Dieses Signal senden zum Beispiel teilnehmende Projektschulen im Antidiskriminierungsprogramm Schule der Vielfalt, in dem sie allen Schulbesuchenden am Eingang das Schild zeigen: „Come in – wir sind OFFEN“. Das Programm arbeitet aktiv daran, die Offenheit für sexuelle und geschlechtliche Diversität institutionell zu verankern. Teilnehmende Schulen erfüllen Qualitätsstandards: Sie nehmen an Vernetzungstreffen teil, organisieren Sensibilisierungsaktionen und Fortbildungen für das Kollegium. Um in das Netzwerk aufgenommen zu werden, binden die Schulen neben Lehrkräften auch Eltern und Schüler*innen ein. Häufig geht die Initiative zur Mitarbeit der eigenen Schule sogar von der Schüler*innenvertretung aus. Schulen der Vielfalt möchten eine klare Willkommenskultur entwickeln und tabuisierten Themen wie Sexualität oder Gender einen sichtbaren Platz in der Schulkultur einräumen.

Gerade in Zeiten, in denen die Akzeptanz von sichtbarer Vielfalt selbst in Staaten der Europäischen Union wieder bedroht ist, bleiben solche solidarischen Symbole über die Selbstverständlichkeit queerfreundlicher Schulen und die Möglichkeiten schulischer Menschenrechtsarbeit wichtig.
Abkürzungen
AGG: „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“, das umgangssprachlich auch als das deutsche Antidiskriminierungsgesetz bezeichnet wird. Es ist 2006 in kraftgetreten und hat das Ziel, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität [zu] verhindern und beseitigen“.

LSBTIQ*: Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, intergeschlechtlich oder queer. Das Akronym soll alle geschlechtlichen und nicht-heterosexuellen Identitäten abbilden. Das Sternchen* (auch Gender-Star genannt) wird ebenso wie der Unterstrich_ (auch Gender- Gap genannt) als Platzhalter verwendet, um alle Geschlechter und Identitäten über „männlich“ und „weiblich“ hinaus sichtbar zu machen. Mehrere Studien zur Textwahrnehmung haben gezeigt, dass die Verwendung der rein männlichen Form dazu führt, dass Frauen, transgeschlechtliche, inter- geschlechtliche und nichtbinäre Menschen nur sehr selten gedanklich mit einbezogen werden.

Literaturhinweise

DJI Studie: Coming-out - und dann?! Coming-out-Verläufe und Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Claudia Krell / Kerstin Oldemeier 2018. bpb-Schriftenreihe, Bd. 10170

Diversität im Klassenzimmer. Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Schule und Unterricht. Birgit Palzkill / Frank G. Pohl/ Heidi Scheffel, Cornelsen 2020

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