Verzicht auf Freiheit Freiraum

  • Mann filmt Container- Projekt: Freiraum © Igor Bezinović

  • Mann sitzt am Meer und hält ein Mikro Richtung Container - Projekt Freiraum © Igor Bezinović

  • Mann mit Kamara mit Blick auf Container © Igor Bezinović

Von Davor Mišković und Drugo more

Der Begriff der Freiheit beruht auf unseren Bedürfnissen und Wünschen, die wiederum von unserer Lebensweise und unserem Wissen unzertrennbar sind.

Unsere Vision der Freiheit geht also aus unserer Existenz hervor. Sie wirkt sich auf unsere Vorstellung von Freiheit aus. Da die Menschen in einer Gemeinschaft leben, ist durch diese sowohl unsere Existenz wie auch unsere Vorstellung von Freiheit geprägt. Durch den Sozialisierungsprozess machen wir uns einen Begriff über konkrete Dinge und abstrakte Ideen, und die Freiheit verstehen wir als eine der  wichtigen abstrakten Ideen im Zusammenhang mit konkreten Beziehungen um uns herum. Dieser gesamte Prozess spielt sich auch in der Sprache ab, die auch in abstrakten Ideen eine konkrete Wirklichkeit widerspiegelt. Das Wort Freiheit kann daher eine ganz unterschiedliche Bedeutung haben, abhängig davon, wo und wann wir dieses Wort benutzen. Das Konzept der Freiheit verändert sich im Laufe der Zeit, und der Sinn, den wir ihm geben, ist relativ.  

Wie stehen wir zur Freiheit heute in Europa, was bedeutet uns dieses Wort, was stellt das Konzept der Freiheit dar? Ich würde sagen, dass wir die Freiheit auf den Begriff der individuellen Freiheit beschränkt haben. Und die individuelle Freiheit verstehen wir dabei als eine negative Freiheit, um einen Frommschen Begriff zu verwenden. Die Freiheit bezieht sich vor allem auf die Freiheit des Individuums von Einmischungen anderer Individuen, Institutionen und des Staates. Das Beharren auf der Freiheit des Individuum gegen die Einmischung des Staates in private Angelegenheiten war mitunter eine der Folgen des Kalten Krieges, wobei sich der Westen als freie Welt sah, im Gegensatz zum totalitären Osten, in dem sich der Staat in alle Lebensaspekte einmischte. Heute ist bereits sichtbar, dass dieses Konzept der Freiheit durch die Bedrohung terroristischer Anschläge ‒ ob tatsächlicher oder nur erdachter ‒ schon ausgedient hat, da die Privatsphäre und Freiheit vor der Einmischung des Staates in Privatangelegenheiten zur einer Frage der nationalen Sicherheit oder der Sicherheit von Privatunternehmen geworden ist. Jeder von uns könnte ein Innenfeind sein, die Privatsphäre verschwindet allmählich, die Freiheit wird unter Aufsicht gestellt. Der totalitäre Osten bediente sich des gleichen Diskurses wie die heute der Kontrolle unterliegende Freiheit im Westen, und wird auf die Idee herabgestuft, dass man keine Angst vor Durchsuchungen, Lauschangriffen oder Überwachungen haben soll, solange man selbst kein Innenfeind und kein Terrorist ist, oder kurzum gegen kein Gesetz verstoßen hat.
 
Einen weiteren wichtigen Aspekt für das Verständnis der individuellen Freiheit stellt neben dem bereits erwähnten politischen Aspekt auch die wirtschaftliche Freiheit dar. In der Praxis ist dies das Recht, unsere Arbeitskraft irgendjemandem frei zur Verfügung zu stellen, oder die Produkte und Dienstleistungen, die wir konsumieren möchten, frei zu wählen. Diese Freiheit, unsere Arbeitsleistung gegen Geld und Geld gegen Waren auszutauschen, ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Funktionieren unserer Gesellschaften. Auch diese Vision der Freiheit ist heute bedroht. Denn man kann seine Arbeit eigentlich nicht frei wählen, weil das Angebot an Arbeitsplätzen nicht uneingeschränkt ist, und die freie Wahl von Produkten und Dienstleistungen ist durch die Kaufkraft beschränkt. Daher ist eine solche Auffassung der Freiheit für Arbeitslose und Arme oftmals vollkommen sinnlos. In der Praxis bedeutet wirtschaftliche Freiheit oft, dass wir irgendeine Arbeit annehmen, die uns angeboten wird, und zum günstigsten Preis jene Waren kaufen, die für unser Überleben notwendig sind.

So wird Freiheit als eines der wichtigsten Konzepte, auf dem die europäischen liberalen Demokratien heutzutage beruhen, zu einem Papiertiger. Ja, unsere Privatsphäre ist geschützt, wenn wir das Internet nicht benutzen, oder nicht durch die Stadt spazieren. Niemand wird uns durchsuchen oder kontrollieren, wenn wir den öffentlichen Verkehr nicht benutzen oder die Dienstleistungen öffentlicher Einrichtungen bsw. Banken nicht in Anspruch nehmen, und wir sind frei zu tun, was immer wir auch mögen, wenn wir reiche Erben sind. Der gesetzliche verbürgte Begriff von Freiheit ist so in der Praxis nicht umsetzbar und verliert daher seinen Sinn. Wir müssen selbst auf diese Freiheiten verzichten, wenn wir normal funktionieren wollen. Dies entspricht der Logik der Terms & Conditions, die wir jedes Mal annehmen, wenn wir die Suchmaschine Google benutzen oder mit einem Flugzeug fliegen. Es liegt an uns, die Nutzungsbedingungen anzunehmen oder abzulehnen, und diese sind so gestaltet, dass sie die Freiheit, die uns noch immer grundsätzlich gewährt ist, wesentlich einschränken.

Es steht uns natürlich frei, einen Gerichtsprozess zu führen oder sich bei Wahlen zu kandidieren, wenn wir ein anderes System haben möchten. Aber auch diese Freiheit hängt von unseren Ressourcen ab. Ohne finanzielle, rechtliche oder soziale Ressourcen ist auch diese Freiheit sinnlos. Was wir daraus ersehen, ist die Tatsache, dass Freiheit und Macht unzertrennbar sind. Die Macht, Ressourcen zu verwalten, und die Macht, den gesetzlichen Rahmen zu gestalten, sind wesentliche Bestandteile der Freiheit, diese Macht ist jedoch den meisten Menschen nicht zugänglich. In der Praxis bestimmt unsere Möglichkeit des aktiven Tätigwerdens die Grenzen unserer Freiheit. Grundsätzlich sind wir alle frei, doch in der Praxis ist dies weit von der Wahrheit entfernt. Wenn wir heute Freiheit sagen, dann spiegelt dieses Wort vor allem die Wirklichkeit, in der wir leben, wider, und diese Wirklichkeit ist ein kontrollierter und beschränkter Raum der Freiheit. Das Spannungsverhältnis zwischen Prinzip und Wirklichkeit führt zu einigen zynischen, eskapistischen und aggressiven Ansätzen.   
 
Die aus dem heutigen Zustand der Freiheit in Europa hervorgehenden Antworten greifen alle auf die Geschichte zurück: Die Linke nimmt sich die Sozialdemokratie als Vorbild, und die Rechte die vormodernen Epochen, oder sie sucht im Extremfall nach beispielhaften Antworten im Faschismus. Unsere Vorstellung von Freiheit ist erstarrt. Wie in einem katatonischen Zustand phantasieren wir über die unwiederkehrbare Vergangenheit. Dieser Zustand ist vor allem für jene Räume der Freiheit destruktiv, die seit unserer Fixation bis heute erobert wurden. Diese Freiheit ist eine Art Glitch, ein Fehler beim Programmieren des Weltbildes, in dem die Welt so erscheint, wie wir sie sehen wollen. Daher versucht man diese Fehler auszumerzen.  

Freiheit ist immer ein soziales Konstrukt: Es bestehen keine Freiheiten, die natürlich und andere, die künstlich wären. Jede Freiheit ist geschaffen, oftmals durch gewaltsame Kämpfe und jahrhundertlange Prozesse. Nehmen wir die Frauenrechte als Beispiel, die das Recht der Frauen, am politischen Leben teilzuhaben, sich weiterzubilden oder zu arbeiten, umfassen. Einige Freiheiten und Rechte wurden durchgesetzt, aber nicht alle und nicht überall, sodass dieser Kampf noch immer andauert. Der Feminismus als intellektuelle und politische Bewegung für Frauenrechte oder die Befreiung von Frauen, zeigte uns, dass die Freiheit, über die man viel sprach und über die vielerorts noch immer gesprochen wird, nur trügerischer Universalismus und in Wirklichkeit nur partikulär ist (sie gilt nur für Männer), sodass nunmehr ein neuer universeller Anspruch (sowohl für Frauen als auch Männer) erhoben wurde. Diese Logik befolgten auch andere Bewegungen, sodass der Begriff der Freiheit immer universeller wurde, und mehrere Gruppen umfasst, auf die sich die jeweilige Freiheit bezieht.  
 
Auch die wirtschaftlichen Freiheiten sind keineswegs natürlich, und ebenso nicht der freie Markt.  Es handelt sich um unsere Konstrukte. Es existiert kein natürlicher Wertpapiermarkt oder z.B. kein Gesundheits- und Bildungsdienstleistungsmarkt. Diese Märkte sind im Wege langer Prozesse entstanden, und benötigen Eingriffe seitens des Staates oder Staaten während ihres Entstehens oder ihrer Aufrechterhaltung. Heute haben wir mit ganz neuen Märkten zu tun beispielsweise Finanzderivatmärkten, oder die traditionellen Auffassungen von Markt und Eigentum werden im digitalen Raum wegen der Eigenschaft von digitalen Produkten, uneingeschränkt reproduzierbar zu sein, einfach eingeengt.

Politische und wirtschaftliche Freiheiten können ohne eine Art sozialen Konsens sowie Institutionen, die sie aufrechterhalten, nicht bestehen. Jemand muss individuelle Freiheiten gewährleisten, und diese Rolle haben wir dem Staat überlassen. Und daher bekunden wir mit gutem Grund unseren Ärger und Wut gegenüber politischen Institutionen, wenn die Freiräume eingeschränkt werden. Doch dieser Ärger geht oftmals mit phantastischen Narrativen, Verschwörungstheorien und ziellosen Aufständen Hand in Hand, die eine irrationale politische Landschaft entstehen lassen, in der die Mehrheit der Bürger den Verzicht auf die Teilhabe an politischen Prozessen noch für die beste Lösung hält. Dieser Verzicht bedeutet eigentlich, auf die Freiheit zu verzichten und irgendein Dasein zu akzeptieren.  
 
Übersetzung auf Deutsch: Ines Meštrović
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