Theater und Flüchtlinge
Stilles Wissen wecken
Keine Kulturinstitution engagiert sich in der Flüchtlingshilfe momentan so intensiv wie die deutschen Theater. Allein das Online-Portal nachtkritik.de verzeichnet in einer Ende 2015 abgeschlossenen Auflistung rund 80 Initiativen. Immer noch aber treten Flüchtlinge selten als eigenständige Akteure auf. Die Silent University will das ändern.
Vor drei Jahren war hier noch eine Schlecker-Filiale. Dann stand das Ladenlokal leer und reihte sich ein in die Trostlosigkeiten der Innenstadt von Mülheim an der Ruhr. Doch seit Juni 2015 ist aus dem Eckgebäude mit den großen Fenstern ein Ort der Hoffnung geworden: Die Dezentrale, kaum 400 Meter vom Hauptbahnhof entfernt, ist nun ein frisch renovierter, lichter Raum. Eine Bibliothek wartet auf Spenden aus der Bevölkerung, das gelb-schwarze Universitäts-Logo prangt an den Schaufenstern. Im Rahmen des Theaterfestivals Impulse wurde hier im Juni 2015 die neueste Zweigstelle der Silent University eröffnet. Durch Gelder der Bundeskulturstiftung ist ihre Existenz bis Ende 2016 gesichert.
Die Silent University gibt es seitdem in London, Stockholm (2013), Hamburg (2014) und seit Mai 2015 auch in Amman, Jordanien. Zur Grundidee gehört, dass die Filialen der Silent University möglichst autonom und flexibel agieren. Die Aktivitäten in Mülheim koordiniert Kirsten Ben Haddou, von Haus aus Diplompädagogin mit interkulturellem Schwerpunkt, erfahren in Flüchtlingsarbeit. In Hamburg hat die Stadtkuratorin Sophie Goltz die künstlerische Leitung inne. „Wir sind keine Universität im klassischen Sinne, hier kann man keine Bildungsabschlüsse erwerben“, erläutert Ben Haddou. Mit Online-Universitäten für Flüchtlinge, wie sie etwa die Kiron-Universität ermöglichen, gibt es zwar Kontakte, aber kaum Ähnlichkeiten.
Netzwerk für geistige und praktische Dinge
Vier Dozenten hat Kirsten Ben Haddou schon versammelt. Alle zwei Monate findet eine Vorlesung statt, rund 15 sogenannte „Consultants“, Berater, formen ein Netzwerk, das auch Hilfe bei praktischen Dingen wie der Zeugnisanerkennung oder der Wohnungssuche leistet. Ganz einfach sei die Suche nach Dozenten nicht, erzählt Kirsten Ben Haddou. Obwohl sie Honorar und Fahrtgeld erhielten, seien Flüchtlinge oft zu stark mit ihren Alltagssorgen und der Suche nach echter Arbeit beschäftigt. „Oftmals kommen sie auch nicht unbedingt aus Berufsgruppen, die sich für Vorträge eignen“. Ähnliches erzählt Sophie Goltz aus Hamburg. Dort, sagt sie, habe sich der Diskurs um Flüchtlinge seit September 2015 gravierend verändert. Daher finden jetzt an der Silent University auch Deutschkurse, Anti-Bias-Workhops gegen Mechanismen von Diskriminierung oder Podiumsdiskussionen statt, zuletzt mit Kilian Kleinschmidt, dem ehemaligen Leiter des Flüchtlingscamps Zaatari im Norden Jordaniens, und mit ruandischen und syrischen Geflüchteten. „Wir stellen eine zunehmende Hierarchisierung zwischen Flüchtlingen fest und wollen mit der Silent University vor allem Räume öffnen, um miteinander in Kontakt zu kommen“, so Goltz.
Gute Sozialarbeit besser als schlechtes Theater?
Die Münchener Kammerspiele bauen mit an einem Flüchtlingshaus am Viktualienmarkt, und natürlich stehen auch immer wieder Flüchtlinge selbst auf der Bühne. Das Engagement ist flächendeckend, und gerne wiederholt Matthias Lilienthal, Intendant der Münchener Kammerspiele seinen Satz: „Gute Sozialarbeit ist mir lieber als schlechtes Theater“. Trotzdem hat es auch schon Kritiker auf den Plan gerufen: so hat etwa der deutsche Regisseur Michael Thalheimer in einem Interview des Wiesbadener Kuriers gesagt, dass solche sozialen Projekte nichts seien als eitle Posen – und sich das Theater damit selbst abschaffe.
Tatsächlich fällt beim Blick auf die nachtkritik-Liste auf, dass künstlerische Initiativen, in denen Geflüchtete die eigene Stimme erheben, noch selten sind. Doch es gibt sie: etwa im Projekt Ruhrorter am Theater an der Ruhr in Mülheim, wo Flüchtlinge selbst spielen, inszenieren und konzeptionieren. Oder am Schauspiel Wuppertal, wo Syrer mit Hilfe von regionalen Schriftstellern in Wir erzählen um unser Leben ihre Fluchtgeschichten formulieren. Oder am Theater Osnabrück, wo der syrische Theatermann Anis Hamdoun eigene Projekte gestaltet. Es gibt noch viel zu lernen im neuen Einwanderungsland Deutschland.