Werner Herzog
Inbegriff eines Autorenfilmers

Werner Herzog
Werner Herzog | Foto (Ausschnitt): Gerald v. Foris © iStockphoto

Viele kennen Werner Herzog nur als den verrückten Regisseur, der mit diesem wahnsinnigen Schauspieler Klaus Kinski gearbeitet hat. Nahezu unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit hat er sich aber zu einem weltweit anerkannten Dokumentarfilmer entwickelt.

Im September 2012 ist der Regisseur Werner Herzog 70 Jahre alt geworden. In Deutschland ist er nach wie vor fast ausschließlich für seine Zusammenarbeit mit Klaus Kinski berühmt – und berüchtigt. Bis heute ist sogar Mein liebster Feind (1999) sein größter Publikumserfolg in Deutschland. Es ist Herzogs persönlicher Rückblick auf die fünf zwischen 1972 und 1987 gemeinsam mit dem 1991 verstorbenen Schauspieler gedrehten Filme.

Persönliche Krise und öffentliches Unverständnis

Schon während der dreijährigen Dreharbeiten mit Kinski zu Fitzcarraldo (1982) fiel Herzog in eine Art kreatives Loch. Er war wahrscheinlich auch etwas erschöpft wegen der seit Auch Zwerge haben klein angefangen (1970) nicht enden wollenden Angriffe, denen er in Deutschland ausgesetzt war. Unter anderem wurde er beschuldigt, wehrlose Personen für seine Filmerzählungen ausgebeutet zu haben. Aus heutiger Perspektive sind die meisten dieser Angriffe, die darin gipfelten, dass Herzog als „Faschist“ beschimpft wurde, nicht nur unhaltbar, sondern auch in höchstem Maße unverständlich. Auch in den 1970er- und 1980er-Jahren gab es ausgewogene Urteile, sie waren jedoch neben den lauten Schmährufen nur schwer vernehmbar.

Herzog beendete den Zustand aus persönlicher Krise und öffentlichem Unverständnis, indem er Mitte der 1990er-Jahre nach Kalifornien auswanderte, wo er bis heute lebt. Zunächst fast unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit ist es ihm dort gelungen, eine zweite Karriere aufzubauen, die mehr auf Dokumentar- als auf Spielfilmen aufbaut. Den Durchbruch mit seinen hochgradig stilisierten und inszenierten Dokumentarfilmen hatte Herzog mit Grizzly Man (2005), der in den USA viele Preise erhielt und international auch beim Publikum sehr erfolgreich war – allerdings nicht in Deutschland. In seiner Wahlheimat ist Werner Herzog heute ein Star, dessen deutscher Akzent dankbar in allen verfügbaren Medien parodiert wird. Das Time–Magazin wählte in 2009 als einzigen Deutschen neben Angela Merkel in die Jahresliste der 100 einflussreichsten Menschen.

Inbegriff des Autorenfilmers

In Deutschland ist man dagegen erst Anfang 2010 wieder nachhaltig auf Herzog aufmerksam geworden, als er den Vorsitz der internationalen Jury auf der Berlinale übernahm und gleichzeitig seinen Vorlass der Deutschen Kinemathek übergab. Für Cave of Forgotten Dreams (2010) machte er sogar in der Harald-Schmidt-Show Werbung.

Herzogs Persona, sein öffentliches Image, ist kaum von seinen Filmen zu trennen. Es gibt weltweit sicherlich kaum einen Regisseur, der so lange im Geschäft ist (seit 1962), so viele Filme gemacht hat (insgesamt mehr als 60), in verschiedenen Ländern und Produktionssystemen gearbeitet hat (Deutschland und USA, Kino und Fernsehen) und dabei so sehr die Kontrolle über seine Produktionen behalten hat wie Werner Herzog. Wenn jemand der Inbegriff eines Autorenfilmers ist, dann sicherlich er. Insofern sind alle seine Filme thematisch und ästhetisch stark miteinander und auch mit Herzogs Persönlichkeit und seinem Leben verknüpft. Moritz Holfelder, Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, hat diese Feststellung zum Ausgangspunkt für seine Herzog-Biografie zum 70. Geburtstag genommen – die allerdings ohne das Einverständnis des Regisseurs entstanden ist.

Die Biografie

Es ist ein großes Plus dieses Buches, dass Holfelder dessen Entstehungsgeschichte, also auch die Versuche von Herzogs Halbbruder und Manager Lucki Stipetic, die Deutungshoheit über Werner Herzog zu behalten und Holfelder deshalb potenzielle Interviewpartner abspenstig zu machen, nicht verschweigt, sondern dokumentiert. Von denjenigen, die dennoch mit Holfelder sprachen, liefern insbesondere sein ehemaliger Studienkollege und Freund Wolfgang von Ungern-Sternberg sowie der Regisseur Alexander Kluge interessante Informationen, die zu einer gewissen Entmythisierung beitragen. So stellt Kluge beispielsweise fest, dass die Kamera, mit der Herzog seine ersten Filme drehte, von ihm ausgeliehen war und sich auch heute noch in Kluges Besitz befindet. Herzog dagegen hat behauptet, er hätte seine erste Kamera gestohlen.

Was in Holfelders Biografie allerdings fast nicht stattfindet, ist die amerikanische Zeit von Herzog. Wer mehr darüber und über Herzogs Filme erfahren möchte, sei auf eine Reihe weiterer Publikationen verwiesen, die seit Beginn der 2000er-Jahre erschienen sind.
 

Literatur:

Peter W. Jansen / Wolfram Schütte (Hg.):
Werner Herzog (Reihe Film 22, Hanser München und Wien 1979)

Timothy Corrigan (Hg.):
The Films of Werner Herzog. Between Mirage and History (Methuen, New York und London 1986)

Paul Cronin (Hg.):
Herzog on Herzog (Faber and Faber, London 2002)

Brad Prager:
The Cinema of Werner Herzog: Aesthetic Ecstasy and Truth (Wallflower, London und New York 2007)

Chris Wahl:
Lektionen in Herzog. Neues über Deutschlands verlorenen Filmautor Werner Herzog und sein Werk (edition text + kritik, München 2011)

Eric Ames:
Ferocious Reality: Documentary According to Werner Herzog (University of Minnesota Press, Minnesota 2012)

Moritz Holfelder:
Werner Herzog (LangenMüller, München 2012)

Brad Prager (Hg.):
A Companion to Werner Herzog (Wiley, Hoboken, NJ 2012)