Atelierbesuch. Mongolische Künstler*innen im Porträt
Vom „Mongol Zurag“ zur Textilinstallation: Zu Gast bei der bildenden Künstlerin B. Nomin
B. Nomin, geboren 1982 in Ulan Bator, ist eine der meistrezipierten Künstlerinnen ihrer Generation. Nomins Werke, in denen sie die Technik des Mongol Zurag auf zeitgenössische Fragestellungen anwendet, werden in Galerien auf der ganzen Welt gezeigt. 2017 war sie mit zwei Gemälden auf der documenta14 in Kassel vertreten. Im vergangenen Jahr stellte die Art Biennale Bangkok eine Collage aus. Wir sind zu einem Besuch in ihrem Atelier verabredet.
Von Alexander Schnorbusch
Nomin winkt, als sie uns kommen sieht, und hält sich zum Schutz gegen die Sonne eine Hand über die Augen. Sie trägt Sandalen, ein schwarzes T-Shirt und einen hellen Leinenrock. Wir befinden uns in einer Neubausiedlung im Süden Ulan Bators, wo der Tuul-Fluss und der Bogd-Uul-Nationalpark nicht weit sind. Seit vier Jahren lebt und arbeitet Nomin jetzt hier. Ihr Mann B. Baatarzorig ist ebenfalls Künstler. Die beiden haben sich während des Kunst-Studiums kennengelernt und inzwischen drei Kinder zusammen: Das älteste ist 17, das jüngste gerade drei Jahre alt.
Deswegen arbeite sie auch erst seit Kurzem wieder, erklärt Nomin, als sie uns die Tür zu ihrem Atelier im Erdgeschoss des Gebäudes öffnet. Die Luft ist angenehm kühl. An den Wänden hängen eigene Arbeiten und Bilder befreundeter Künstler*innen. Nicht weit von der Tür lehnt an der Wand das Gemälde, an dem sie gerade arbeitet, davor ein Bürostuhl und eine Holzkommode mit Mal-Utensilien. Hinter der Glastür zum Balkon ist ein rotes Dreirad zu sehen. Auf dem niedrigen Holztisch, an dem wir Platz nehmen, stehen zwei Sorten Wasser und kaltes belgisches Bier.
Zwischen Tradition und Moderne?
Alexander Schnorbusch: Von mongolischen Künstler*innen ist oft zu lesen, ihre Arbeiten bewegten sich im Spannungsfeld „zwischen Tradition und Moderne“. Manchmal wirkt das wie eine leere Phrase. Auf Ihre Bilder scheint es jedoch in besonderer Weise zuzutreffen. Ihr Studium an der Mongolischen Universität für Kunst und Kultur haben Sie im Fachbereich Mongol Zurag absolviert. Sie wenden diese Technik auf zeitgenössische Fragestellungen an. Was ist das Besondere an Mongol Zurag und was interessiert Sie daran?Nomin Bold: Das Besondere am Mongol Zurag ist, dass man verschiedene Ereignisse und Zeitebenen synchron auf einer Fläche darstellen kann. Zudem ist es eine sehr feine Art des Malens, für die man viel Zeit und Geduld braucht. Anfangs habe ich einfach das angewendet, was mir im Studium beigebracht wurde. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, freier zu denken und mich freier auszudrücken.
AS: Wie sind Sie überhaupt zur Kunst gekommen? Wann fiel die Entscheidung, dass Sie Malerin werden wollen?
NB: Ich war als Kind sehr schüchtern und introvertiert. Aber ich konnte mich lange mit einer Sache beschäftigen. Ich hatte Geduld und wie die meisten Kinder habe ich gerne gemalt. Meinen Eltern ist das aufgefallen und sie haben gesehen, dass ich Talent habe. Ein Verwandter von mir unterrichtete damals an der Kunsthochschule. Er hat vorgeschlagen, dass ich mich für ein Studium im Fachbereich Mongol Zurag bewerbe. Als junge Frau hätte mich Mode-Design eigentlich noch mehr interessiert (lacht).
Detailreiche Kompositionen
AS: Apropos Geduld. Bei vielen Ihrer Bildern handelt es sich um detailreiche Kompositionen, die den Betrachter auffordern, länger und sehr genau hinzuschauen. Auf Bildern wie Labyrinth Game, One Day in Mongolia und Grey Palace sind jeweils dutzende einzelne Figuren zu sehen. Wie entstehen diese Kompositionen?NB: Die Ideen entstehen auf ganz unterschiedliche Weise. Manchmal reicht ein einzelnes Wort oder Erlebnis. Manchmal ist es ein gedanklicher Prozess, der Jahre dauert. Bevor ich mit einem Werk anfange, plane ich die Grundkomposition. Die Details entstehen dann beim Malen selbst. Ich glaube, dass ein Kunstwerk nur dann Wert hat, wenn man über die Idee hinaus auch Zeit und Mühe investiert. AS: Sie arbeiten häufig mit religiösen Symbolen und Götterdarstellungen.
NB: Religiöse Symbole sind für mich Symbole des Guten. Wer über Gottheiten und Religion nachdenkt, denkt über das Glück und das gute Leben nach.
AS: Sind Sie selbst religiös? Wie sehen Sie die Rolle von Religionen in der mongolischen Gesellschaft von heute?
NB: Ich denke, dass ich Religionen eher respektiere als an sie glaube. Alle Religionen haben etwas Richtiges und Gutes. Aber man kann Religionen auch missbrauchen, und sie können auch die Form von Aberglauben annehmen. Dann verlieren sie ihren Wert.
Chagtaga oder: Memento mori auf Mongolisch
AS: Betrachtet man Ihre neueren Bilder wie Chagtaga oder die unfertige Arbeit, die dort an der Wand lehnt, bewegen Sie sich vom Mongol Zurag zunehmend weg.NB: Ja, meine letzten Werke sind vom Stil her anders. Ich glaube aber, dass Elemente und Details immer noch Spuren des Mongol Zurag enthalten.
AS: Was bedeutet „Chagtaga“?
NB: „Chagtaga“ ist der mongolische Name eines speziellen Seils, das von der Mitte des Dachkranzes der mongolischen Jurte herabhängt. Mongolen erklären dieses Seil meistens symbolisch: Es soll den Besitzer der Jurte vor Bösem schützen. Aber das Seil hat auch eine wichtige praktische Funktion. Bei starkem Wind hängt man etwas Schweres daran, damit die Jurte stabil bleibt.
AS: Auf dem Bild sind bunte tanzende Skelette zu sehen, die durch einen roten Faden miteinander verbunden sind.
NB: Der Faden soll darstellen, dass niemand für sich allein existiert. Jeder ist Herr seines Schicksals, aber wir werden von anderen beeinflusst und wirken wiederum auf andere durch unser eigenes Tun. Die Skelette stehen für die Vergänglichkeit. Früher oder später endet jedes menschliche Leben.
Chagtaga (2020)
| © Nomin Bold
Vom Mongol Zurag zur Textilinstallation
AS: Knochen und Totenschädel finden sich auch in zwei Ihrer neuesten Arbeiten: Transporter und Sky. Es handelt sich um eine aufwendige Textilinstallation und eine Art Wandteppich.NB: Ich hatte schon lange vor, mich an so etwas zu versuchen, habe mich aber lange nicht getraut. Dann kam unser drittes Kind. Und während ich drei Jahre für das Kind da war, habe ich endlich angefangen, mit Stoff zu arbeiten und zu nähen. Das hat mir Spaß gemacht und ich hatte das Gefühl, mich in diesem Medium noch freier ausdrücken zu können und dem Betrachter noch näherzukommen.
AS: Im Unterschied zu Ihren Gemälden beschränken Sie sich hier auf wenige Farbtöne: Schwarz, rot und beige.
NB: Eigentlich mag ich farbige Sachen und helle, sonnige Tage. Hier wollte ich mal etwas Anderes probieren. Die Idee zu Sky entstand 2019. Es handelt sich um ein kurzes schamanistisches Gedicht, übersetzt in einen Morsecode. Die einfache Farbwahl hängt auch damit zusammen. Meine nächste Textil-Arbeit wird bunt sein (lacht). AS: Stichwort „dem Betrachter näher kommen“. Bilder wie Grey Palace lassen sich als kritischer Kommentar zur mongolischen Politik und Gesellschaft von heute interpretieren. Bei Ihren neueren Werken fällt es schwerer, einen solchen Bezug herzustellen. Welche Wirkung erhoffen Sie sich von Ihren Bildern? Spielt diese Frage für Sie eine Rolle?
NB: Ein Werk muss bei dem Betrachter eine bestimmte Wirkung erzielen. Ich glaube, dass man als Künstler nur dafür arbeitet. In letzter Zeit befasse ich mich jedoch weniger mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen. Stattdessen ziele ich auf den „Menschen“ ab, das „Menschsein“ als solches. Die Frage, die mich jetzt beschäftigt, ist, wie der Mensch in seiner kurzen Zeit auf der Welt richtig leben kann.
AS: Vielen Dank für das Gespräch!
Atelierbesuch: Mongolische Künstler*innen im Porträt
Die zeitgenössische mongolische Kunstszene ist vielseitig und dynamisch. In Malerei und elektronischer Musik, Tanz und Film, Literatur und Medienkunst suchen und finden mongolische Künstler*innen neue Ausdrucksformen und ihren je eigenen Zugang zur Welt. Alexander Schnorbusch, Autor und Mitherausgeber zweier Buchreihen des Monsudar Verlags, trifft die Künstler*innen in ihrem Arbeitsumfeld und stellt sie Ihnen vor.