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Atelierbesuch. Mongolische Künstler*innen im Porträt
Tanz und Brandsiegel: Ein Gespräch mit der Choreografin und Tanzforscherin M. Munguntsetseg

Porträt M.Munguntsetseg
Porträt M.Munguntsetseg | © Goethe-Institut Mongolei/A. Schnorbusch

M. Munguntsetseg ist Choreografin und Tanzforscherin. Seit 17 Jahren unterrichtet sie an der Universität für Kunst und Kultur den traditionellen mongolischen Tanz Bii Biyelgee. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Felsmalereien und Brandsiegeln, aus denen sie neue Tanzbewegungen entwickelt. Ihre choreografischen Arbeiten verbinden Bii Biyelgee mit Elementen des Modern Dance. Wir sind zu einem Gespräch in ihrem Büro verabredet.
 

Von Alexander Schnorbusch

Das zweite Gebäude der Universität für Kunst und Kultur befindet sich ein wenig außerhalb des Stadtzentrums im Norden Ulan Bators. Es ist ein unscheinbarer, dreistöckiger Funktionsbau. Die Treppenstufen sind abgetreten von den Schritten der Student*innen, die hier seit 1990 Modedesign, Malerei und Tanz lernen. Auf den Bänken im Foyer sitzen einige von ihnen mit ihren Thermosflaschen um eine Schildkrötenskulptur und plaudern. Von der Kantine zieht der Geruch von gedünsteten Teigtaschen in den Raum.

Munguntsetsegs Büro, das sie sich mit mehreren Kolleg*innen teilt, befindet sich ganz oben im dritten Stock des Gebäudes. Für unser Gespräch gehen wir in einen leeren Klassenraum, wo wir als Erstes die Fenster öffnen, denn die Heizungen glühen und die Sonne scheint herein. Munguntsetseg trägt eine randlose Brille und einen schwarzen Deel mit Blumenornamenten und rot-gold-blauem Kragen. Wir sprechen ungefähr eine Stunde, dann dürfen wir sie zu ihrer nächsten Unterrichtseinheit in einem der Übungssäle begleiten.

  • Im Tanzsaal © Goethe-Institut Mongolei/A.Schnorbusch
    Im Tanzsaal

BII BIYELGEE


AS: In der Mongolei ist Bii Biyelgee den meisten ein Begriff. Im Ausland kennen jedoch nur wenige diese Tanzrichtung. Was ist Bii Biyelgee?

MM: Bii Biyelgee ist eine Tanzkunst, bei der es um die Darstellung alltäglicher Handlungen und Rituale aus Viehzucht und Landwirtschaft geht. Wenn man eine einzelne Handlung als Etüde tanzt, heißt das „Bii“. Stellt man mehrere solcher Handlungen unter Begleitung eines Instruments dar, nennt man sie „Biyeleg“. Und wenn daraus schließlich eine ganze Erzählung wird, die man auf der Bühne mit vielen Musikinstrumenten und Tänzern aufführt, spricht man von „Biyelgee“.

AS: Bii Biyelgee gilt als ältester der verschiedenen mongolischen Nationaltänze und deren gemeinsamer Ursprung. 2009 wurde der Tanz in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen. Sie waren damals selbst in Paris, um den Tanz der Öffentlichkeit vorzustellen. Im Vorfeld gab es Streit mit China, das ebenfalls beanspruchte, Ursprungsland des Tanzes zu sein.

MM: Das ist richtig. Die mongolischen Ursprünge von Bii Biyelgee lassen sich jedoch gut belegen. Unter anderem durch Felsenmalereien und Brandsiegel, auf denen Tanzbewegungen zu sehen sind. Bii Biyelgee ist in der Mongolei bis heute weit verbreitet. Allein unter den 21 ethnischen Gruppen der Westmongolei gibt es 71 verschiedene Arten von Bii Biyelgee.

AS: Wie sind Sie zum ersten Mal mit Bii Biyelgee in Berührung gekommen?

MM: Ich bin die ersten drei Jahre meines Lebens bei meiner Großmutter in der Provinz Dund Gobi aufgewachsen. Als ich als kleines Mädchen nach Ulan Bator kam und meine Eltern einen Moment nicht aufpassten, stürzte ich aus einem Fenster im dritten Stockwerk und verletzte mich schwer. Um gesund zu werden, musste ich während meiner gesamten Kindheit viel Gymnastik und Sport machen. Als ich acht Jahre alt war, meldeten mich meine Eltern bei einer Tanzschule an. Dort habe ich begonnen, Bii Biyelgee zu lernen.

DURUU („STEIGBÜGEL“)

AS: Nach ihrem Schulabschluss haben Sie Tanz studiert und dann auch gleich zu unterrichten begonnen. 1998 bekamen Sie schließlich den Auftrag, „etwas Modernes zu machen“.

MM: Das war keine leichte Aufgabe. Ich bekam den Auftrag, ein modernes Tanzstück zum Thema „Tradition“ zu choreografieren. Modern Dance war damals in der Mongolei nicht ganz unbekannt, aber persönlich hatte ich nur wenige Erfahrungen damit. Das Stück basiert auf einem Felsgemälde im Javkhlant Sum. Die Handlung erzählt vom Leben eines Ehepaars auf dem Land, ihren alltäglichen Handlungen vom Morgen bis zum Abend, auch ihre intime Beziehung wird dargestellt. Das Stück erregte damals großes Aufsehen.

AS: Von 2000 bis 2004 haben Sie in Wien gelebt und gearbeitet. Wie hat diese Zeit Ihre Arbeit als Choreografin beeinflusst?

MM: Es gibt in Wien ein Zentrum für modernen Tanz, in dem ich verschiedene Kurse besuchte. Wenn ich dort Übungen unseres Bii Biyelgee zeigte, fragte man mich oft: „Wo hast Du diese modernen Übungen gelernt?“ So habe ich gelernt, dass es Berührungspunkte zwischen Bii Biyelgee und Modern Dance gibt und dass man beides miteinander verbinden kann.

AS: Ein weiteres Tanzstück, in dem Sie genau das tun, heißt Duruu („Steigbügel“).

MM: Duruu entstand 2012 in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Sh.Ulziibayar, dem Anthropologen B. Lkhagvasuren und dem Regisseur D. Enkhbayar. Es geht um die Beziehung zwischen Natur, Tieren und Menschen. Das Stück zeigt, welchen Schaden der Mensch der Natur zufügt und warnt vor den Gefahren, die daraus folgen. Ausgangspunkt des Stückes war in diesem Fall eine alte mongolische Sage: „Wenn man die Eier von Kranichen zerbricht, verfluchen sie die Menschen, sodass sogar ein eiserner Steigbügel zerbricht.“  

BRANDSIEGEL

AS: In ihrer Doktorarbeit befassen Sie sich mit Felsmalereien und Brandsiegeln, die Sie in neue Tanzbewegungen übersetzen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

MM: Felsmalereien haben mich schon während meiner Studienzeit interessiert. Ich choreografierte einen Tanz mit dem Titel „Kombination“, der auf einer Felsmalerei in der Nähe der Gurvan Tsenkher Höhle basierte. Damals haben meine Kommiliton*innen darüber gelacht, dass ich mich von Felsmalereien inspirieren ließ. Aber ein Dozent ermutigte mich, weiter in dieser Richtung zu arbeiten.

AS: Wie gehen Sie dabei konkret vor?

MM: Fels- und Höhlenmalereien werden gewöhnlich zeit- und kulturgeschichtlich interpretiert, aber sie enthalten auch viele wertvolle Informationen zum Ursprung bestimmter Tanzbewegungen. Ich versuche zum einen, Tanzbewegungen, die bereits Teil des Repertoires sind, in den Felsmalereien und Brandsiegel wiederzuerkennen und zu benennen. Zum anderen versuche ich, neue Tanzbewegungen daraus zu entwickeln und so das bestehende Repertoire zu erweitern.

AS: Kommen wir zum Abschluss nochmal auf ihre Biografie zurück. Alle Ihre Geschwister und auch Ihre Eltern leben heute in Österreich. Warum sind Sie als einziges Familienmitglied 2004 zurückgekehrt?

MM: Meine Lehrerinnen Altantsetseg Baldan und Nanjid Dunjaa, die Gründerin der Tanzabteilung der Universität für Kunst und Kultur, luden mich ein, zurückzukommen und traditionellen mongolischen Tanz zu unterrichten. Ich liebe meine Heimat sehr, deswegen habe ich zugestimmt. Ich denke, meine Liebe für die Mongolei hängt auch damit zusammen, dass ich als kleines Mädchen soviel im Land herumgekommen bin. Meine Großmutter war Tierärztin. Sie war beruflich viel unterwegs und nahm ich überall mit hin. Wenn ich heute Forschungsreisen unternehme, fühle ich mich bei den Viehzüchtern sofort zu Hause. Auch die Landschaften kommen mir oft bekannt vor. Dann denke ich: Vielleicht war ich kleines Mädchen schonmal hier.
Felsmalerei ©M. Munguntsetseg
 
Atelierbesuch: Mongolische Künstler*innen im Porträt

Die zeitgenössische mongolische Kunstszene ist vielseitig und dynamisch. In Malerei und elektronischer Musik, Tanz und Film, Literatur und Medienkunst suchen und finden mongolische Künstler*innen neue Ausdrucksformen und ihren je eigenen Zugang zur Welt. Alexander Schnorbusch, Autor und Mitherausgeber zweier Buchreihen des Monsudar Verlags, trifft die Künstler*innen in ihrem Arbeitsumfeld und stellt sie Ihnen vor. 


 

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