Karl Ove Knausgård
Knausgård-Fieber hat auch Deutschland erfasst

Es hat eine Weile gebraucht, doch nun ist auch die deutsche Literaturszene im Knausgård-Fieber – vor kurzem war er dort auf Lesereise, auch auf der Frankfurter Buchmesse ist er Gesprächsthema.

Übergroß und mit stechendem Blick schaut er auf die Messebesucher, er zieht seine Stirn in tiefe Falten. Karl Ove Knausgård ist auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse überall präsent. Sei es auf dem zwei Meter großen Plakat am Messestand seines deutschen Verlages Luchterhand, in seitenfüllenden Rezensionen im Feuilleton oder bei zahlreichen Gesprächen auf Verlagspartys: „Bei welchem Band bist du?“ – „Hast du die Neuauflage des ‚Literarischen Quartetts’ gesehen, da ging es ja 3:1 für Knausgård aus?“  
 
Was jedoch fehlt, ist der norwegische Schriftsteller selbst. Und dass, obwohl erst kürzlich der fünfte Band seiner weltweit erfolgreichen „Min Kamp“-Reihe auf Deutsch erschien, die aus nachvollziehbaren Gründen hierzulande anders heißt: Das aktuelle Buch „Träumen“ umfasst 800 Seiten und mit ihm hat der 46-Jährige, der gemeinsam mit seiner Frau und den vier Kindern in Südschweden lebt, nun auch in Deutschland endgültig den Durchbruch geschafft.
In seiner Heimat Norwegen wurden die sechs Bücher zwischen 2009 und 2011 veröffentlicht, sie verkauften sich rund 500.000 Mal (bei einer Einwohnerzahl von knapp 5,1 Millionen). Sein schonungsloses Werk war dort Sensation und Skandal zugleich, schließlich gab er in seinem autobiographischen Projekt viele Details seiner Familie und Freunde preis. Die bedrückende Kindheit durch den gewalttätigen und alkoholkranken Vater, gescheiterten Liebschaften, die Leiden seiner manisch-depressiven Frau Linda – vor allem aber beschrieb er seinen eigenen Kampf mit der Vergangenheit und dem alltäglichen Leben

Sogwirkung

In den USA setzte der Hype schon früher ein, angefeuert durch Lobeshymnen von Schriftsteller-Kolleginnen wie Zadie Smith, die sagt: „Ich brauche den nächsten Knausgård-Band wie Crack“. Die Sogwirkung seiner enthüllenden Autobiographie, die dennoch ein Roman ist, wird nun auch im deutschsprachigen Raum gefeiert. Bei der Premiere des neuen „Literarischen Quartetts“ stellte „Der Spiegel“-Autor Volker Weidermann das Werk des Norwegers lobend vor ­– zuvor verfasste er bei seinem Magazin schon ein dreiseitiges Porträt. Und in der „ZEIT“ warnten zwei Kritiker in einem Pro und Contra: „Achtung, Suchtgefahr!“. Für Karsten Rösel, den Pressesprecher des Luchterhand Verlags, ist es das erste Mal in seiner Karriere, dass ein Buch zur Veröffentlichung gleichzeitig so viel Aufmerksamkeit in den Feuilletons erlangt. Der erste Band erschien bei Luchterhand bereits 2011, damals wurde Knausgård gut besprochen, doch die Masse nahm ihn noch nicht wahr.
Sicherlich hat der Erfolg in den USA geholfen.
 
Diesen Herbst verschickte der Verlag für die Presse auch DIN-A5-Postkarten mit dem Porträt des nicht allzu schlecht aussehenden Autors. Im Verlag selbst und in Redaktionen, etwa beim Deutschlandradio, sollen die Postkarten nun auf dem Schreibtisch einiger Mitarbeiterinnen stehen. Der sich selbstzerfleischende Autor ist längst zu einer Art Popstar geworden

Hype oder kein Hype?

Auch die vier Lesungen kurz vor der Buchmesse waren schnell ausverkauft. Die Premiere fand Ende September in Hamburg statt, danach folgten Abende in Wien, Zürich und schließlich am 2. Oktober das Happening „Ein Tag mit... Karl Ove Knausgård“ in den Berliner Festspielen. 800 Zuschauer drängten sich in den Saal, wo zunächst Kritiker und der Übersetzer Paul Berf über den Schriftsteller diskutierten, Knausgård dann erste Bücher signierte, um später mit einem taz-Kritiker und Thomas Böhm ein Gespräch zu führen.
 
Böhm läuft nun, Mitte Oktober, durch die Messehallen. Er fällt nicht nur durch seinen moosgrünen Anzug auf, im Literaturbetrieb ist der 47-Jährige eine wichtige Größe. Bei Islands Ehrengastauftritt auf der Frankfurter Buchmesse war er literarischer Programmleiter – und er ist bekannt für seine unterhaltsamen Moderationen.
Hat er alle Bände gelesen? „Natürlich“, sagt Böhm. „Ich kann den Drogen- und Suchtvergleich durchaus verstehen.“ 3344 Seiten haben die ersten fünf Bände, der letzte Teil, der im Frühjahr 2017 herauskommt, wird über 1200 Seiten umfassen.
So groß das Interesse derzeit sei, da „Träumen“ noch nicht in den Top 20 der Bestsellerlisten steht, würde Böhm noch von keinem Hype sprechen, vielmehr sei es „ein längst fälliges Nachholen eines Versäumnisses“. Der Moderator erinnert sich beim Interview an die Energie und das Charisma  des Schriftstellers. „Wenn er den Kopf drehte und einen ansah, das war sehr intensiv.“ Hype oder nicht, dennoch meint Thomas Böhm: „Knausgård ist eben der Autor, an dem niemand, der sich wirklich für Literatur interessiert, im Moment vorbei kann. Insofern ist er in diesem Herbst überall präsent. Auch auf der Messe.“