Urbaner Raum
Die Zukunft Oslos

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Copyright: Heidi Bergsli

Viele Städte sind von Segregation des Wohnraums geprägt. Doch im Zentrum als Arena gehören für die Bewohner soziale Unterschiede zum Alltag. Heutzutage rüsten sich die Stadtzentren, um vor allem für Touristen und besser Verdienende attraktiver zu werden.

Wer hat ein Recht auf die Stadt? Diese Frage ist inzwischen lauter geworden. In Henry Lefebvres Theorie beinhaltet sie jedenfalls eine ethische Verpflichtung in der Stadtplanung. Danach sollen alle sozialen Gruppen die Stadt nutzen und in ihr wohnen können. Die Ideologie von Gleichheit steht in Norwegen hoch im Kurs. Die Sicht auf die soziale Konfiguration der Stadt hat sie allerdings nicht näher berücksichtigt. Es scheint sozial akzeptiert, dass Oslo eine geteilte Stadt ist. Inzwischen gibt es Anzeichen für den Wunsch nach einer mehr kollektiv orientierten Stadt. Dies könnte mit der Zeit zu einem größeren Engagement für eine solidarische Stadt führen.
Das Recht auf die Stadt ist eine Perspektive und eine Aktionsform. Im Ursprung des Begriffs geht es bei Henri Lefebvre um das universelle Recht, in ihr zu wohnen, sie zu nutzen - quer durch alle sozialen Schichten. Jeder soll in der Stadt bleiben können und darf nicht verdrängt werden. Alle im öffentlichen Raum sind gleichwertig. Stadtforscher, die sich an Lefebvre anlehnen, befassen sich mit sozialer Gleichheit in der Stadt. Sie sehen den öffentlichen Raum als Allgemeingut und betrachten Unterschiede sowie Vielfalt als bedeutsam. Um diese Aktionsform wird international gekämpft. Die Leute sollen ihr Zuhause und ihre Nachbarschaft behalten können, wenn die Stadt unter Druck gerät. Der Druck kommt von Politikern, die die Stadt attraktiv machen wollen; Investoren und Bauträger-Gesellschaften sehen das Verdienstpotential. Ressourcenstarke Bürger gewinnen den Wettbewerb des Marktes, wenn Wohnraum zum Investitionsprojekt wird. Von Seiten der Stadt wird es wichtig, universelle Aspekte des öffentlichen Raums zu beschützen – in der Stadt selbst und in der Gesellschaft.

Eine neue soziale Teilung

Bis zum 19. Jahrhundert war Oslo (damals Christiania) geteilt zwischen der Stadt und den Vorstädten. Diese bestanden aus Holzhäusern außerhalb, vom dänischen König im 17. Jahrhundert gebaut. Diese Vororte wurden seinerzeit mehrmals nieder gebrannt, um die Bildung von Slums zu verhindern, wurden jedoch rasch wieder errichtet. Die Leute hatten keine Alternative.
Ab 1840 wuchs Christiania rasch mit einem Strom von Migranten, die es zur Industrie zog, die sich besonders entlang des Akerselva entwickelte. Eine neue soziale Teilung entstand im Laufe der Industriezeit, wie sie der Historiker Knut Kjeldstadli beschrieben hat. Der Akerselva, der mitten durch die Stadt von Nord nach Süd fließt, hat in hohem Maße die Stadt geteilt, mit der oberen Mittelklasse im Westen und der unteren Mittel- und Arbeiterklasse im Osten. In den 50er Jahren wuchsen auch die Trabantenstädte rasch. Auf diese Weise war Oslo geprägt von verschiedenen Formen geographischer Grenzen. Dies weitet sich heutzutage noch mehr aus und verdichtet sich.
Die Stadt als Lebens- und Identitätsform hat inzwischen das Interesse der Mittelklasse geweckt. In den 80er Jahren begann der Zuzug in frühere Arbeiterklasseviertel in der Innenstadt - ein Gentrifizierungsprozess wie man ihn in der ganzen Welt kennt. Auf Grund des Sogs nach dem inneren Osten Oslos und der Entwicklung von teuren Wohnungen in Meeresnähe, als eine Ost-West-Achse, verwischt sich die Grenze des Akerselva mehr und mehr.
Seit den 90er Jahren hat die Politik der Stadtentwicklung in Oslo das Ziel gehabt, das Image der Stadt und seine Anziehungskraft zu stärken. Auf vielerlei Weise ist der Blick mehr auswärts gerichtet, wenn es darum geht, für wen die Stadt gerüstet werden soll. In seiner äußersten Konsequenz kann der Teil der Bevölkerung ohne finanzielle Mittel wieder nur vor den Stadtgrenzen leben, mit gleichen Begrenzungen wie in der vorindustriellen Zeit.

Ziemlich niedriges Engagement

Es herrscht politischer Konsens darüber, Oslos gemeinschaftliche Naturgebiete zu bewahren. Waldgrenzen, Fjordgegenden und Parks werden zur allgemeinen Erholung geschützt. Zugleich setzt die Kommune auf kompakten Ausbau der Stadt, die den öffentlichen Raum unter Druck setzt. Verbunden mit der „Attraktivitätspolitik“ und einer Mehrheit von privaten Investoren wurde Oslos öffentlicher Raum preisgegeben. Er wird auf eine regulierende Weise gestaltet, die symbolisch und materiell die Nutzung durch Aktivitäts- und Gestaltungsanpassung vorschreibt. Dieses geschieht auch im Zentrum, wo sich eine wichtige Arena für Oslos und Norwegens Öffentlichkeit befindet.
Das Engagement rund um das Recht an der Stadt Oslo hat sich als niedrig erwiesen. Ursachen dafür sind wohl ein allgemein hohes Niveau an Wohlstand, ein starker Wohlfahrtsstaat und eine gut etablierte Wohnpolitik, die Eigentum an Wohnraum wertschätzt. Das bedeutet, dass die Mehrheit, die Mittelklasse, in einem liberalisierten Wohnungsmarkt gewinnt. Bestehende Gleichheitsideologien beinhalten möglicherweise auch, dass die Bevölkerung sich der wachsenden Ungleichheiten gar nicht bewusst ist, die zudem und besonders in Oslo als Trennung von Wohnräumen akzeptiert worden sind. Es gibt Anzeichen von neuen sozialen Trennlinien zwischen der inneren und äußeren Stadt, samt einer bestehenden Ost-West-Grenze. Das Recht an der Stadt auf der öffentlichen und politischen Agenda sollte daher einen höheren Stellenwert erhalten.
Es sieht aus als seien mehrere Einwohner nun damit beschäftigt, Oslo vielfältiger zu gestalten. Mehrere Treffpunkte für die Öffentlichkeit müssen geschaffen werden. Wie in anderen Städten werden neue Kollektive gebildet - etwa Tauschringe, urbane Begrünung, mobile Cafés und Nachbarschaftsfeste. Vieles deutet darauf hin, dass das Engagement eine kreative Stadt zu schaffen auf diesen Feldern am größten ist. Die Basis dafür bilden gemeinschaftliche Lösungen mit künstlerisch kulturellen Mitteln. Als nächster Schritt ist es wichtig, mit diesem Engagement die gesamte Bevölkerung zu umfassen. Das Recht auf eine kreative und vielfältige Stadt gilt für alle.