Interview 5 plus 1
Schreiben ist ein großes Glück

Matthias Jügler
Matthias Jügler | Foto: ©ThomasNauhaus

Matthias Jügler ist 1984 in Halle/Saale geboren. Er studierte Germanistik, Skandinavistik und Kunstgeschichte in Halle, Greifswald und Oslo und begann anschließend ein Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Seine Texte wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. war er Stadtschreiber in Pfaffenhofen, Stipendiat des Literarischen Colloquiums Berlin und Artist in Residence in Usbekistan. Sein Debütroman Raubfischen erschien 2015.

 
1. Sie haben ein halbes Jahr in Oslo gelebt und auch in Ihren Texten merkt man die Verbundenheit zu Skandinavien. Woher rührt diese Nähe zum europäischen Norden?
 
Ich bin als Kind schon mit meinen Großeltern nach Schweden gereist.  Immer wieder in die gleiche Hütte, an einem kleinen See. Ich erinnere mich daran, dass ich jedes Mal, als wir wieder nach Hause fuhren, unendlich traurig war, dieses schöne Land wieder verlassen zu müssen. Später fing ich an, mich für Norwegen zu interessieren. Das hat auch viel mit meiner Leidenschaft für das Angeln zu tun. So viel Wasser, das zieht mich magisch an.
 
2. Literatur kann viel Macht im Kampf gegen Rassismus ausüben. Wollen Sie und Ihre Autoren mit dem Buch „Wie wir leben wollen“ gegen Fremdenfeindlichkeit anschreiben?
 
Die AutorInnen und ich, wir waren uns von Anfang an klar, dass wir die Welt mit diesem Buch nicht verändern können. Aber wir wollten der lauten Debatte in den Medien etwas hinzufügen, ein Buch mit 25 Positionen, Geschichten, Gefühlszuständen, die nicht laut schreien müssen, sondern auch still sein können. Die Stärke dieser Texte ist, dass sie in monatelanger Arbeit entstanden, und nicht, wie oft in Zeitungen, innerhalb weniger Stunden. Damit meine ich: Diese Texte reagieren nicht auf ein spezielles Ereignis oder auf Tagespolitik, sondern haben einen weiteren Blick auf Fremdenfeindlichkeit als z.B. journalistische Beiträge; sie hinterfragen mehr, sind reflektierter. (Und außerdem von großartigen AutorInnen geschrieben.)
 
3. Was war für Sie entscheidend bei der Auswahl der Autoren? Auf den ersten Blick erscheinen diese ganz bunt gemischt. Gibt es dennoch Gemeinsamkeiten?
 
Die AutorInnen scheinen deshalb ganz bunt gemischt zu sein (mit und ohne Migrationshintergrund), weil genau so ja auch unsere Gesellschaft ist. Da gibt es Senthuran und Lara, Shida und Inger-Maria. Viele möchten die AutorInnen ja gerne zu "Ausländern" machen, Shida Bazyar zum Beispiel. Shida aber ist in Hermeskeil geboren, tiefste deutsche Provinz, sie ist so Deutsch wie Jürgen Klinsmann und Jogi Löw. Im Prinzip könnte man sagen: Die Auswahl der Beitragenden zeigt, wie unser Land ist: viele Menschen, mit verschiedenen Geschichten. Guten Tag, Globalisation!
 
4. Sie äußerten in einem Kulturgespräch mit dem SWR2, dass viele junge Schriftsteller gerade das Gefühl hätten, „es gäbe gerade wichtiger Dinge als die Tagesarbeit am Roman“. Bedeutet dies, dass Sie die Arbeit an fiktiven Romanen erst einmal einstellen?
 

Das nicht. Es bedeutet aber, dass wir uns als AutorInnen die Fragen stellen müssen: Kann ich etwas beitragen? Kann ich mich einmischen? Ich bin froh über die vielen Teilnehmer, weil diese mit der Arbeit, die sie investiert haben, mehrere tausend Euro erarbeitet haben, die wir für Flüchtlingshilfe spenden konnten. Froh bin ich auch, dass der Suhrkamp Verlag bereit war, dieses Buch zu realisieren. Ich finde, dass ist ein guter Grund, mal für ein paar Monate nicht am aktuellen Roman zu schreiben, sondern sich für einen Augenblick mit der Katastrophe zu beschäftigen, die gerade stattfindet. (Und damit meine ich, dass Flüchtlingsheime angezündet werden, hier in Leipzig Menschen nachts Schweine vor eine Moschee legen und somit Angst verbreiten wollen. Das widert mich an.)
 
5. Welche Autoren waren oder sind für Sie Vorbilder?
 

Per Petterson ist einer der großartigsten Autoren, die ich kenne. Gerade lese ich Ut og stjele hester zum dritten Mal. Und ich weiß jetzt schon, dass ich dieses Buch noch oft in die Hand nehmen werde in den nächsten Jahren. Allgemein bewundere ich Autorinnen und Autoren, die es schaffen, regelmäßig ein neues Buch zu veröffentlichen. Es gibt nicht schwierigeres, als einen Roman nicht nur zu beginnen, sondern auch erfolgreich abzuschließen. Eine Aufgabe, der ich mich jeden Tag stelle, die aber oft frustrierend ist.
 
+1: Vorausgesetzt, Sie könnten Ihre Karriere noch einmal ganz von vorn beginnen. Würden Sie den Beruf des Schriftstellers wieder gehen oder hätten Sie einen anderen Weg eingeschlagen?
 

Auf keinen Fall. Schreiben ist ein großes Glück. Es hilft mir, mich in der Welt, in der ich lebe, zurecht zu finden. Was kann es Schöneres geben, als abends einzuschlafen mit dem Gefühl ein paar gute Seiten geschrieben zu haben?