Soziales Leben
Zugeknöpfte Norweger?

Freundschaft
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Ist es wirklich schwer, neue Freundschaften in Norwegen zu schließen? Eine deutsche Studentin auf der Suche nach Erklärungen.

“Eine gute Art und Weise, neue Freunde zu gewinnen, ist es an organisierten Veranstaltungen teilzunehmen, auf denen man Norweger treffen kann“, erklärt Karin Ellis von „Ellis Culture“. Ellis ist Norwegerin und bietet seit 2008 Kurse an zum Thema „Working with Norwegians“. In den Workshops spricht sie nicht nur über das Arbeits-, sondern auch über das Privatleben mit Norwegern. „Man sollte also darüber nachdenken, welche Hobbies man hat oder was man gerne lernen würde. Danach kann man sich nach passenden Gruppen umschauen“, so Ellis. Immer eine gute Idee sei das Wandern – die Norweger lieben die Natur.

An einem Sonntag um 11 Uhr mache ich mich bei angenehmen 17 Grad auf den Weg. Auf der Internetseite des Wandervereins DNT (Den Norske Turistforeningen) habe ich mich über geführte Gruppen-Ausflüge informiert. Nachdem ich die Filter „in der Nähe von Oslo“ und „für Anfänger“ gewählt habe, wird mir der internationale Sonntagsausflug vorgeschlagen. Für die vierstündige Tour habe ich meine gut profilierten Stiefel angezogen und meinen Rucksack mit Wasser, belegten Brötchen und einer Regenjacke vollgestopft.

„In der Natur lernt man Norweger am besten kennen“, sagt Ellis. Die Touren finden draußen, fernab der Stadt und vom Arbeitsalltag statt. Das mache die Norweger einfach lockerer und entspannter. Ellis ist es jedoch wichtig, nicht alles zu verallgemeinern: „Es gibt immer Ausnahmen und Verhaltensweisen hängen von vielen verschiedenen Einflüssen ab.“

Im Verlauf der Tour lerne ich Anne* kennen. Sie ist seit einem halben Jahr in Norwegen und möchte ebenfalls neue Leute kennenlernen. Während wir an einem See entlang laufen, erzählt sie mir von ihrem Arbeitskollegen: „Ich habe es nicht als Erste gesagt, sonst hätte ich ihn am Schluss noch verscheucht.“ Nein, in ihrer Geschichte geht es nicht um eine Liebeserklärung. Anne erklärt mir euphorisch, dass ihr Kollege sie endlich als “Freundin“ bezeichnet habe. „Die Norweger brauchen eine Weile bis sie sich öffnen können. Doch dafür halten norwegische Freundschaften ein Leben lang“, meint Anne.

Vertrauen schon etabliert

Sind die Norweger wirklich so schüchtern? „Norweger können tatsächlich ein bisschen reserviert sein. Sie trennen gerne zwischen Arbeits- und Privatleben”, erzählt Ellis. Besonders das Small-Talk-Reden falle den Norwegern schwer, da es nicht zu ihrer Kultur gehöre. Gibt es eine Erklärung für ihre Schüchternheit? “Eine Theorie sagt, dass sie keinen Smalltalk brauchen, weil das Vertrauen schon etabliert ist und nicht mehr aufgebaut werden muss.“ Außerdem sei Norwegen ein großes Land mit wenigen Einwohnern. Hier könne man sich also gut aus dem Weg gehen.

Schon seit Beginn ihrer neuen Stelle hat Anne sich gut mit ihrem Arbeitskollegen verstanden. Sie teilen sich ein Büro und verbringen daher täglich viel Zeit miteinander. Bis der Satz „Wir sind Freunde“ gefallen ist, hat es trotz allem ein halbes Jahr gedauert. Danach wurde Anne seiner Frau vorgestellt. Der nächste Schritt: Eine Einladung zu ihnen nach Hause.

„Anne hat sehr viel Glück. In Oslo ist es nicht üblich, nach Hause eingeladen zu werden. In dieser Stadt trifft man sich häufiger in Restaurants oder Cafés”, erklärt Ellis. In anderen Gebieten Norwegens sei meist das Gegenteil der Fall: Dort treffe man sich zuhause, was nicht nur günstiger, sondern auch gemütlicher sei.
 
Nach knapp drei Stunden wandern, haben wir den See umrundet und sind an einer Weggabelung angekommen. Die Teilnehmer haben die Möglichkeit zwischen einem kurzen und einem etwas längeren Rückweg zu wählen. Zusammen mit vier weiteren entscheiden Anne und ich uns für die längere Strecke. Unter ihnen ist auch ein Norweger: Ole* – ein großer, schlanker Mann, schätzungsweise Ende 20. Die Gruppe versteht sich gut auf dem Weg zur nächsten Haltestelle. In der U-Bahn tauschen wir unsere Nummern aus und beschließen, noch einmal gemeinsam wandern zu gehen. Abends erhalte ich eine SMS von Ole: „Hello! We are heading out to a karaoke bar tonight. Join us if you want to celebrate with us. Sending this to all you subway people :) ”. Doch gar nicht so scheu, diese Norweger.

* Name von Redaktion geändert