Christen in der Corona-Krise  Karol Moravčík: „An einem Festmahl kann man nicht am Fernseher teilnehmen“

 „Wenn der Priester nicht im lebendigen Kontakt mit den Menschen stehen kann, steht das Leben still“, behauptet Karol Moravčík.
„Wenn der Priester nicht im lebendigen Kontakt mit den Menschen stehen kann, steht das Leben still“, behauptet Karol Moravčík. Foto: © privat

Wie sieht der Alltag eines katholischen Priesters in Zeiten der angeordneten sozialen Isolierung aus? Wo sehen Sie jetzt Ihre Aufgabe als Autorität in der Gemeinschaft der Gläubigen?

Sie meinen wahrscheinlich einen Priester, der eine Pfarrstelle innehat, ein pastoraler Arbeiter direkt unter Menschen. Wie bekannt ist, feiern wir nur private Gottesdienste, oder nur mit drei bis vier Leuten. Bei persönlichem Kontakt halten wir uns an die grundlegenden Schutzmaßnahmen. Taufen, Trauungen, persönliche Treffen, Beichten, Beratungen werden auf ein Minimum begrenzt. Predigten bereite ich so vor, wie immer, auch vorher habe ich Predigten ins Internet gestellt. Ansonsten hat sich mein Arbeitsleben nicht sehr verändert. Auch vor der Krise habe ich relativ viel am Computer gearbeitet, verschiedene Texte erstellt, war über E-Mail in Kontakt… die Gottesdienste an den Feiertagen, insbesondere am Sonntag, nehmen wir mit dem Organisten auf und laden sie auf Youtube hoch.

Die Autorität verändert sich nicht, die Art des Kontakts ändert sich. Das Problem ist, dass besonders in der katholischen Kirche das „alltägliche“ Kirchenleben und die Arbeit zu sehr an die Priester gebunden sind. Wenn plötzlich der Priester nicht im lebendigen Kontakt mit den Menschen stehen kann, steht das ganze Leben still. Wir empfehlen den Leuten, ihren Glauben Zuhause auszuleben, Gottesdienste Zuhause zu feiern, Ausstrahlungen über die Medien zu verfolgen… Aber wie mir ein Freund schrieb, bei einem Festmahl oder einer Party kann man nicht am Fernseher dabei sein.

Die Experten raten uns, die Krise Zuhause bei unseren Familien zu überstehen. Das Problem ist, dass die heutigen Familien nicht mehr so sind, wie in der Vergangenheit, als noch mehrere Generationen und Familienangestellte unter einem Dach zusammenlebten. In den heutigen Kleinfamilien, von Singlehaushalten gar nicht zu reden, ist die soziale und kirchliche Isolation ein großes Problem. Es zeigt sich, dass unsere Lebens- und Arbeitsweise, die die Generationen nicht miteinander verbindet und die Menschen voneinander isoliert, keine Zukunft hat. Für die Kirche ist das eine Herausforderung, Teams aus pastoralen Mitarbeitern zu bilden und sich nicht allein auf die Priester zu stützen. Der Priester sollte derjenige sein, der die Menschen verbindet, nicht der, der führt und handelt.

Was halten Sie davon, wenn Gläubige die Aufforderungen zur sozialen Distanzierung ignorieren, die Situation verharmlosen oder mit Begründungen wie „mein Glaube heilt mich“, „Jesus ist mein Doktor“ oder ähnlichen rebellieren?

Ich persönlich habe derartige Unterschätzungen der Situation nicht erlebt und auch aus anderen Pfarrgemeinden nichts Derartiges gehört. Sehr selten sind auch Erscheinungen des sogenannten Volksglaubens, also dass verschiedene Segnungen oder Weihen helfen sollen. Wenn sich in einer Gemeinschaft der Glaube an Jesus dadurch äußert, dass sein direktes Eingreifen zu unseren Gunsten erwartet wird, dann handelt es sich augenscheinlich um Unverstand oder religiösen Fundamentalismus. Der Glauben an Jesus, gibt uns Kraft, zu dienen und nicht, sinnvolle Schutzmaßnahmen zu ignorieren. Dank unseres Glaubens können wir etwas „riskieren“ und uns als Sanitäter, Krankenpfleger, Helfer zur Verfügung stellen – unter Einhaltung der angemessenen Schutzvorkehrungen.

Ich stoße auch auf eine andere Frage: Erst heute bei der Frühmesse hat Papst Franziskus gesagt, dass „wir wieder aus dem Tunnel herauskommen müssen, in den wir hineingeraten sind, und in die normale Gemeinschaft zurückkehren, denn eine Kirche, die virtuell funktioniert, ist keine Kirche.“ Wenn Krankenpfleger, Sozialarbeiter, Soldaten, Polizisten und Verkäuferinnen und andere mit Menschen in Kontakt und im Dienst sind, müssen wir auch in der Kirche eine Möglichkeit finden, wie wir mit den Menschen nicht nur virtuell, sondern tatsächlich in Kontakt sein können.

Karol Moravčík ist katholischer Priester, Theologe und Publizist. Er ist in Borinka bei Stupava als Pfarrer tätig und Vorsitzender des Vereins Theologisches Forum.

Weitere Interviews mit Geistlichen über die Corona-Krise