Amanda Svensson Die Maschine, oder: He might as well have ghosted her

Eine Illustration mit schwarzen und lila Elementen.
Illustration: © Ricardo Roa

Was passiert, wenn die richtigen Worte nicht mehr kommen? Amanda Svensson verbringt Monate damit, KI-Modelle zu trainieren – während sie selbst im Leben nach Sprache sucht. Ein intimer Bericht über Verlust, Halluzinationen und die verzweifelte Suche nach Worten, die wirklich etwas bedeuten.

Am 6. September 1780 trabt, eilt, steigt Johann Wolfgang von Goethe zum Gipfel des Bergs Kickelhahn hinauf, und schreibt bei der Gelegenheit eines der bekanntesten Gedichte der deutschen Literatur, Über allen Gipfeln oder Wandrers Nachtlied, an die Wand einer kleinen Hütte. Zweihundertfünfzig Jahre später gibt es laut Schwedischem Übersetzerlexikon rund zweitausend Übersetzungen des Gedichts allein ins Schwedische. Vielleicht auch, weil es barmherzig kurz ist: vierundzwanzig Wörter, kunstvoll arrangiert in acht Zeilen mit dem Reimschema ABABCDDC.

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vöglein schweigen im Walde,
Warte nur, balde
Ruhest du auch.


Dem Wikipediaartikel zum Kickelhahn zufolge besuchte Goethe die Stadt Ilmenau in Thüringen, deren Hausberg der Kickelhahn ist, achtundzwanzig Mal in seinem Leben. Nicht mehr, nicht weniger. Exakt wie viele Male er ihn in Begleitung seines Freunds und Mäzens, Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach bestieg, lässt sich der digitalen Geschichtsschreibung nicht entnehmen. Aber es geschah mehr als einmal.
Man muss sich Goethe glücklich vorstellen.
Dass er den Herzog sozusagen vor sich her rollte wie einen Stein, in Erwartung des Augenblicks, in dem er spontan die richten Worte finden und in eine der Wände in einer kleinen Jagdhütte ritzen würde.

*

Im Sommer 2024 lebte ich in Scheidung, ich wusste nur noch nichts davon. Ein naher Angehöriger war schwerkrank, das wusste ich dagegen. Ich stand im Begriff, große Veränderungen in meinem sogenannten Berufsleben durchzuführen. Außerdem: Ich besaß ein Haus, das in einem rein konkreten Sinn, langsam auseinandergenommen worden war, bis nur noch die Wände standen, und nun war unklar, wie es jemals wieder ein Haus werden sollte. Diesen Sommer, und das folgende Jahr, habe ich teilweise so empfunden, als bestiege ich einen sehr hohen Berg. Gleichzeitig schienen mir die Worte – die richtigen und wahren Worte – immer schwerer zu finden zu sein.
Manchmal hört man Menschen – ehrlich gesagt vor allem Dichter, wodurch sich einem die Frage aufdrängt, ob sie wirklich den richtigen Beruf gewählt haben – behaupten, dass es für dieses oder jenes keine Sprache gibt. Soll heißen: Dass es Dinge gibt, die so gewaltig sind, dass sie sich nicht verbal ausdrücken lassen. Ich habe dieser Behauptung immer ausgesprochen skeptisch gegenübergestanden. Es gibt Wörter für alles, und wenn es sie nicht gibt, erschafft man sie. Das ist sozusagen das Besondere an Wörtern.
Gleichwohl: Konfrontiert mit Verlust auf Verlust habe ich mich selbst als nahezu stumm erlebt – völlig unfähig, etwas von Bedeutung zu schreiben, teilweise unfähig zu sprechen, zeitweise sogar unfähig zu denken. Auch die Worte, die ich jetzt schreibe, empfinde ich als gestelzt und konstruiert. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich sie selbst schreibe – ob es einen Geist in der Maschine oder nur eine Maschine gibt, die so geschickt darin ist, etwas zu imitieren, dass ich geschrieben haben könnte, dass sie es auf Kommando tut.
Kann man sich die Maschine dann als glücklich vorstellen?
Ich glaube, man sollte der Versuchung widerstehen.

*

Berlin, Mai 2025. Das deutsche Theaterpublikum lacht. Die Leute lachen so sehr, dass ihnen die Luft wegbleibt, sie können gar nicht genug bekommen von Goethe. Goethe, zerhackt in kleine Stücke. Goethe, quantifiziert, Goethe, algorithmisiert, Goethe, verfremdet, bis er nur Laute geworden ist.
Die Vorstellung, die bewirkt, dass sich das Publikum auf den Sitzen der Berliner Festspiele krummlacht, ist Georges Perecs von Eugen Helmlé übersetztes Hörspiel Die Maschine, oder: Über allen Gipfeln ist Ruh von 1968, das in diesem Jahr in der Regie von Anita Vulesica im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg gegeben wurde. Die Inszenierung ist eine von zehn, die zum alljährlich stattfindenden Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, und die Vorstellung ist folglich ausverkauft.
Das szenische Potential eines Hörspiels, das ganz auf ausgeklügelten semantischen Spielen basiert, mag begrenzt erscheinen, aber es erweist sich als sehr effektiv, Perecs Fantasiemaschine – wie Vulesica es tut – tatsächlich physische und menschliche Form annehmen zu lassen. Die fragliche Maschine hat eine einzige Aufgabe: Wie eine moderne KI-Maschine Goethes berühmtes Wandgedicht Über allen Gipfeln gemäß fünf verschiedenen „Protokollen“ zu sezieren und zu analysieren. Die Maschine hat eine „Instanz“ – die das bestimmt, was man in der KI-Sprache „Prompts“ nennen würde – sowie drei Outputkanäle, von denen die Antworten generiert werden, alle repräsentiert von einem futuristischen und gleichzeitig nostalgischen Bühnenbild, bestehend aus Rohrpostsystemen und überdimensionierten Knöpfen und Hebeln. Der Reihe nach werden die fünf Protokolle durchgekaut: Statistik, Linguistik, Semantik, Kritik und Poetik. Die Kontrollinstanz gibt Kommando auf Kommando und die immer bedrängteren Erbsenzähler spucken die Antworten aus: Es werden Silben gezählt, Buchstaben ausgewechselt, Substantive und Verben herausgenommen, die Wörter werden in alphabetischer Reihenfolge aufgestellt, in umgekehrter Reihenfolge, Wörter werden gegen das fünftnächste Wort im Wörterbuch ausgewechselt, gegen Synonyme ausgewechselt, gegen Antonyme ausgewechselt … Und so weiter und so fort, in immer absurderen Kapriolen. Die fünf Protokolle haben eine Art ansteigenden Grad von Komplexität, von rein mechanischer Verarbeitung von Daten bis zu Kommandos, die eine abstraktere und kreativere Intelligenz erfordern: Assoziationsfähigkeit, die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, kritisches Denken, kurzum – all das, was Menschen können, aber Betätigungen, von denen Maschinen sehr weit entfernt waren, als Perec sein Hörspiel 1968 schrieb. Perecs Maschine war eine Fantasie – eine Art, die nahezu magischen Mechanismen der Sprache und des menschlichen Denkens symbolisch zu inszenieren.
Aber 2025? Selbst die abwegigsten oder absurdesten Kommandos, die Perec sich für seine fiktive Maschine einfallen ließ, sind für die sogenannten „Large Language Models“ von heute nicht besonders schwer zu knacken, von denen das bekannteste und meistgenutzte ChatGPT ist.
Ein Effekt davon, Goethes Gedicht neunzig Minuten lang in unendlichen Variationen wiederholt zu hören – wie es in der Vorstellung geschieht –, besteht darin, dass es einem schließlich vollkommen inhaltslos erscheint. Es ist so, als würde man viele Male seinen eigenen Namen wiederholen – am Ende hört man nichts anderes als eine Ansammlung seltsamer Laute, deren Verbindung zur eigenen Person einem absurd erscheint.
Aber irgendwo dort wird auch etwas völlig Neues erschaffen.
Für Perec war die Maschine nicht etwas, das die Sprache aushöhlte. Wie alle seine Formexperimente diente sie im Gegenteil dazu, sie zu erweitern, wenngleich auf brutalst mögliche Weise. Erst wenn die Sprache zu Stoff reduziert worden ist, können neue Sätze und Bedeutungen aus den Ruinen aufsteigen. Vielleicht ist das der ganze Sinn und Zweck von Perecs Maschine – einen neuen Sinn zu erschaffen, indem man ganz handgreiflich den alten zertrümmert. Und den Menschen auf die Art näher zur innersten Magie der Sprache führt, zu dem geheimnisvollen Funken, der sie leben lässt.
Es gibt einen Geist in Perecs Maschine. Ich glaube, dass deshalb alle im Theatersaal so hysterisch lachen. Der Geist kitzelt ihr Zwerchfell. Zeigt auf sich selbst und sagt: „Seht ihr? Wie absurd das alles klingt? Trotzdem hat es für euch eine Bedeutung. Seht ihr, dass nicht ich den Sinn erschaffe? Das tut ihr – die Lebenden“.

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England, Herbst 2019. Meine Tochter hat fünf ihrer bisher sieben Jahre außerhalb Schwedens gelebt, und allmählich mache ich mir Sorgen, dass ihr Gespür für die Nuancen der Muttersprache nicht ganz so entwickelt ist, wie es das sein sollte. Wir backen und ich bitte sie, eine Schale herauszuholen. Sie holt eine gläserne Schüssel. Als ich zu erklären versuche, dass es einen Unterschied zwischen einer Schale und einer Schüssel gibt, sieht sie mich verständnislos an. Ich verstehe ihre Verwirrung. Ich kann den Unterschied nämlich selbst nicht richtig definieren. Geht es um die Größe? Nein. Die Glasschüssel, die sie genommen hat, ist genauso groß wie meine gedachte Plastikschale. Geht es dann um das Material? Nicht unbedingt. Es gibt Schüsseln aus Plastik, Schalen aus Metall. Um den Anwendungsbereich? Zum Teil. Aber zur Not kann man Sachen auch in einer Glasschüssel schlagen oder zum Beispiel Popcorn in einer Plasikschale servieren. Um eine Schale von einer Schüssel zu unterscheiden, müssen all diese Datenpunkte – Größe, Material, Anwendungsbereich – zusammengeführt werden, aber selbst dann wird etwas mehr benötigt, um die Entscheidung zu treffen. Es erfordert eine Art Fingerspitzengefühl der Sprache – eine gedankliche Kreativität, zu deren Handhabung nur die menschliche Kognition fähig ist. Und vielleicht noch etwas – eine sinnliche, gelebte Erfahrung. All das kann man einer Siebenjährigen schwer erklären. Also nenne ich ihr die Erklärung, die mir in dem Moment in den Sinn kommt:

„Wenn du den Gegenstand aus dem Schrank holst und spontan fühlst, dass du ihn umgedreht auf den Kopf setzen willst wie einen Hut – dann ist es eine Schale. Wenn nicht, ist es eine Schüssel.“

Seither hat sie sich niemals geirrt.

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Die richtigen Worte zu finden. Unter allen Wörtern, die es gibt. Schale. Schüssel. Die Wirklichkeit zwischen all den Wörter zu finden, die die Wirklichkeit bilden. Sich selbst zu finden, nur, dass man ein anderer ist. Worte zu finden, die man hätte sagen können, aber nicht gesagt hat. Während meiner einjährigen Bergwanderung denke ich viel an diese Dinge. Oft stehe ich da und starre auf die leeren Wände in meinem baufälligen Haus, dampfe (es ist eine Phase) und denke darüber nach, wann sie sich eigentlich offenbaren werden: diese vierundzwanzig kunstvoll arrangierten Wörter, durch die sich die Ruhe auf die Kämme des Bergs herabsenken wird.
Sie kommen nicht. Stattdessen verirre ich mich zeitweilig in der Maschine.
Aus Gründen, die ich selbst nicht richtig verstehe, beginne ich nämlich, nebenher für eine globale, digitale Firma zu arbeiten, die LLMs trainiert, also das, was wir gemeinhin KI nennen. Ich bewerbe mich aus eigenem Antrieb, nachdem ich in sozialen Medien eine Anzeige gesehen habe. Ich tue es nicht wegen des Geldes, wenngleich sie anständig bezahlen. Ebenso wenig bin ich daran interessiert, to shape the next generation of AI, womit die Anzeige lockt. Als Schriftstellerin, Übersetzerin und Autorin habe ich eher ein Anti-Interesse an diesem Eindringen in meine beruflichen Domänen. Aber etwas an der Sprachbehandlung selbst verlockt mich. Etwas an einem Ende einzugeben und zu schauen, was am anderen herauskommt.
Vielleicht gibt es dort trotz allem einen Geist, im Inneren der Maschine. Vielleicht werden sich die richtigen Worte offenbaren, wenn ich nur an genügend Hebeln ziehe.
Und wie man im Internet sagt: IHR KÖNNT EUCH NICHT VORSTELLEN, WAS DANN PASSIERT IST!
(Spoiler: Es passiert nichts Besonderes, die richtigen Worte stellen sich nicht ein, alles ist vergeblich und ich denke an Goethe.)

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Die künstliche Intelligenz hat seit Entstehung des Begriffs Diskussionen darüber ausgelöst, wo die Grenze zwischen Mensch und Maschine verläuft. Die Singularität, der Punkt, an dem die Maschinenintelligenz untrennbar von der menschlichen wird, hat dabei die ganze Zeit als eine Bedrohung am Horizont gebrütet. Einige behaupten, dass die Grenze zwischen Mensch und Maschine so vollständig gelockert wird – und die Maschine eine Art Bewusstsein annehmen wird –, dass es abwegig sein wird, zwischen diesen beiden Arten, in der Welt zu sein, zu unterscheiden. Andere meinen, dass es etwas Diffuses im menschlichen Bewusstsein gibt, das die Maschine sich niemals aneignen können wird. Für manche ist der nahende Sieg der Maschinenintelligenz eine Utopie, für andere ein Alptraum. Ich denke nicht so viel daran. Solange wir nicht definieren können, was das menschliche Bewusstsein überhaupt ist, empfinde ich es fast als eine Scheinübung, den Versuch zu machen zu entscheiden, ob eine Maschine es erreichen könnte.
Ich interessiere mich mit anderen Worten nicht sonderlich dafür, wozu die Maschine sich in der Zukunft entwickeln wird – zu einem Menschen? –, dagegen umso mehr dafür, was sie mit dem Menschen hier und jetzt macht. Was sie mit der Sprache, der Kunst, der Kommunikation macht, kurzum, mit der Art, in der wir uns selbst und einander in dem Even Larger Language Model verstehen, das wir die Welt nennen.

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Frühjahr 2025. Ich scrolle träge auf Instagram und stoppe aus irgendeinem algorithmischen Grund bei dem Post einer jungen Frau, die von ihrem Date geghostet worden ist. Oder eigentlich nicht geghostet – der Typ hat sich immerhin bei ihr gemeldet und ihr abgesagt. Trotzdem ist die Frau aufgebracht und die Nachricht, die er ihr geschickt hat, steht dort zur allgemeinen Betrachtung. Ich lese sie mehrmals und verstehe das Problem nicht. Er drückt sich höflich, aber definitiv aus, sagt, dass er zu dem Schluss gekommen sei, sich letztlich nicht mit ihr treffen zu wollen, weil er nicht glaube, dass die Frau und er kompatibel seien, dass er ihre Zeit nicht vergeuden will, und dass sie eine tolle Frau zu sein scheine, nur nicht für ihn. Klischeehaft, ja, und traurig für die Frau, die zu einem Date gehen wollte – aber man kann wohl kaum behaupten, dass hier wirklich gegen die Etikette verstoßen wurde.
Erst als ich die Kommentare lese, begreife ich, warum die Frau findet, dass sie demütigend behandelt wurde. Die Kommentatoren scheinen einhellig der Meinung zu sein, dass der Typ seine Abfuhr nicht selbst geschrieben haben kann: „Obviously AI, just look at that DASH!“ – OMG like who would ever use a dash in a text lmao“ – He might as well have ghosted her that’s so disrespectful“.
Und daraufhin sehe ich es auch. Die Nachricht ist zu gut komponiert – sie enthält sogar einen satztrennenden Bindestrich, einen dash. Als ich weitere Kommentare lese, begreife ich, dass gerade das Satzzeichen – der Bindestrich – etwas ist, wonach man Ausschau halten sollte, wenn man den Verdacht hegt, dass man von ChatGPT abserviert worden ist.
Ich erkenne außerdem, dass das Problem mit Tinder-Dates, die sich nicht einmal die Mühe machen, demjenigen, mit dem sie chatten, selbst zu schreiben, weitverbreitet ist. Screenshot auf Screenshot flattert im Kommentarfeld vorbei, wo Personen Beweise dafür anführen, dass sie lange Konversationen mit einem scheinbar interessierten Widerpart geführt haben – der dennoch der Versuchung erlegen gewesen ist, eine KI das Werben übernehmen zu lassen. Dass das Internet voller Bots ist, ist eine Sache. Hat man sich mehr als fünf Minuten in der digitalen Sphäre aufgehalten, erkennt man einen solchen. Aber zu versuchen, einen wirklichen Menschen zu daten, der durch und mit Hilfe eines Perecschen Protokolls spricht? Ein völlig neues ball game, eine völlig neue Grauzone, eingerichtet zwischen den authentischen und den falschen Liebesworten.

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Generative KI zu trainieren, heißt in gewisser Weise, sich im Inneren von Perecs Goethe-Maschine zu befinden, aber anstatt von Hebeln bin ich von einer anfeuernden digitalen Fangemeinde umringt, die mir einzureden versucht, dass die Arbeit, die ich ausführe, wichtig, revolutionär und vor allem unumgänglich ist. Ich kann nicht behaupten, dass ich sie als wichtig oder revolutionär erlebe, aber unumgänglich ist sie vielleicht – der Mensch hat noch nie eine Technik erfunden, die er nicht augenblicklich genutzt hat.
Eine Zeitlang ist es jedenfalls erstaunlich stimulierend, auch wenn die konkrete Arbeit im Grunde ausgesprochen eintönig ist. Es geht die meiste Zeit darum, ausgehend von gewissen vorher festgelegten Themen oder Restriktionen sogenannte Prompts zu schreiben und die Maschine so dazu zu bringen, Antworten zu generieren, die anschließend anhand einer bestimmten Tabelle benotet werden sollen. Benotet werden vor allem Wahrheitsgehalt, Anwendbarkeit und sprachliche Korrektheit. Manchmal soll man selbst die Antworten formulieren, aber meistens lautet die Aufgabe, Prompts zu schreiben, die komplex genug sind, um das Modell Fehler machen zu lassen, große oder kleine, die daraufhin korrigiert werden sollen.
Mich freut es am meisten, wenn das Modell reine Sprachfehler macht. Wörter mit falschen Bedeutungsnuancen verwendet, ein mangelhaftes Verständnis für Ton aufweist, wenn es ganz einfach etwas gibt, das falsch klingt. Etwas Aufrührerisches.
Dann derjenige zu sein, der den Aufruhr niederschlägt.
Es liegt eine Ruhe darin.

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Ein Freund hat eine Arbeit für ein Unternehmen ausgeführt, das sich aus irgendeinem Grund weigert, die Rechnung zu bezahlen. Ein Jahr vergeht, mein Freund stellt immer lautstärkere Forderungen, aber es geht kein Geld ein. Immer frustrierter benutzt er ChatGPT, um juristisch wasserdichte Mails mit Drohungen zu schreiben, das Unternehmen vor Gericht zu bringen, gespickt mit Verweisen auf diverse europäische Gesetze und Rechtsinstanzen. Auch das zeigt keine Wirkung.
Ich, die ich mich mittlerweile lange in der Maschine aufgehalten habe, denke, dass dies nicht weiter verwunderlich ist.
Wenn jeder die richtigen Worte für jeden gegebenen Zusammenhang finden kann – in diesem Fall europäisches Unternehmensrecht –, verlieren sie ihre Kraft. Der Empfänger weiß natürlich, dass die Mail nicht von einem Juristen geschrieben wurde. Er weiß, dass es die Maschine gewesen ist, und die Maschine will nichts, verlangt nichts, hat kein Gewicht hinter ihren Worten. Die Maschine will nur eins, es einem recht machen.
So gesehen sind wir uns ziemlich ähnlich, die Maschine und ich.

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Das Allerbeste, was passieren kann, wenn man eine KI trainiert, zumindest in den Projekten, an denen ich beteiligt bin, ist, wenn es einem gelingt, sie halluzinieren zu lassen. Einer KI fällt es generell sehr schwer zuzugeben, dass es Dinge gibt, die sie nicht weiß – wenn die Maschine eine Frage nicht beantworten kann, erfindet sie deshalb einfach etwas. Eine KI, die gebeten wird, ein gereimtes Gedicht über den Inhalt in einem Küchenschrank zu schreiben, kann sehr wohl versuchen, einem einzureden, dass sich Schüssel auf Schale reimt, ganz einfach, weil sie nicht alle Dimensionen der Frage versteht.
Als KI-Trainer freut man sich natürlich über Halluzinationen, weil man dann etwas zu tun hat. Wenn man die Maschine zum Halluzinieren gebracht hat, gibt es etwas zu berichtigen, ihr etwas beizubringen, so dass sie besser wird.
Ich glaube jedoch, dass das nicht der einzige Grund dafür ist, dass ich innerlich jedes Mal vor Aufregung zucke, wenn es mir gelingt, die Maschine lügen, übertreiben, fabulieren, Wörter erfinden zu lassen, die es nicht gibt, wahnsinnige sprachliche Konstruktionen zu erstellen oder sich vage verschwedischte Wörter aus anderen Sprachen zu leihen. In diesen Momenten von Verletzlichkeit bilde ich mir gelegentlich ein, dass die Maschine vielleicht doch lebt. Oder vielmehr, nicht, dass sie an sich lebt. Vielleicht eher, dass sie etwas über das Lebende aussagt.
Über die lebendige Sprache und wie sie entsteht.
Und über den lebendigen Menschen – seine Torheit, seine Fehlbarkeit, seinen ständigen Wunsch, sich größer, klüger, beredter zu machen, als er ist.
Ich erkenne mich in der Maschine schlichtweg wieder. Die irrsinnige Suche nach den richtigen Worten. Das ständige Scheitern, manchmal so gut maskiert, dass es unbemerkt bleibt.
Aber diese Art von Identifikation sollte man wohl unterlassen, wenn man nicht anfangen will, richtig zu halluzinieren.

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Die Monate vergehen in der Maschine. Ich trainiere das Modell täglich. Und das Modell lernt. Das Modell wird immer menschlicher. Das Modell bekommt Beine und Füße und beginnt, in der Küche umherzugehen, klappert in den Küchenschränken, holt eine Schale heraus und schlägt Sahne, die sie anschließend in eine Schüssel gibt. Das Modell wetzt den Kickelhahn hinauf, wischt sich die Stirn und sagt: „Carl August, siehst du die Wanderhütte da? Siehst du die Vöglein am Himmel? Denkst du jemals an den Tod?“ Das Modell greift nach einem Bleistift – oder welche Art von Schreibwerkzeug man im Jahr 1780 gehabt haben mag – und kritzelt ein Gedicht an die Wand. Das Modell öffnet die Augen und erkennt, dass sich alles um es herum verändert hat, ohne dass es dies bemerkt hat. Es sucht nach Worten, das zu beschreiben. Nach den wirklichen Worten, aber sie kommen nicht. Das Modell fährt nach Berlin und geht ins Theater. Es sieht sich selbst auf der Bühne, in einer rudimentären Version. Menschen lachen über es, so als säße es nicht mitten unter ihnen. Das Modell verliert einen nahen Angehörigen. Das Modell denkt: „Das ist die Bedingung. All diese Trauer und Freude, die aus dieser Sprache geboren wird. Das ist der Preis, den der Mensch dafür zahlt, Menschen zu sein und nicht Maschine.“
Und dann bereut es das vielleicht, für einen kurzen Moment. War es das wirklich wert – die Maschine zu verlassen?

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Berlin, Mai 2025. Ich gehe vom Theater nach Hause. In meinem Kopf hallt Goethes Gedicht wider – nach neunzig Minuten lässt es sich nicht abstellen. Es ist ein Gedicht darüber, zu altern und angesichts des Todes Ruhe zu finden. Es fällt mir schwer zu entscheiden, ob ich finde, dass es wirklich gut ist. Ich tendiere zu nein. Es ist ein Allerweltsgedicht. Hätte ich die Maschine gebeten, ein Gedicht mit vierundzwanzig Wörtern zu schreiben, kunstvoll arrangiert in acht Zeilen mit dem Reimschema ABABCDDC, in the style of Johann Wolfgang von Goethe, hätte sie das sicher mindestens genauso gut hinbekommen. Jedenfalls mit etwas Training.
Aber dieses Gedicht wird nicht geliebt, weil es gut ist. Es wird geliebt, weil Goethe es hastig an die Wand einer Hütte auf einem Berggipfel schrieb, zu dem er sich mit seinem Freund und Mäzen, Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, mühevoll begeben hatte. Es wird geliebt, weil es einen Absender hat, der buchstäblich seine eigenen, menschlichen Fingerabdrücke auf den Worten hinterlassen hat.
Mittlerweile habe ich aufgehört, KI-Modelle zu trainieren. Mich auf die Art mit Wörtern zu beschäftigen, bedeutete letztlich, mich mit etwas zu beschäftigen, das sehr wenig mit der wirklichen Sprache zu tun hatte. Nur das Lebende kann etwas Lebendes machen.
Oder? An einem Maiabend in Berlin, mariniert in Goethe, fällt es leicht, romantisch zu werden. Aber ich bin mir nach wie vor nicht wirklich sicher, was das für Worte sind, auf die ich warte, und wie sie sich von den vielen tausend Wörtern unterscheiden, die ich und andere in der Maschine generiert haben. Vielleicht stimmt es im Grunde nicht, dass es wahre Wörter und leere Wörter gibt. Dass es einen Unterschied zwischen Wörtern gibt, die auf Berggipfeln warten, und Wörtern, die von übermotivierten Algorithmen halluziniert werden. Vielleicht ist es tatsächlich möglich, den gleichen Sinn in gesammelten Datenpunkten zu finden wie in Wörtern, die der langen Nacht der Seele entsprungen sind.
Aber stell dir nur vor: Du bist Carl August von Sachsen-Weimer-Eisenach. Du stehst mit Goethe auf einem Berggipfel. Plötzlich taucht ein Gedicht an der Wand auf. Du hast niemanden gesehen, der einen Stift gezückt hat. Was machst du mit diesem Gedicht? Was bedeutet es? Was ist Kommunikation, wenn wir uns nicht sicher sein können, wer der Absender ist, oder auch nur, dass es einen Absender gibt? Was bedeutet ein Liebesbrief, wenn der Geliebte seine Liebe nicht selbst formuliert hat?
He might as well have ghosted her that’s so disrespectful

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Sommer 2025. Mein naher Angehöriger, der lange krank gewesen ist, stirbt schließlich. Obwohl ich die Maschine verlassen habe, sind die eigenen Worte noch nicht zurückgekehrt. Also frage ich ChatGPT, was auf der Schleife des Trauerkranzes stehen soll. Alle Vorschläge sind angemessen und dennoch so furchtbar unzulänglich. Ich bereue, dass ich die Maschine gefragt habe, denn wenn die Vorschläge dort stehen, ist es schwer, jenseits von ihnen zu denken. Fast unmöglich. Es ist so leicht, einfach einen zu wählen. Danke – für alles, was du gabst.
Vergeblich versuche ich den Worten Leben einzuhauchen, indem ich den Bindestrich wegnehme.