Ist die Fantasy gendertauglich?
Die von Starautor George R. R. Martin herausgegebene Fantasy-Anthologie „Königin im Exil“ schickte sich an, die weiblichen Charaktere in der Fantasyliteratur aus ihren stereotypen Rollen zu befreien – und scheitert, findet die jádu-Autorin und Fantasyliebhaberin Janika Rehak.
Unerschrockene Pilotinnen, smarte Detektivinnen und weibliche Desperados: Das sind die Heldinnen der Kurzgeschichten-Anthologie Königin im Exil (englischer Originaltitel: Dangerous Women), herausgegeben von George R.R. Martin und Gardner Dozois. Namhafte Autorinnen und Autoren haben zu dieser Sammlung Geschichten beigesteuert.
Das über 1100 Seiten starke Buch enthält Shortstorys und Kurzromane verschiedenster Genres. Die Leser*innen folgen der Gaunerin Shy in eine alternative Westernwelt, fiebern mit Kampfpilotin Raisa Stepanowa mit, die während des Zweiten Weltkrieges unbedingt das erste weibliche Fliegerass Russlands werden möchte und sind dabei, als es die junge Magierin Molly im Chicago der Gegenwart mit Vampiren, Werwölfen, Feen und anderen ungemütlichen Gesellen zu tun bekommt.
Eine Menge Genres sind vertreten: Space Opera, Mittelalter-Fantasy, Science Fiction, das leicht verkitschte Schottland der Highlander-Saga sowie realistische Kurzgeschichten ohne jegliche Fantasy-Elemente. Und eines ist allen Geschichten ist gemeinsam: Sie stellen Frauen in den Mittelpunkt. Eine Fantasy-Anthologie also, die sich ernsthaft mit dem Archetypus der Heldin auseinandersetzt? Das lässt hoffen auf ernst genommene und ernst zu nehmende Figuren jenseits gängiger Klischees.
Unterhaltungsliteratur versus Gender-Debatte
Die Kurzgeschichtensammlung ist ganz eindeutig der Belletristik zuzuordnen und diese wird vor allem für einen Zweck geschrieben: Sie soll Leser*innen unterhalten. Und das gelang der Anthologie in meinem Falle durchaus. Ich hatte Spaß an den Geschichten. Sie sind handwerklich solide und angenehm zu lesen. Einige Settings oder den persönlichen Stil mancher Autoren fand ich zugänglicher als andere, manche Protagonistinnen hatten sofort meine Sympathie, während ich andere spontan nicht leiden konnte. Aber das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Gleichzeitig ist es sicherlich nicht Aufgabe von Unterhaltungsliteratur, einen Beitrag zur Gleichstellung zu leisten oder Position in der Gender-Debatte zu beziehen. Die Punkte „Unterhaltungswert“ und „Darstellung der Frauen unter sozial-psychologischen Gesichtspunkten“ müssen also klar getrennt werden. Dennoch beeinflussen Medien – also auch Unterhaltungsliteratur – das Bild von Geschlechterrollen in der Gesellschaft, schaffen Ideale, prägen und untermauern mitunter Stereotypen. Was genau also war die Motivation der Herausgeber, überhaupt eine solche Geschichtensammlung zusammen zu stellen? Ist eine solche Anthologie überfällig? Etwas ganz Neues auf dem Markt? Oder vielleicht gar ein Statement in der Gender-Diskussion?
Klassischer Part: Kreischendes Opfer, Trophäe, schmückendes Beiwerk
Die Fantasy-Literatur der 30er, 40er und 50er Jahre, so heißt es im Vorwort von G.R.R. Martin, gedachte den Damen in der Regel eher den Part der schönen, unerreichbaren Prinzessin, der holden Maid oder des niedlichen Bauernmädchens zu. Für diese stürzte sich manch junger Held hoffnungsvoll in die Schlacht oder betrat die Höhle des Drachen, wohin die Bestie die kreischende Jungfer verschleppt hatte. Ganze Heerscharen von tapferen Recken stellten sich scheinbar unbezwingbaren Gegnern oder dem eigenen Schicksal entgegen. Und am Ende winkte nicht nur Gold, Ruhm und Ehre, sondern auch das Herz der Angebeteten. Die dann, laut Martin „nichts weiter zu tun hatte, als schmachtend am Arm des Helden zu hängen.“
Soweit zum klassischen Part. Während Lt. Uhura (Star Trek, 60er Jahre) noch vor allem durch ihre knappe Uniform auffiel, etablierte sich spätestens Mitte der 90er ein neuer Archetypus: Xena, die Kriegerprinzessin, und Buffy, die Dämonenjägerin, gaben sich längst nicht mehr damit zufrieden, sich vom Ritter auf dem weißen Pferd retten zu lassen und anschließend mit verklärtem Blick in seine Arme zu sinken. Diese Damen konnten ganz gut auf sich selbst aufpassen, machten sich die Hände schmutzig und nahmen dabei keinerlei Rücksicht auf die Maniküre. Auch Martin und Dozois versprachen den Leser*innen ihrer Anthologie: „Sie werden hier keine hilflosen Opfer finden, die furchtsam wimmernd zusehen, wie der männliche Held die Monster bekämpft.“
Femme fatales und abgründige Mütter
Zumindest in einem Punkt haben die Herausgeber nicht zu viel versprochen: Die Mädels sind keineswegs hilflose Püppchen, sondern nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Doch die Art und Weise, wie sie das tun ist weitaus klischeehafter, als ich erwartet hatte. Die cleveren Agentinnen oder Detektivinnen kämpfen zwar durchaus mit vollem Körpereinsatz. Doch meist tun sie das mit den sogenannten „Waffen der Frauen“. Als Femme fatales setzen sie ihre Reize so gnadenlos ein, wie ein Berserker seine Axt. Und ein guter Teil der Kämpfe findet im Bett statt.
Kaum eine Geschichte, in der Sex nicht ein wirklich großes Thema, wenn nicht gar das Thema überhaupt ist. Da vergleichen im Mittelalter-Setting kaum 12-jährige Prinzessinnen ihre Busengröße und fürchten sich vor der Hochzeitsnacht, eine genmanipulierte Stripperin wird zur erotischen Nemesis eines hohen Politikers und ein verhängnisvoller One-Night-Stand besiegelt das Schicksal von gleich zwei Menschen.
Erwähnt werden müssen der Vollständigkeit halber außerdem jene Geschichten, die das Thema Mutterschaft thematisieren. Ödipus lässt grüßen. So wird ein Junge nach einem Mutter-Sohn-Inzest als Erwachsener zum Serienkiller. In einer anderen Geschichte steht eindeutig Kindsmord im Raum.
Kein schlechtes Buch. Aber: Thema verfehlt
Um Missverständnissen vorzubeugen: Weder Sexszenen noch die Darstellungen von Mutterschaft sind per se klischeehaft oder machen eine Geschichte zu einer schlechten Geschichte. Auch Abgründigkeit ist Geschmackssache, und ich persönlich habe sogar eine ausgeprägte Schwäche dafür. Allerdings frage ich mich: Fällt all diesen namhaften Autoren, von denen einige als die Stars der Szene gelten und die sich nicht erst seit gestern mit Charakterzeichnung und Figurenentwicklung beschäftigen, wirklich nichts anderes ein, wenn die Vorgabe lautet: „Gefährliche Frauen“? Müssen, nur weil die Hauptfiguren weiblich sind, unbedingt auch so Ur-weibliche Thematiken behandelt werden? Und unter welchen Gesichtspunkten haben die Herausgeber die Geschichten ausgewählt? Was genau verstehen Martin und Dozios unter einer „gefährlichen Frau?“ Worin besteht ihre Gefährlichkeit? Und für wen stellt sie eine Gefahr dar?
Im Hinblick auf den hehren Anspruch, den weiblichen Charakteren in der Fantasy-Literatur zu weniger stereotypen Auftritten zu verhelfen, halte ich die Zusammenstellung der Storys für misslungen. Klischees werden weiterhin bedient und die Versuche, sie aufzubrechen, wirken zu gewollt und damit eher ungelenk. Durch das explizite Brechen von Stereotypen wird immer auch eine Art von positivem Sexismus bedient, der den Blick auf die „Ausnahme“ lenkt. Ein Teufelskreis, denn ohne Klischeebruch keine Änderung in der Wahrnehmung. Doch je offensichtlicher der Bruch thematisiert wird, umso stärker wirkt er als Faktor in Reproduktion. Was als Ausnahme wahrgenommen wird, bestätigt das Bild des Normalen anstatt es zu hinterfragen.
Wer ausschließlich unterhalten werden will, wird mit der Anthologie sicherlich seinen Spaß haben. Aber wer ernsthaft nach weiblichen Fantasyfiguren jenseits von Klischees sucht, ist mit Autorinnen wie Marion Zimmer Bradley (u.a. Die Nebel von Avalon) und Suzsanne Collins (Die Tribute von Panem) oder auch J.K.Rowling (Harry Potter) deutlich besser bedient. Übrigens: Der erste Harry-Potter-Band erschien bereits 1997, Marion Zimmer Bradley veröffentlichte schon seit den 50ern. So gesehen ist die Anthologie über sogenannte gefährliche Frauen noch nicht einmal besonders innovativ.
Gesamturteil: Gutes Buch, unter literarischen Gesichtspunkten betrachtet. Aber: Thema verfehlt.