„Movaland“ von Slavs and Tatars
Du bist, was du sprichst

Die Ausstellung „Movaland“ eröffnete am 22. Februar 2019 in der Minsker Galerie Y
Die Ausstellung „Movaland“ eröffnete am 22. Februar 2019 in der Minsker Galerie Y | Foto: Wiktoryja Kharytonawa

Das Künstlerkollektiv Slavs and Tatars zeigt mit „Movaland“ seine erste Einzelausstellung in Belarus. Auf Einladung des Goethe-Instituts beleuchtet die Gruppe in der Minsker Galerie Y für zeitgenössische Kunst seit dem 22. Februar 2019 die historisch gewachsene Vielfalt von Sprachen, Kulturen und Identitäten – Fragen, die in Belarus aufgrund der vorherrschenden Mehrsprachigkeit und der aktuellen (geo-) politischen Lage kontrovers diskutiert werden. 

Von Nadja Abt

Ein langer, silberglänzender Kebabspieß durchbohrt mehrere Bücher in kyrillischer, lateinischer und arabischer Schrift auf einem Sockel in der aktuellen Ausstellung der Berliner Künstlergruppe Slavs and Tatars in der Galerie Y in Minsk. Fest zusammengehalten symbolisieren die Bücher der Arbeit „Kitab Kebab“ die verschiedensten kulturellen Einflüsse der multiethnischen Vergangenheit von Belarus aufgrund seiner besonderen geografischen Lage zwischen Polen, Litauen, Lettland, der Ukraine und dem großen Nachbarn Russland. Slavs and Tatars nahm sich der bisher wenig aufgearbeiteten belarussischen Geschichte anhand linguistischer Phänomene an, um so beim Minsker Publikum eine neue identitätsstiftende Auseinandersetzung anzuregen und die damit verbundenen Schwierigkeiten offenzulegen.

Geschichtslücken schließen

Dass den belarussischen Kulturschaffenden eine historische Aufarbeitung im postsowjetisch-regierten Staat nicht leicht gemacht wird, lässt sich bei einem Besuch der Nationalgalerie feststellen: Zwischen russischen Meisterwerken der Malerei finden sich kaum Werke heimischer Künstlerinnen und Künstler. Abstrakte Malerei oder etwa konzeptuellere Ansätze nonkonformer Künstlergruppierungen aus den letzten 60 Jahren sind nicht zu sehen. Derartige Geschichtslücken versucht die Sammlung der Galerie „Art-Belarus“ zu schließen, wie Kurator Alexander Zimenko bei einer Führung erzählt. Belarussische Meister der Moderne wie die jüdischen Vertriebenen Chaim Soutine und Marc Chagall würden nun endlich in ihrer Heimat gezeigt werden können. 

Auf den Spuren von Beziehungsgeflechten zwischen Religion, Macht, Sprache und Identitäten
Auf den Spuren von Beziehungsgeflechten zwischen Religion, Macht, Sprache und Identitäten | Foto: Wiktoryja Kharytonawa

Gemeinsames Residenzprogramm

Damit ihr Projekt über die Zeitspanne der Ausstellungsdauer hinaus Bestand hat, begannen die Künstlerinnen und Künstler bereits vor einem Jahr mit den Recherchen in Belarus und entwickelten gemeinsam mit dem Goethe-Institut ein Residenzprogramm in ihrem Berliner Atelier. Bereits vier belarussische Künstler wurden eingeladen. Begeistert erzählt Payam Sharifi, einer der Gründer von Slavs and Tatars, vom gegenseitigen Ideenaustausch und neuen Inspirationen für kommende Projekte. Die Tragweite und Neuheit eines solchen Programms wird vor allem dann ersichtlich, wenn man bedenkt, dass es für belarussische Kulturschaffende bis heute noch mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, ins europäische Ausland einzureisen. Slavs and Tatars und das Goethe-Institut Belarus haben mit diesem Programm  neues Terrain für die Zukunft erschlossen. Das Residenzprogramm wird über das Jahr 2019 hinaus bestehen und auf Länder der Region ausgeweitet.

Ein Ort des Zusammenkommens „PrayWay" von Slavs and Tatars
Ein Ort des Zusammenkommens „PrayWay" von Slavs and Tatars | Foto: Wiktoryja Kharytonawa

Sprache als politisches Machtinstrument

Bevor die Ausstellung „Моваланд oder Movaland“ in der Galerie eröffnet, hält Payam Sharifi die Lecture-Performance „The Transliterative Tease“ im Vortragssaal der Galerie TUT.BY. Hier präsentiert er seine sprachwissenschaftlichen Recherchen zur kyrillischen, lateinischen, hebräischen und arabischen Schrift im osteuropäischen und vorderasiatischen Raum. Sharifi legt den Gebrauch beziehungsweise den Missbrauch der Alphabete dar, um Macht und Gebiete zu verschiedenen Zeiten voneinander abzugrenzen. Die Schriften werden zum politischen Machtinstrument, subtile Wort- und Lautverschiebungen innerhalb von Sprachen zur Metapher kriegerischer Territorienstreitigkeiten und Kolonisierungen. Dass diese Forschungen vor allem in Belarus von enormer Relevanz sind, beweisen die andauernden Konflikte um die Erforschung und Wiedereinführung des Belarussischen als offizielle Sprache.

Sprache als ein Zeichensystem für politische, historische und kulturelle Zusammenhänge
Sprache als ein Zeichensystem für politische, historische und kulturelle Zusammenhänge | Foto: Wiktoryja Kharytonawa

Ein Geschenk zum Teilen  

Am Folgetag wird die Ausstellung vom kuratorischen Team um Lena Prents und den Leiter des Goethe-Instituts Belarus, Jakob Racek, eröffnet. Die Installation aus Wandteppichen, der Teppich-Lesestation „Pray Way“ (2012) und einer Soundinstallation spannt den Bogen zwischen Sharifis Vortrag und dem belarussischen Kontext. Auf subtil metaphorische Art verweisen Slavs and Tatars in ihren grafischen Buchstabenspielereien auf die unterdrückte Identität Belarus und treffen so den Nerv der Zeit. Das Interesse spiegelt sich auch in dem bunt gemischten Publikum: Zwischen vielen Kunstbegeisterten steht etwa die Philosophiedozentin Olga Shparaga, die ihre Vorlesungen in der Ausstellung abhalten wird, sowie die Kuratorin Tatiana Kirianova, die extra aus St. Petersburg angereist ist. Später am Abend packt Sharifi gerührt ein Geschenk eines älteren Minsker Tataren aus – im Paket befinden sich nebst einer Pralinenschachtel gesammelte alte Bücher mit vielen persönlichen Randnotizen, die der ältere Herr mit Slavs and Tatars teilen möchte. Hier zeigt sich, dass solch eine Ausstellung Wellen schlägt für ein neues Selbstvertrauen einer marginalisierten belarussischen Identität.

Auftaktveranstaltung zu „Movaland“ in der Galerie Y
Auftaktveranstaltung zu „Movaland“ in der Galerie Y | Foto: Wiktoryja Kharytonawa

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