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Bicultural Urbanite Luke
Vernünftig leben

Entspanntes Biertrinken an der Spree.
Entspanntes Biertrinken an der Spree. | Bildausschnitt Foto © Tsari Paxton

Eine der grundlegenden Veränderungen, die ich während meiner Jahre in Deutschland an mir festgestellt habe, hat mit meiner Haltung gegenüber Ressourcen zu tun. Eine ganzheitliche deutsche Einstellung zu materiellen Dingen – eine, zu der der Versuch gehört, nur zu benutzen, was man braucht, und das meiste aus dem herauszuholen, was man hat. Vernünftig leben eben.

Von Luke Troynar

Wenn man lange genug als Ausländer in Deutschland lebt, fängt man ganz unwillkürlich an, sich alle möglichen kulturellen Angewohnheiten anzueignen. Da sind die kleinen Dinge, wie etwa unweigerlich sprudelndes Wasser stillem Wasser vorzuziehen, jederzeit einen ansehnlichen Batzen Bargeld mit sich herumzuschleppen oder sich von Fremden im Aufzug mit einem jovialen „Tschüss!“ zu verabschieden, nachdem man den ganzen Weg nach oben wortlos nebeneinander gestanden hat (auch wenn ich Letzteres nach wie vor als äußerst befremdlich empfinde).

Eine schrittweise Verwandlung

Und dann sind da die subtileren, dafür jedoch viel tiefgreifenderen Änderungen des Lebensstils; diejenigen, die die eigene Perspektive auf die größeren Zusammenhänge ganz langsam und schrittweise verwandeln. Eine der positiveren dieser grundlegenden Veränderungen, die ich über die Jahre an mir festgestellt habe, hat mit meiner Haltung gegenüber Ressourcen zu tun. Um genau zu sein, meine Aneignung einer wesentlich genügsameren Herangehensweise an die Kunst des Lebens, die insbesondere in Berlin so etwas wie eine deutsche Konvention zu sein scheint. 
 
Selbstverständlich gilt, wenn es ans Geld geht, auch in der deutschen Hauptstadt nach wie vor die Maxime „Je mehr man hat, desto mehr gibt man aus“, genau wie in jeder anderen westlichen Stadt. Und klar, natürlich gibt es ein über die diversen Luxus-Inseln der Stadt verstreutes ‚Elite‘-Syndikat von Luxus-Primadonnen, die darauf versessen sind, ihren sozialen Status mit den üblichen Arten exorbitanter Lifestyle-Entscheidungen zur Schau zu stellen.
 
Aber diese Big Spenders sind in Berlin eher die Ausnahme als die Regel; und überhaupt geht es bei der kulturellen Praxis, die ich meine, auch nicht ausschließlich ums Geld (auch wenn die Kohle definitiv eine große Rolle spielt). Was ich meine, ist mehr eine unterschwellige, ganzheitliche Einstellung der Deutschen gegenüber materiellen Dingen – eine, zu der der Versuch gehört, nur zu benutzen, was man braucht, und das meiste aus dem herauszuholen, was man hat. Vernünftig leben eben.

Bargeld muss sein

In der Tat zeigt sich diese grundlegen Qualität in einigen jener Kleinigkeiten, die ich oben bereits erwähnt habe. Zum Beispiel der Notwendigkeit, aufgrund eines Mangels an Kartenzahlungsmöglichkeiten in Berlin jederzeit Bargeld bei sich zu haben – das mag für Verbraucher im Jahr 2019 lästig sein, hat aber auch den heilsamen Nebeneffekt, dass man dazu gezwungen ist, seine Ausgaben relativ sorgfältig mitzuverfolgen. Auch das lachhaft penible Aufteilen von Restaurantrechnungen unter Berliner Freunden ist ein Markenzeichen dieser Einstellung, ebenso wie die relative Bevorzugung öffentlicher Verkehrsmittel und des Fahrradfahrens gegenüber dem Auto – sofern man nicht einfach gleich zu Fuß geht, wenn das Ziel nicht allzu weit entfernt ist.
 
Im Vergleich zu Australien, der Heimat von Familien mit gleich mehreren Land Rovern, die gerne mal zwei Blocks fahren, um einen Liter Milch zu holen, und nur darauf aus sind, alles noch eine Nummer größer zu haben, kann diese Art des sorgfältigen Einsatzes von Ressourcen übermäßig knausrig wirken. Dasselbe könnte man über die Art sagen, wie Berliner in Restaurants essen gehen; vernünftigerweise bestellen sie dabei im Namen des Sattwerdens lediglich ein Hauptgericht, im Gegensatz zu der Sorte voll erblühter epikureischer Schlemmerei mit mehreren Vorspeisen, aufwändigen Desserts und üppigem Alkoholzuspruch, die stattfindet, wann immer ich mit Freunden in Melbourne essen gehe.

Ein kreditfreies Leben

Am bezeichnendsten ist jedoch der notorisch kreditfreie Lebensstil der Deutschen. Während zahlreiche mir bekannte Melbourner mit attraktiven Gehältern ihre Kreditkarten freizügig einsetzen und häufig trotz großzügiger australischer Einkommen ansehnliche Schulden anhäufen, habe ich persönlich in Berlin noch nie deutsche Freunde gehabt, die den springenden Punkt am Besitz einer Kreditkarte auch nur ansatzweise verstanden hätten – selbst wenn sie um einiges weniger verdienen. Für die meisten Deutschen ist nämlich die Vorstellung, Geld auszugeben, das man nicht hat, einfach völlig abwegig. Es passt nicht in ihr ganzes Prinzip vom sparsamen Leben, das das Konzept von Exzess implizit zu verdammen scheint.
 
Insgesamt verstehe ich diese Haltung als vernünftige Zurückhaltung und vielleicht sogar eine Art utilitaristischen Idealismus. Sie ist etwas, das ich zu bewundern gelernt habe, und steht im krassen Gegensatz zu dem, was ich heute als Australiens beinahe religiöse neoliberale Mentalität des ‚mehr ist mehr‘ betrachte (und noch mehr ist sogar noch besser!). Zwar kann ich den Luxus- Aussie, der nur auf seinen Moment wartet und sich nach dem Reiz dionysischer Ausschweifungen und leichtfertigen Shoppingtouren sehnt, definitiv noch irgendwo in mir lauern spüren. Aber im Großen und Ganzen habe ich mich an die bescheidenen Freuden und die Vorzüge des vernünftigen Lebens gewöhnt.

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